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Aktuelle Urteile, Rechtstipps und Sonstiges aus unserer Kanzlei

Sie interessieren sich für aktuelle Urteile der Rechtsprechung? Oder sind auf der Suche nach Rechtstipps zu einem der Rechtsgebiete, die unsere Kanzlei vertritt? In der folgenden Liste haben wir aktuelle Urteile und Rechtstipps für Sie zusammengestellt. Anhand der Vorsortierung können Sie gezielt juristische Urteile und Tipps zu jenen Bereichen aufrufen, die für Sie interessant sind.
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VERWALTUNGSRECHT

Beamtenrecht: Beschluss VGH Baden-Württemberg v. 06.02.2024, Az. 4 S 1978/23 zum grundrechtsgleichen Recht auf Einbeziehung in die Bewerberauswahl

#109 | 14.04.2024

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in einem aktuellen Beschluss zum Beamtenrecht bestätigt, dass eine Einengung des Kreises der zugelassenen Bewerber auf eine Stellenausschreibung um ein öffentliches Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung nur aufgrund sachlicher Erwägungen erfolgen darf. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach erläutert die Entscheidung.

Mit dem Beschluss wurde die Beschwerde der Antragstellerin gegen die erstinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe zurückgewiesen. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegen die Unterlassung der Einbeziehung in die Stellenausschreibung für zwei Funktionsstellen eines Richters am Verwaltungsgericht sei zurecht abgelehnt worden. Das Verwaltungsgericht habe zutreffend angenommen, dass die beiden ausgeschriebenen Stellen unter einem sogenannten Assessorvorbehalt stünden und daher einer Einbeziehung der Antragstellerin (bereits Richterin auf Lebenszeit) in das Auswahlverfahren nicht zugänglich seien. Die Einschränkung des Bewerberkreises auf Assessoren sei rechtens.

Hierbei hält der Verwaltungsgerichtshof die Anforderungen der Rechtsprechung an die Einengung des Bewerberkreises um öffentlich ausgeschriebene Stellen des öffentlichen Dienstes unter dem Blickwinkel des Art. 33 Abs. 2 GG nochmals ausdrücklich fest: Zwar diene die Einrichtung und Besetzung von Stellen des öffentlichen Dienstes grundsätzlich allein dem öffentlichen Interesse an einer bestmöglichen Erfüllung der öffentlichen Aufgaben. Der Dienstherr nehme dadurch keine Verpflichtung gegenüber seinen Beamten wahr, sodass kein subjektives Recht auf Ausbringung einer bestimmten Planstelle bestehe. Er entscheide über die Einrichtung und nähere Ausgestaltung von Dienstposten nach organisatorischen Bedürfnissen und Möglichkeiten. Es obliege auch seinem organisatorischen Ermessen, wie er einen Dienstposten zuschneiden wolle und welche Anforderungen demgemäß der Bewerberauswahl zugrundezulegen seien. So könne er auch wählen, ob er eine Stelle im Wege der Beförderung oder Versetzung vergeben wolle (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20.9.2007, Az. 2 BvR 1972/07; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25. 11.2004, Az. 2 C17.03).

Allerdings sei die öffentliche Verwaltung bei der Bestimmung des Anforderungsprofils an gesetzliche Vorgaben gebunden. Eine Einengung des Kreises der nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu vergleichenden Bewerber um ein öffentliches Amt kann deshalb nur aufgrund sachlicher Erwägungen erfolgen und muss insbesondere dem Grundsatz der Bestenauslese gemäß Art. 33 Abs. 2 GG entsprechen. Denn dieser begründet das grundrechtsgleiche Recht auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl.

Der Verwaltungsgerichtshof bestätigt, dass die Einhaltung dieser Maßstäbe der gerichtlichen Kontrolle unterliege, weil mit der Festlegung des Anforderungsprofils ein wesentlicher Teil der Auswahlentscheidung vorweggenommen werde. Durch die Bestimmung des Anforderungsprofils lege der Dienstherr die Kriterien für die Auswahl der Bewerber fest, an ihnen würden die Eigenschaften und Fähigkeiten der Bewerber um den Dienstposten gemessen. Fehler im Anforderungsprofil würden daher grundsätzlich auch zur Fehlerhaftigkeit des Auswahlverfahrens führen, weil die Auswahlerwägungen dann auf sachfremden, nicht am Leistungsgrundsatz orientierten Gesichtspunkten beruhen würden. Die Beschränkung des Bewerberkreises auf Assessoren im konkreten Fall und somit mittelbar der Ausschluss bereits auf Lebenszeit ernannter Richterkollegen wird vor diesem Hintergrund vom Verwaltungsgerichtshof als gerechtfertigt angesehen, solange die Zahl der beschränkt ausgeschriebenen Stellen die Zahl der „ernennungsreifen“ Proberichter nicht übersteige.

Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn vermittle zudem grundsätzlich keinen Anspruch auf eine bestimmte fachliche oder örtliche Verwendung oder auf Verwendung auf einem bestimmten Dienstposten (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 27.10.2015, Az. 1 WB 56/14).

Bei rechtlichen Fragestellungen zum Beamtenrecht, insbesondere auch Disziplinarverfahren, stehen Ihnen die Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach gerne zur Verfügung. Sie erreichen uns telefonisch oder jederzeit per E-Mail unter kontakt@goi-anwaelte.de.


VERWALTUNGSRECHT

Hochschulrecht: VG Sigmaringen zur Exmatrikulation durch Verwaltungsakt Beschluss Az. 8 K 309/23

#108 | 13.04.2024

In einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen klargestellt, dass die Exmatrikulation nach § 62 Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg durch Verwaltungsakt erfolgt. Die Wirkungen der Exmatrikulation treten nicht schon aufgrund des Verlusts des Prüfungsanspruchs allein mit Erlass des negativen Prüfungsbescheids ein. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach erläutert die Entscheidung.

Die Antragstellerin wehrt sich gegen den Vollzug ihrer Exmatrikulation durch die Universität Ulm. Die Universität hatte keinen Exmatrikulationsbescheid erlassen, sondern lediglich eine Verfügung zum Verlust des Prüfungsanspruchs. Diese, so die Auffassung der Universität, führe zur normativen Rechtsfolge der Exmatrikulation von Amts wegen gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 3 Landeshochschulgesetz.

Dem ist das Verwaltungsgericht entschieden entgegengetreten. Bei der Exmatrikulation handele es sich um einen Verwaltungsakt, der in einem einmaligen rechtsgestaltenden Ausspruch die Rechtsstellung des Studierenden als Mitglied der Hochschule zum Erlöschen bringe. Das Gericht verweist auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 1.12.2015, Az. 9 S 1611/15). Dies folge schon aus dem Wortlaut der einschlägigen Vorschriften, etwa § 62 Abs. 4 Landeshochschulgesetz, wonach die Exmatrikulation ausgesprochen und in diesem Zusammenhang auch eine Entscheidung über den Wirksamkeitszeitpunkt getroffen werde. Ferner würden der eigenständige Regelungscharakter der Exmatrikulation und der Charakter als Verwaltungsakt aus der gesetzlichen Systematik folgen. Denn das Gesetz kenne zwingende (§ 60 Abs. 2 LHG) und fakultative (§ 62 Abs. 3 LHG) Exmatrikulationsgründe. Bei beiden werde der Ausdruck „von Amts wegen“ verwendet. Dies sage also nichts über die Gebundenheit der Entscheidung aus. Dem Ausdruck könne mithin keine normative Rechtsfolge entnommen werden. Somit bestehe die Mitgliedschaft der Antragstellerin bei der Universität mit ihren daraus folgenden Rechten weiterhin. Der Eilantrag hatte Erfolg.

Bei Fragestellungen rund um das Hochschulrecht sowie Prüfungsrecht steht Ihnen Fachanwalt Tobias Ibach gerne telefonisch oder direkt per E-Mail unter ibach@goi-anwaelte.de zur Verfügung.


IMMOBILIEN & BAURECHT

BGH zur HOAI 2013: Das Preisrecht der HOAI 2013 gilt auch für öffentliche Auftraggeber

#107 | 06.04.2024

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 14. Februar 2024 eine richtungsweisende Entscheidung zur Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI 2013) gefällt. Aktenzeichen VII ZR 221/22 wurde eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in einem vorangegangenen Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe mit kurzer Begründung abgelehnt.

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Auslegung der Mindestsätze der HOAI 2013 und deren Auswirkungen auf Verträge zwischen Architekten bzw. Ingenieuren und ihren Auftraggebern, sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor.

Der BGH-Beschluss: Keine Ungleichbehandlung durch HOAI 2013

Der Kern der BGH-Entscheidung dreht sich um die wichtige Frage, ob die festgelegten Mindestsätze der HOAI 2013 zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung zwischen privaten und öffentlichen Auftraggebern führen. Der BGH verneinte dies und stellte klar, dass das Mindestsatzrecht der HOAI 2013 auch in Fällen von Aufstockungsklagen gegenüber öffentlichen Auftraggebern Anwendung findet. Das Gericht betonte, dass öffentliche Auftraggeber nicht von einer fehlerhaften Umsetzung der EU-Richtlinien profitieren dürfen, was die Rechtsposition von Architekten und Ingenieuren stärkt.

Bedeutung von Aufstockungsklagen nach HOAI

Aufstockungsklagen bieten Architekten und Ingenieuren nach wie vor die Möglichkeit, eine Anpassung ihres Honorars an die Mindestsätze der HOAI 2013 zu verlangen, falls ursprünglich ein niedrigeres Honorar vereinbart und die Mindestsätze der HOAI unterschritten wurden. Der BGH unterstreicht mit seiner Entscheidung die Rechtssicherheit und die Bedeutung einer fairen Vergütung für die erbrachten Leistungen. Den Architekten freut es, den Bauherren ärgert es, weil er vielfach mit einem niedrigeren Honorar gerechnet und oftmals damit geplant hat.

Kritische Würdigung und offene Fragen

Trotz der Bestätigung der Anwendbarkeit der Mindestsätze wirft die Entscheidung Fragen bezüglich der Vertragsfreiheit und der Vereinbarkeit der HOAI 2013 mit dem EU-Recht auf. Insbesondere die Auslegung der Formvorschriften und ihre Auswirkungen auf die automatische Anwendung der Mindestsätze bedürfen weiterer Klärung. An diese traut sich der BGH derzeit noch nicht heran.

Fazit: Wichtiger Meilenstein mit weiterem Diskussionsbedarf

Die Entscheidung des BGH im Fall VII ZR 221/22 ist ein bedeutender Meilenstein in der Diskussion um das Architektenrecht und die HOAI 2013. Sie verdeutlicht die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Honorierung von Architekten- und Ingenieurleistungen und betont die Notwendigkeit einer angemessenen Vergütung. Gleichzeitig bleiben wichtige Fragen zur Vereinbarkeit mit dem EU-Recht offen, die in der Zukunft weiterer Klärung bedürfen. Geradezu mies kann es leider für die Bauherren laufen, wenn der Architekt von seinem Aufstockungsrecht nachträglich Gebrauch macht und ein höheres Honorar verlangt, als man ursprünglich geplant hatte.

Wir, die Rechtsanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach, bleiben am Ball und werden über die weiteren Entwicklungen berichten. Wir führen Sie zudem sicher und loyal auch durch dieses komplexe Terrain und setzen Aufstockungsklagen durch oder wehren sie – in den engen Grenzen der Rechtsprechung - auch ab. Wir sind Rechtsanwälte und Fachanwälte und verstehen uns als Kompass für unsere Mandanten. Für diese entwerfen wir individuelle Strategien und Lösungen, auch außerhalb ausgetretener juristischer Pfade. Kontaktieren Sie uns!


VERWALTUNGSRECHT

Beamtenrecht: Urteil VGH Baden-Württemberg vom 28.11.2023, Az. DB 16 S 699/23

#106 | 09.02.2024

In einer aktuellen beamtenrechtlichen Entscheidung zum Disziplinarrecht hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Entfernung eines Beamten aus dem Beamtenverhältnis wegen Leugnung der rechtlichen Existenz der Bundesrepublik Deutschland bestätigt. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach erläutert das Urteil.

Streitgegenständlich war die Entfernung eines in der Bundeswehrverwaltung tätigen Beamten aus dem Dienstverhältnis im Rahmen eines Disziplinarverfahrens. Anlass war die Beantragung eines Staatsangehörigkeitsausweises durch den Beamten. Hierbei gab er mehrfach als Geburtsstaat und Wohnsitzstaat das Großherzogtum Hessen an und erklärte, die Staatsangehörigkeit des Großherzogtums Hessen durch Geburt erworben zu haben. Auch seine Aufenthaltsorte seit Geburt ordnete er dem Großherzogtum Hessen sowie den Königreichen Preußen und Bayern zu. In den entsprechenden Formularen bezog er sich mehrfach auf das Reichs-und Staatsangehörigkeitsgesetz zum Stand 22.07.1913.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bestätigt, dass der Beamte ein Dienstvergehen begangen hat. Er habe vorsätzlich und schuldhaft innerdienstlich seine aus § 60 Abs. 1 S. 3 BBG folgende Verfassungstreuepflicht sowie außerdienstlich seine Pflicht zu achtungs-und vertrauensgerechtem Verhalten gemäß § 61 Abs. 1 S. 3 BBG verletzt. Die Treuepflicht als beamtenrechtliche Kernpflicht sei als solche unteilbar und nicht auf den dienstlichen Bereich beschränkt. Vielmehr sei auch das außerdienstliche Verhalten mit der Folge erfasst, dass bei einem pflichtwidrigen Verhalten wegen der Dienstbezogenheit stets ein innerdienstliches Dienstvergehen gegeben sei.

Der Beamte habe die rechtliche Existenz der Bundesrepublik Deutschland verneint. Es sei schlechterdings unmöglich, die rechtliche Existenz dieses Staates zu leugnen und sich zugleich zu dessen Grundordnung zu bekennen und sich für diese einzusetzen, wie es § 60 Abs. 1 S. 3 BBG verlangt. Der Beamte negiere zugleich die Grundlagen seines Beamtenverhältnisses und verletze seine Verfassungstreuepflicht in schwerwiegender Weise (vgl. Urteil Bundesverwaltungsgericht vom 2.12.2021, Az. 2 A7.21). Weiter bestätigte der Verwaltungsgerichtshof auch, dass aufgrund des festgestellten schwerwiegenden Dienstvergehens die Entfernung aus dem Dienst unumgänglich sei. Das Fehlverhalten wiege in seiner Gesamtheit so schwer, dass der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren habe. Die Entfernung sei daher die angemessene Reaktion auf das Dienstvergehen.

Benötigen auch Sie Unterstützung bei einer beamtenrechtlichen Fragestellung? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Die Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach unterstützen Sie gerne. Unseren Fachanwalt für Verwaltungsrecht Tobias Ibach erreichen Sie auch direkt per E-Mail unter ibach@goi-anwaelte.de


VERWALTUNGSRECHT

Baurecht: Urteil VG Karlsruhe vom 18.10.2023, AZ: 4 K 1112/23

#105 | 05.02.2024

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat in einem aktuellen Urteil zum öffentlichen Baurecht klargestellt, dass nachbarliche Belange auch dann einem Vorhaben entgegenstehen können, wenn das Eigentum von Baugrundstück und Nachbargrundstück in einer Hand liegt. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach geht näher auf die Entscheidung ein.

Die Bauherren und Kläger begehrten die Aufstockung eines Bestandsgebäudes mit Ausbau zu einer Maisonette-Wohnung. Nach Ablehnung der Baugenehmigung und Erlass einer Rückbauverfügung wurde ein verwaltungsgerichtliches Verfahren vor dem Verwaltungsgericht eingeleitet.

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat bestätigt, dass die Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung haben. Vorschriften zur Abstandsflächen, die auch im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind, würden entgegenstehen. Die Abstandsflächen seien im konkreten Fall nicht nach § 5 Abs. 1 S. 2 LBO Baden-Württemberg entbehrlich.

Zudem handle es sich bei dem Vorhaben auch nicht um eine bauliche Anlage, die nach § 6 Abs. 1 LBO ohne eigene Abstandsflächen zulässig wäre. Es sei von einer erheblichen Beeinträchtigung nachbarlicher Belange auszugehen. Der Umstand, dass die Kläger derzeit Eigentümer des Vorhabengrundstücks und des Nachbargrundstücks seien, führe zu nichts Anderem. Nachbarliche Belange seien nämlich nicht zwangsläufig gleichzusetzen mit Belangen des konkreten Nachbarn. Würden nachbarliche Belange im Falle von Eigentümeridentität nicht erheblich beeinträchtigt, hätte es nahegelegen, dass der Gesetzgeber in § 8 LBO, der die Teilung von Grundstücken regelt, hierzu eine Vorgabe gemacht hätte. Stattdessen heißt es dort aber lediglich, dass durch die Teilung eines Grundstücks keine Verhältnisse geschaffen werden dürften, die Vorschriften dieses Gesetzes oder aufgrund dieses Gesetzes widersprächen. Könnten Grundstücke abstandsflächenrechtlich zulässig geteilt werden, weil im Zeitpunkt der Teilung Abstandsflächen wegen Eigentümeridentität nicht einzuhalten wären, würden im Falle eines späteren Eigentümerwechsels Verhältnisse geschaffen, die den Vorschriften der Landesbauordnung widersprechen würden. Das Entstehen bauordnungswidriger Zustände würde mithin provoziert.

Darüber hinaus stellte das Verwaltungsgericht fest, dass das Bauvorhaben sich nach dem Maß der baulichen Nutzung nicht gemäß § 34 BauGB in die Eigenart der näheren Lieferung einfüge. Da die Baumasse im Grenzbereich zum Nachbargrundstück massiv anwachse und dies zu einer erheblichen Nachverdichtung der Bebauung führe, würden beachtliche bodenrechtliche Spannungen begründet. Das Gericht sah letztlich auch keinen Raum für ein Abweichen vom Erfordernis des Einfügens nach § 34 Abs. 3a BauGB, da die Abweichung städtebaulich nicht vertretbar wäre. Den Klägern blieb damit die begehrte Baugenehmigung versagt.

Bei Fragestellungen aus dem öffentlich Baurecht stehen Ihnen die Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach jederzeit gerne zur Verfügung. Unseren Fachanwalt für Verwaltungsrecht Tobias Ibach erreichen Sie auch direkt per E-Mail unter ibach@goi-anwaelte.de


HANDELS- & GESELLSCHAFTSRECHT

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.08.2023, AZ 3 Wx 104/23

#104 | 02.02.2024

Wann ist eine Firmenbezeichnung irreführend, sodass kein Einspruch auf Eintragung in das Handelsregister besteht? Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat sich kürzlich mit dieser handelsrechtlichen Thematik beschäftigt. Unser Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht in Pforzheim und Karlsruhe Tobias Ibach stellt die Entscheidung vor.

Das zuständige Registergericht hatte die Eintragung einer GmbH unter der Firma „Institut für Einfachheit GmbH“ unter Berufung auf § 18 Abs. 2 HGB verweigert. Die Anforderungen der Rechtsprechung für eine zulässige Verwendung des Begriffs „Institut“ seien nicht erfüllt. Es entstehe der Eindruck, dass es sich um ein klassisches Institut handle, dass sich der Erforschung des Themas Einfachheit widme.

Die GmbH hingegen argumentierte, die Bezeichnung „Institut“ sei in Verbindung mit den Worten „für Einfachheit“ zu sehen und dadurch erkennbar eine ironische Bezeichnung. Dies ergebe sich aus der Kontrastierung des eher mit Komplexität und schwierigen Dingen assoziierten Wortes „Instituts“ mit den Worten „für Einfachheit“. Durch den Zusatz sei eindeutig klargestellt, dass es sich nicht um eine öffentliche oder unter öffentlicher Aufsicht stehende wissenschaftliche Einrichtungen handle.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat der GmbH am Ende recht gegeben. Anders als in der Vergangenheit führe heute alleine die Bezeichnung als „Institut“ für sich betrachtet den angesprochenen Verkehr nicht mehr zu der Vorstellung, es handele sich um eine öffentliche oder unter öffentlicher Aufsicht oder Förderung stehende, der Allgemeinheit und der Wissenschaft dienende Einrichtung mit wissenschaftlichem Personal und nicht um einen privaten Gewerbebetrieb bzw. eine private Vereinigung. Eine Irreführung durch die Firma sei daher nicht ersichtlich. Der Namenszusatz „für Einfachheit“ sei wieder identisch mit universitären Studienganggängen oder Forschungszweigen, noch weise er auf eine bestimmte Fachrichtung hin. Er sei auch nicht geeignet, die Vorstellung einer wissenschaftlichen Einrichtung, die mit dem Wort „Institut“ verbunden werden könnte, zu verstärken.

Benötigen auch Sie Unterstützung bei wirtschaftsrechtlichen bzw. gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Die Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach unterstützen Sie gerne. Unseren Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht in Pforzheim und Karlsruhe Tobias Ibach erreichen Sie auch direkt per E-Mail unter ibach@goi-anwaelte.de


VERWALTUNGSRECHT

Beamtenrecht: Beschluss VGH Baden-Württemberg vom 15.01.2024, AZ DL 16 S 1866/23

#103 | 28.01.2024

In einem aktuellen Beschluss aus dem Beamtenrecht beschäftigt sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit der Fragestellung, unter welchen Voraussetzungen von einem zureichenden Grund für den fehlenden Abschluss eines Disziplinarverfahrens ausgegangen werden darf. Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Baden-Baden und Pforzheim Tobias Ibach erläutert die Entscheidung.

Eine der unangenehmsten Situationen, in welche ein Beamter geraten kann, stellt die Eröffnung eines Disziplinarverfahrens gegen ihn dar. Dies ist auch dem Gesetzgeber bewusst. Deshalb sollen solche Disziplinarverfahren möglichst schnell zum Abschluss gebracht werden (sog. Beschleunigungsgebot, unter anderem statuiert in § 4 BDG). Dementsprechend kann der Beamte nach § 37 Abs. 3 Landesdisziplinargesetz Baden-Württemberg beim Verwaltungsgericht beantragen, dass dieses eine Frist zum Abschluss des Verfahrens bestimmt, soweit das Verfahren innerhalb von sechs Monaten seit der Einleitung nicht abgeschlossen ist. Voraussetzung für die Bestimmung einer solchen Frist durch das Gericht ist, dass kein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss vorliegt.

In der angesprochenen Entscheidung hat der Verwaltungsgerichtshof zunächst festgehalten, dass eine Aussetzung des Disziplinarverfahrens (§ 13 Landesdisziplinargesetz) zwar den Ablauf der Frist des § 37 Abs. 3 S. 1 LBG nicht hemmt. Jedoch könne die Aussetzung einen zureichenden Grund im Sinne der Norm für den fehlenden Abschluss des Verfahrens bilden. Im konkreten Fall war die Aussetzung rechtswidrig erfolgt. Die rechtsfehlerhafte Aussetzungsentscheidung müsse sich der Dienstherr zurechnen lassen. Darauf, ob im weiteren Verlauf des Verfahrens Umstände eintreten, die weitere Ermittlungen im Disziplinarverfahren notwendig machen, komme es dann nicht mehr an. Ein zureichender Grund für den fehlenden Abschluss des Verfahrens innerhalb von sechs Monaten könne daher nicht allein darin liegen, dass der Dienstherr nach zuvor eingetretener unangemessener Verzögerung die zeitlichen Mängel der Verfahrensgestaltung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag bereits abgestellt hat und mit einer zügigen Fortführung und Beendigung des Disziplinarverfahrens gerechnet werden kann. Soweit das Gericht eine unangemessene Verfahrensverzögerung festgestellt habe, stehe die Fristsetzung als solche nicht in dessen Ermessen, sondern sei für das Gericht zwingend geboten.

Fazit: Eine Entscheidung im Sinne der betroffenen Beamten, welche dem Beschleunigungsgebot Rechnung trägt.

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HANDELS- & GESELLSCHAFTSRECHT

BGH Beschluss vom 24.10.2023, Az. II ZB 3/23

#102 | 27.01.2024

In einem aktuellen Beschluss zum Gesellschaftsrecht hat sich der Bundesgerichtshof mit dem Umfang der Auskunftsrechte eines Gesellschafters auseinandergesetzt. Tobias Ibach, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht in Pforzheim und Karlsruhe stellt die Entscheidung vor.

Die Klägerin ist Kommanditistin einer Investment-KG und begehrt Auskunft über persönliche Daten sowie die Beteiligungshöhe der an Fondsgesellschaft beteiligten Treugeber-Kommanditisten. Sie führte zur Begründung aus, sie benötige die Gesellschafterliste, um mit den Gesellschaftern zur Vorbereitung einer Gesellschafterversammlung und zum Zwecke des Meinungsaustauschs in Kontakt zu treten. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass die Daten dazu benötigt würden, den Mitgesellschaftern ein Kaufangebot zu unterbreiten. Die Geschäftsführung der Gesellschaft lehnte dies ab und monierte eine unzulässige Rechtsausübung sowie einen Missbrauch des Auskunftsrechts.

Hierzu stellte der BGH nunmehr klar:

Ein Auskunftsersuchen des Gesellschafters, das auch dem Ziel dient, die Namen, Anschriften und Beteiligungshöhe der Mitgesellschafter dazu zu verwenden, diesen Kaufangebote für ihre Anteile zu unterbreiten, stellt keine unzulässige Rechtsausübung und keinen Missbrauch des Auskunftsrechts dar. Wer sich an einer Personen-bzw. Personenhandelsgesellschaft, insbesondere in Form einer Publikumsgesellschaft beteiligt, muss damit rechnen, dass neben seinen Daten auch seine Beteiligungshöhe an seine Mitgesellschafter bzw. diesen gleichgestellten Mit-Treugebern mitgeteilt wird. Aufgrund des durch den Gesellschaftsvertrag begründeten Vertragsverhältnisses ist es ein unentziehbares mitgliedschaftliches Recht des Gesellschafters, die Beteiligungshöhe seiner Mitgesellschafter zu erfahren.

Einem solchen Auskunftsbegehren stehen auch nicht die Regelungen der Datenschutzgrundverordnung entgegen. Der die Auskunft begehrende Gesellschafter muss sich auch nicht in Anlehnung an § 127a AktG auf ein Internetforum oder auf die Einrichtung eines Datentreuhänders als milderes Mittel verweisen lassen. Es muss den Gesellschaftern überlassen bleiben, auf welchem Weg und in welcher Weise sie sich an ihre Mitgesellschafter wenden wollen. Dem Merkmal der Erforderlichkeit im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Unterabsatz 1 b) Datenschutz Grundverordnung (DSGVO) ist damit Genüge getan.

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VERWALTUNGSRECHT

Öffentliches Baurecht: VG Stuttgart (Urteil vom 26.09.2023, Az. 6 K 2949/21) zur Änderung der Nutzung einer Gaststätte in eine Spielhalle

#101 | 03.12.2023

In einer interessanten Entscheidung hat sich das VG Stuttgart näher mit der Frage, wann sich ein Vorhaben nach der Art seiner baulichen Nutzung gem. § 34 I BauGB in eine Gemengelage einfügt, befasst. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach stellt die Entscheidung aus dem öffentlichen Baurecht vor.

Die Klägerin begehrt eine Baugenehmigung für die Änderung der Nutzung einer Gaststätte in eine Spielhalle mit zwölf Spielgeräten. Das Vorhabengrundstück befindet sich zwar im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, dieser enthält für das konkrete Grundstück aber keine Festsetzungen. Im westlichen Bereich wird das Gebiet als „gemischt gewerbliches Gebiet“ bezeichnet. Die Behörde lehnte dies ab und verwies darauf, dass die Spielhalle zu den kerngebietstypischen Betrieben zählen würde. Zudem befinde sich das Vorhaben Grundstück in einem faktischen Mischgebiet (§ 6 BauNVO).

Das Verwaltungsgericht hat die auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung zur Nutzungsänderung gerichtete Klage abgewiesen. Das Vorhaben sei nicht genehmigungsfähig, weil ihm bauplanungsrechtliche Vorschriften entgegenstünden. Es füge sich nach Art der baulichen Nutzung nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Diese stelle sich als Gemengelage dar, in welcher die Spielhalle als Vergnügungsstätte ihrer Art nach nicht zulässig sei.

Im Einzelnen hat das Gericht diesbezüglich ausgeführt:

„Maßstab für die Zulässigkeit eines Vorhabens ist die Eigenart der näheren Umgebung. Der die nähere Umgebung bildende Bereich reicht so weit, wie sich die Ausführung des zur Genehmigung gestellten Vorhabens auswirken kann und wie die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Vorhabengrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Die nähere Umgebung ist für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 für die Zulässigkeit von Vorhaben benannten Merkmale - Art und Maß der baulichen Nutzung, Bauweise und überbaubare Grundstücksfläche - gesondert zu ermitteln. Bei der Bestimmung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung eines Grundstücks ist der Umkreis der zu beachtenden vorhandenen Bebauung in der Regel enger zu begrenzen als bei der Ermittlung des Gebietscharakters. Die räumlichen Grenzen der näheren Umgebung sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist. Daher kann die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung etwa dort zu ziehen sein, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedenen Bau- und Nutzungsstrukturen aneinanderstoßen. Die Grenzen lassen sich dabei jedoch nicht schematisch bestimmen. So kann bei der Bestimmung der näheren Umgebung auch die unterschiedliche Bebauung diesseits und jenseits einer Straße eine Rolle spielen, wobei der Straße dann gegebenenfalls eine trennende oder verbindende Wirkung zukommen kann. Eine Bebauung oder bauliche Nutzung, die in früherer Zeit zwar genehmigt worden ist, die in den tatsächlichen Gegebenheiten aber deshalb keinen sichtbaren Niederschlag mehr findet, weil sie später wieder beseitigt oder eingestellt worden ist, hat bei der Qualifizierung der „Eigenart der näheren Umgebung“ i.S. des § 34 Abs. 1 BauGB grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Allerdings verliert ein Altbestand, der vernichtet, oder eine Nutzung, die aufgegeben worden ist, nicht automatisch die prägende Kraft, von der § 34 Abs. 1 BauGB es abhängen lässt, wie weit der Bezugsrahmen reicht. Die Prägung dauert fort, solange mit einer Wiederbebauung oder einer Wiederaufnahme der Nutzung zu rechnen ist. Innerhalb welcher zeitlichen Grenzen Gelegenheit besteht, an die früheren Verhältnisse wieder anzuknüpfen, richtet sich nach der Verkehrsauffassung.“

Die so abgegrenzte nähere Umgebung sei als Gemengelage zu qualifizieren:

„Denn sie entspricht keinem der Baugebiete aus der Baunutzungsverordnung. Sie kann zunächst nicht als Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO eingestuft werden, da sich in dieser Umgebung ein relevanter Anteil an Wohnnutzung findet, der auch nicht nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO ausnahmsweise in einem Gewerbegebiet zulässig ist. Hinzu kommt der im Gewerbegebiet nicht zulässige großflächige Einzelhandelsbetrieb. Weiter entspricht die nähere Umgebung keinem Mischgebiet nach § 6 BauNVO. Bei der Straßenmeisterei, der Schreinerei und insbesondere dem Bagger- und LKW-Verleih handelt es sich um das Wohnen wesentlich störende Gewerbebetriebe. Hinzu kommt ebenfalls der im Mischgebiet nicht zulässige großflächige Einzelhandelsbetrieb und die Straßenmeisterei als öffentlicher Betrieb (mit Lagerplatz) im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Var. 4 BauNVO, der im Mischgebiet auch nicht ausnahmsweise zulässig ist. Weiter ist zu berücksichtigen, dass es auch an einem für ein Mischgebiet erforderlichen gleichrangigen Nebeneinander von Wohnnutzung und Gewerbe fehlt, da die gewerblichen Betriebe das Gebiet - nicht nur flächenmäßig - stark dominieren. Da andere Baugebiete der Baunutzungsverordnung vorliegend nicht in Betracht kommen, ist von einer Gemengelage auszugehen.“

In dieser Gemengelage sei die Spielhalle ihrer Art nach nicht zulässig. Zur Begründung führt das Gericht aus:

„Ob sich ein Vorhaben nach der Art der baulichen Nutzung im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB in eine Gemengelage einfügt, bestimmt sich - wie auch sonst bei § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB - nach dem dort geltenden maßgeblichen Rahmen. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung nach der vorhandenen Bebauung nicht einem der Baugebiete der BauNVO, sondern weist sie Merkmale mehrerer Baugebiete auf, so sind nach diesen Maßgaben nicht etwa alle Arten von baulichen Nutzungen zulässig, die in den nach der Eigenart der näheren Umgebung jeweils in Betracht kommenden Baugebieten nach der Baunutzungsverordnung zulässig wären. Vielmehr wird der für die Beurteilung des Sich-Einfügens maßgebliche Rahmen innerhalb des Spektrums der nach den angesprochenen Gebietstypen zulässigen Nutzungsarten von den in der näheren Umgebung auch tatsächlich vorhandenen Nutzungen begrenzt. Sind indessen in der näheren Umgebung solche den Begriffsbestimmungen der Baunutzungsverordnung entsprechenden Nutzungsarten vorhanden, so hält ein Vorhaben, das die Merkmale einer solchen Nutzungsart aufweist, ohne weiteres den vorhandenen Rahmen ein.

Bei Feststellung des maßgeblichen Rahmens ist die Typisierung der Nutzungsarten, wie sie in der BauNVO vorgenommen ist, grundsätzlich maßgeblich. Die Bestimmung des Rahmens, in den sich ein Vorhaben nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB einfügen muss, richtet sich grundsätzlich nach den in der Baunutzungsverordnung für die einzelnen Baugebiete typisierten Nutzungsarten, soweit diese in der näheren Umgebung tatsächlich vorhanden sind. Denn diese stellen eine sachverständige Konkretisierung moderner Planungsgrundsätze dar. Die Baunutzungsverordnung ist mithin - als sachverständige Konkretisierung moderner Grundsätze des Städtebaus - eine Auslegungshilfe bei Anwendung des § 34 Abs. 1 BauGB. Deswegen ist sie nicht rechtssatzartig heranzuziehen, denn nicht auf die Wertungen des Verordnungsgebers, sondern auf die des Gesetzgebers kommt es bei der Anwendung des § 34 Abs. 1 BauGB an, weshalb eine konkrete, am tatsächlich Vorhandenen ausgerichtete Betrachtung maßgeblich ist. Dem Umstand, dass die Baunutzungsverordnungen seit Langem Vergnügungsstätten als besondere Nutzungsart erfassen, sie also aus dem allgemeinen Begriff des (sonstigen) Gewerbebetriebs herausgenommen wurden, kommt dabei allerdings Bedeutung zu. Denn ihre Erwähnung macht deutlich, dass es sich um städtebaulich bedeutsame Typen der baulichen Nutzung handelt. In seinem Urteil vom 15.12.1994 hat das Bundesverwaltungsgericht die (als erstes zu stellende) Frage, ob sich das hinzukommende Vorhaben im Rahmen der bereits in der Umgebung vorhandenen baulichen Nutzung hält, als eine wichtige Vorentscheidung bezeichnet.“

Das Gericht hat die Klage aus diesen Gründen zurückgewiesen.

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VERWALTUNGSRECHT

Beamtenrecht: Aktueller Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts zum Konkurrentenstreit (Beschluss vom 06.10.2023, Az. 2 VR 3.23)

#100 | 01.12.2023

Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem beamtenrechtlichen Beschluss Stellung zu Sonderfragen bei einem Konkurrentenstreit um die Vergabe eines höherwertigen Dienstpostens im Eilrechtsschutzverfahren genommen. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach erläutert die Entscheidung.

Verfahrensgegenstand war die Vergabe eines Beförderungsdienstpostens beim Bundesnachrichtendienst. Der Antragsteller wandte sich gegen die Besetzung des Postens durch den Beigeladenen. Nach Bekanntgabe des Ergebnisses des Auswahlverfahrens suchte er beim Bundesverwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz nach und beantragte, es dem Dienstherrn im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, den Dienstposten mit dem Beigeladenen zu besetzen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in prozessualer Hinsicht klargestellt, dass ein Anordnungsgrund besteht, obwohl Gegenstand des Verfahrens nicht die Vergabe eines statusrechtlichen Amts, welche nach Ernennung nach dem Grundsatz der Ämterstabilität nur schwerlich rückgängig gemacht werden könnte, ist. Denn die Auswahlentscheidung für die Dienstpostenvergabe vermöge die Rechtsstellung des Antragstellers aus Art. 33 Abs. 2 GG dennoch zu beeinträchtigen, weil sie Vorwirkungen auf die nachfolgende Vergabe von Statusämtern entfalten kann. Die Übertragung schaffe die laufbahnrechtlichen Voraussetzungen für eine spätere Beförderung (Vgl. Beschluss Bundesverwaltungsgericht vom 20. Juni 2013, Az. 2 VR 1.13).

In der Sache hatte der Eilantrag hingegen keinen Erfolg. Das Gericht sah keinen Anordnungsanspruch. Im Rahmen der Begründetheit führte es zur Klarstellung aus, dass die Befugnis des Dienstherrn, über die Eignungsanforderungen für einen Dienstposten vorab durch die Vergabe eines Anforderungsprofils zu befinden, aus seiner Organisationsgewalt folge. Ein Bewerber könne zwar im Hinblick auf die sich aus einem Anforderungsprofil ergebenden Vorwirkungen auf die Vergabe eines öffentlichen Amtes geltend machen, selbst in unzulässiger Weise von der Vergabe eines öffentlichen Amtes ausgeschlossen worden zu sein, wenn die Einengung des Bewerberfelds mit den Vorgaben aus Art. 33 Abs. 2 GG nicht vereinbar war. Der Bewerbungsverfahrensanspruch vermittle jedoch keinen Anspruch darauf, dass der Dienstherr den Kreis des möglichen Bewerberfelds durch ein restriktiveres Anforderungsprofil noch weiter einschränkt. Denn Art. 33 Abs. 2 GG schütze nicht vor Konkurrenz. Die Norm vermittle nur ein grundrechtsgleiches Recht auf fehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl.

Benötigen auch Sie Unterstützung bei einer beamtenrechtlichen Fragestellung? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Die Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach unterstützen Sie gerne. Unseren Fachanwalt für Verwaltungsrecht Tobias erreichen Sie auch direkt per E-Mail unter ibach@goi-anwaelte.de.


ARBEITSRECHT

Versandhändler Klingel insolvent

#99 | 08.09.2023

Der Versandhändler Klingel bzw. die dahinterstehende K - Mail Order GmbH & Co. KG aus Pforzheim ist insolvent. Rund 1.300 Mitarbeiter sollen ihre Arbeitsplätze verlieren und sind teilweise schon gekündigt worden.

Die Klingel-Gruppe aus Pforzheim meldete bereits im Mai 2023 ein Insolvenzverfahren in Eigenverantwortung an. Die Hauptgesellschaft von Klingel ist die K - Mail Order GmbH & Co. KG.

Der Versandhandel von Klingel soll jetzt insgesamt eingestellt werden. Ein Großteil der rund 1.300 Mitarbeiter der K – Mail Order GmbH & Co. KG werden ihren Arbeitsplatz bereits zum 30.11.2023 verlieren und sind schon gekündigt, andere sollen später folgen.

Für die gekündigten Mitarbeiter stellen sich jetzt viele Fragen.

Viele davon lassen sich nicht einfach beantworten. Fakt ist aber: wer eine Kündigung erhalten hat, hat ab dem Zugang der Kündigung nur maximal drei Wochen Zeit, sich dagegen vor dem Arbeitsgericht zu wehren, §§ 4, 7 KSchG. Geschieht das nicht, gibt es – bis auf wenige Ausnahmen – keine Möglichkeit mehr, die Kündigung dort noch überprüfen zu lassen. Ausgehend von der Kündigungswelle vom 28.08.2023 wäre demnach Kündigungsschutzklage bis spätestens 18.09.2023 bei Gericht einzureichen.

Allein die Insolvenz für sich genommen rechtfertigt noch nicht die Kündigung der Mitarbeitenden aus betriebsbedingten Gründen. Dazu ist mehr nötig. Zahlreiche Formalien müssen eingehalten werden. Diese sind oftmals auch von unionsrechtlichem Einschlag, wie der Massenentlassungsrichtlinie geprägt. Auch die Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeitenden wird in der Insolvenz nicht leichter. Nach wie vor ist daran das Integrationsamt/KVJS zu beteiligen. Es muss seine Zustimmung erteilen, § 168ff. SGB IX. Erfolgt das nicht, ist die Kündigung unwirksam.

Auch der von Klingel mit dem Betriebsrat nach Pressemitteilungen vereinbarte Interessenausgleich und Sozialplan macht es im Ergebnis nicht einfacher. Auch in diesem Zusammenhang stellen sich zahlreiche Detailfragen, die zur Unwirksamkeit dieses Plans führen können.

Sollte Klingel zudem noch „gerettet“ werden, steht ein Betriebsübergang im Raum. Auch in diesem Zusammenhang gibt es viele Fragen zu beantworten. In der Regel müssen die Mitarbeiter dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses zustimmen.

Die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach sind täglich mit allen Facetten des Arbeitsrechts auch in der Insolvenz konfrontiert und wissen mit diesen umzugehen. Wir stehen Ihnen für eine weitere Beratung und Begleitung auch auf diesem arbeitsrechtlichen Minenfeld gerne zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns!


VERWALTUNGSRECHT

VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.5.2023, DL 16 S 1134/22

#98 | 30.08.2023

Interessante Ausführungen zur Neutralitätspflicht von Polizeibeamten finden sich in einem aktuellen Urteil des VGH Baden-Württemberg zur Aufhebung einer Disziplinarverfügung gegenüber einem Polizeibeamten. Tobias Ibach, Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim erläutert die Entscheidung.

Der Kläger wandte sich gegen seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Die Behörde hatte argumentiert: Diese war als Disziplinarmaßnahme ausgesprochen worden. Er habe seine Gehorsamspflicht verletzt und vielfache Kontakte zum lokalen Rotlichtmilieu gepflegt. Dies habe auch seine Neutralitätspflicht verletzt. Bei einer Zusammenschau der vorsätzlich begangenen Dienstpflichtverletzungen handle es sich um ein schwerwiegendes Dienstvergehen. Sein Verhalten sei eines Polizeibeamten unwürdig und hinterlasse einen verheerenden Eindruck.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Disziplinarverfügung in der Berufungsinstanz aufgehoben. Die Disziplinarverfügung sei wegen eines Bemessungsfehlers rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die auf §§ 31, 38 Landesdisziplinargesetz beruhende Verfügung an einem materiellen Bemessungsfehler leide. Maßgebliche Vorwürfe, die auch Gegenstand eines Strafverfahrens waren, seien nicht wirksam in das Disziplinarverfahren eingeführt worden. Gleichwohl werde auf sie in der Disziplinarverfügung Bezug genommen. Die Ermessensausübung des Beklagten erweise sich als rechtsfehlerhaft, weil die wirksam in das Disziplinarverfahren einbezogenen Pflichtverletzungen die Annahme des Beklagten, es liege bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände ein schweres Dienstvergehen im Sinne von § 31 LDG vor, nicht tragen können. Der Senat werte die geschilderten Pflichtverletzungen als mittelschweres Dienstvergehen. Sie seien zwar gewichtig, würden aber bei der gebotenen Gesamtbetrachtung aller Umstände noch nicht die Schwelle zu einem zur Höchstmaßnahme führenden schweren Dienstvergehen überschreiten.

Von einer Abänderung der Verfügung gemäß § 21 S. 2 AGVwGO sah der Senat ab. Zwar unterliege eine rechtswidrige Disziplinarverfügung nicht zwingend der Aufhebung. Die Disziplinargerichte sollten unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgrundsatzes und aus Gründen der Prozessökonomie in Ausübung ihres richterlichen Ermessens regelmäßig von der Möglichkeit einer Abänderung Gebrauch machen, wenn sich eine Abschlussverfügung als rechtswidrig erweist und die Rechtsverletzung mit der gerichtlichen Entscheidung beseitigt ist. Allerdings sah der Senat im Hinblick auf die nicht wirksam in das Disziplinarverfahren einbezogenen Vorwürfe ausnahmsweise von einer Abänderung der Verfügung ab. Hierbei berücksichtigte er, dass nach entsprechender Ausdehnung des Disziplinarverfahrens den weiteren Vorwürfen erhebliches disziplinarisches Gericht zukomme. So könnten sie in einer Gesamtschau weiterhin die Entfernung des Klägers aus dem Beamtenverhältnis rechtfertigen. Es erscheine daher sachgerecht, entsprechend dem Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens, eine Gesamtwürdigung der in engem zeitlichen und teilweise auch inhaltlichen Zusammenhang stehenden Vorwürfe zu ermöglichen.


VERWALTUNGSRECHT

VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.6.2023, Az. 9 S 1836/21

#97 | 28.08.2023

Nach der Berufungsentscheidung des Verwaltungsgerichtshofs kann die Heilpraktikererlaubnis beschränkt auf das Tätigkeitsgebiet des Chiropraktors mit akademischer Ausbildung erteilt werden. Tobias Ibach, Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim stellt die Entscheidung zur Erteilung einer sektoralen Heilpraktikererlaubnis vor.

Der Antrag des Klägers beim zuständigen Gesundheitsamt, ihm eine auf das Gebiet der Chiropraktik beschränkte Heilpraktikererlaubnis zu erteilen, war von diesem zunächst abgelehnt worden. Denn die Chirotherapie sei in gegenständlicher Hinsicht nicht hinreichend abgrenzbar. Die Erteilung einer eingeschränkten Erlaubnis kommen nicht in Betracht, weil ein Patient nicht wissen und beurteilen könne, welche Behandlungstätigkeiten zum Erlaubnisbereich eines auf den Bereich der Chirotherapie beschränkten Heilpraktikers gehörten.

Das Verwaltungsgericht Freiburg hat der Klage zunächst stattgegeben. In zweiter Instanz wurde das Urteil geändert und die Klage insgesamt abgewiesen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24.7.2019, Az. 9 S1460/18). Das Bundesverwaltungsgericht hat auf die vom Senat zugelassene Revision des Klägers hin mit Urteil vom 25.2.2021 das Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25.2.2021, Az. 3 C 17.19). Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt: Soweit der Senat die Abgrenzbarkeit und Ausdifferenziertheit der Chiropraktiken auch für den Fall verneint habe, dass das Vorhandensein eines entsprechenden normativen Rahmens hierfür nicht allein ausschlaggebend sein sollte, genüge die Prüfung nicht den bundesrechtlichen Anforderungen.

Sodann hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht habe den Beklagten zu Recht verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Erteilung der Erlaubnis zur berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung als Heilpraktiker auf dem Gebiet der Chiropraktik unter Berufung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Anspruchsgrundlage seien § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 des Heilpraktikergesetzes. Durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sei nunmehr geklärt, dass zur Annahme eines hinreichend abgrenzbaren Bereichs der Heilkunde ein vom nationalen Gesetzgeber geschaffener normativer Rahmen, der eindeutig abgegrenzt, ob eine bestimmte Maßnahme zum betreffenden Bereich zählt, nicht zwingend erforderlich sei, auch wenn dies die Abgrenzung eines Teilgebiets der Heilkunde erschwere. Bei der gebotenen wertenden Gesamtschau der maßgeblichen Kriterien kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass der heilkundliche Bereich der Chiropraktik bezogen auf das Tätigkeitsgebiet des Chiropraktors mit akademischer Ausbildung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinreichend abgrenzbar und ausdifferenziert sei. Gewisse Erschwernisse bei der Erlaubniserteilung und Aufsicht für die Gesundheitsämter müssten im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG hingenommen werden.

Insgesamt also eine großzügige und positive Entscheidung zugunsten der Gewerbetreibenden und Bürger. Bei Fragestellungen rund um das Gewerberecht sowie Wirtschaftsverwaltungsrecht steht Ihnen Fachanwalt Tobias Ibach gerne jederzeit telefonisch oder direkt per E-Mail ibach@goi-anwaelte.de zur Verfügung.


IMMOBILIEN & BAURECHT

VgV-Änderung: Bundesrat macht Weg für Änderung der VgV frei. In Kürze müssen tausende Planungsaufträge mehr EU-weit ausgeschrieben werden.

#96 | 11.07.2023

Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 16.06.2023 mehrheitlich der „Verordnung der Anpassung des Vergaberechts an die Einführung neuer elektronischer Standardformulare („eForms“) für EU-Bekanntmachungen und weitere europarechtliche Anforderungen“ zugestimmt.

In der Verordnung ist u. a. geregelt, dass die Auftragswertermittlung von Planungsleistungen in § 3 Abs. 7 S. 2 VgV gestrichen werde. Die Folge daraus wird sein, dass nahezu alle öffentlichen Planungsaufgaben künftig EU-weit ausgeschrieben werden müssen. Hiergegen laufen die Kammern und Verbände bereits Sturm. Sie fürchten eine Verlagerung ihrer Leistungen hin zu Total- und Generalunternehmervergaben und dazu massive Verwerfungen im deutschen Planungsmarkt, insbesondere für die mittelstandsgeprägte Planungswirtschaft in Deutschland.

In der bisherigen VgV bestand eine deutsche Sonderregelung darin, dass bei der Auftragswertermittlung von Planungsleistungen durch § 3 Abs. 7 S. 2 VgV die Möglichkeit eröffnet wurde, nur den Wert für Lose gleichartiger Leistungen zusammenzurechnen. In dieser deutschen Sonderlösung sah die EU-Kommission jedoch einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 8 der klassischen Vergaberichtlinie (2014/24/EU) und hat deswegen im Jahr 2019 ein entsprechendes Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet.

Auf dieses Vertragsverletzungsverfahren hat das BMWK jetzt mit der Streichung von § 3 Abs. 7 S. 2 VgV reagiert. Es will dadurch eine missverständliche Auslegung der Regelungen zur Auftragswertschätzung bei Planungsleistungen verhindern. Jetzt sind die Werte (Honorare) für Planungsleistungen für ein zu planendes Objekt im Rahmen der Auftragswertschätzung zu addieren, soweit die Leistungen einen wirtschaftlichen und technischen Zusammenhang bei innerer Kohärenz aufweisen, was in den überwiegenden Fällen jetzt gegeben sein dürfte und zum Erreichen maßgeblichen EU-Schwellenwert (zur Zeit 215.000 Euro) führen dürfte, sodass alle Planungsleistungen europaweit auszuschreiben sein werden.

Die neue Regelung zur Auftragswertermittlung von Planungsleistungen tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Das deutsche und europaweite Vergaberecht ist stetig im Fluss. Wir bleiben auch in diesem Zusammenhang am Ball und werden die weiteren Entwicklungen im Auge behalten. Auch haben wir eine besondere Expertise in der Bewältigung vielschichtiger Vergaberechtsstreitigkeiten und führen Sie daher auch sicher und loyal durch dieses komplexe Terrain. Wir sind Rechtsanwälte und Fachanwälte und verstehen uns als Kompass für unsere Mandanten. Für diese entwerfen wir individuelle Strategien und Lösungen, auch außerhalb ausgetretener juristischer Pfade.


ARBEITSRECHT

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen während der Kündigungsfrist

#95 | 06.07.2023

(unliebsame) Krankschreibungspraxis: Erschütterung des Beweiswertes von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen während der Kündigungsfrist ist möglich. Mit seinem Urteil vom 02.05.2023 schiebt nun auch das LAG Schleswig-Holstein unter dem Aktenzeichen 2 Sa 203/22 einer vielfach von Arbeitnehmerseite aus gelebten Praxis einen Riegel vor. Es liegt damit auf der Linie des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 08.09.2021 - 5 AZR 149/21. Wir haben über dieses bereits hier berichtet.

(unliebsame) Krankschreibungspraxis: Erschütterung des Beweiswertes von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen während der Kündigungsfrist ist möglich. Mit seinem Urteil vom 02.05.2023 schiebt nun auch das LAG Schleswig-Holstein unter dem Aktenzeichen 2 Sa 203/22 einer vielfach von Arbeitnehmerseite aus gelebten Praxis einen Riegel vor. Es liegt damit auf der Linie des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 08.09.2021 - 5 AZR 149/21. Wir haben über dieses bereits hier berichtet.

Die Klägerin, eine Pflegeassistentin, hatte am 04.05.2022 eine Kündigung mit Datum 05.05.2022 auf dem Kündigungsschreiben verfasst und zum 15.06.2022 (Beendigungstermin) gekündigt. Gleichzeitig bat sie darin den Arbeitgeber insbesondere um die Zusendung einer Kündigungsbestätigung und auch um Überlassung ihrer Arbeitspapiere direkt an ihre Wohnanschrift. Ab dem 05.05.2022 erschien sie dann nicht mehr zur Arbeit und meldete sich beim Arbeitgeber arbeitsunfähig krank. Augenfällig war dann weiter, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen des behandelnden Arztes genau nach sechs Wochen und damit zum Ende der Entgeltfortzahlungspflicht sowie dem Beendigungstermin des Arbeitsverhältnisses an sich endeten. Der beklagte Arbeitgeber verweigerte daraufhin die Entgeltfortzahlung an die Pflegeassistentin und sah den Beweiswert der ihm überlassenen ärztlichen AU-Bescheinigungen als erschüttert an. Hiergegen ging die Arbeitnehmerin gerichtlich vor. Ihre auf Entgeltfortzahlungsklage gerichtete Klage blieb in II. Instanz vor dem LAG jetzt – zu Recht - erfolglos.

In seiner Entscheidung verweist das LAG zunächst auf den hohen Beweiswert von ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Diese kann der Arbeitgeber nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben. Gelingt ihm das, ist die Folge daraus, dass der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt und der Arbeitnehmer muss den Vollbeweis für seine tatsächliche Arbeitsunfähigkeit erbringen.

Nach dem LAG Schleswig-Holstein kann der Beweiswert dann auch als erschüttert angesehen werden, wenn die vom Arbeitnehmer vorgelegten einzelnen AU-Bescheinigungen zusammengerechnet auf den Beendigungstermin enden oder aber zeitgleich mit dem maximalen Entgeltfortzahlungszeitraum von sechs Wochen zusammenfallen und erschwerend hinzukommt, dass der Arbeitnehmer es schon mit dem Kündigungsschreiben darauf angelegt haben könnte, nicht mehr zur Arbeit zu erscheinen.

So war es hier: Die Arbeitnehmerin hat bereits mit Ihrer Kündigungserklärung die Herausgabe der Arbeitspapiere verlangt und diese nach Hause überlassen haben wollen. Passgenau legte sie dann mehrere AU-Bescheinigungen vor, die zusammengerechnet mit dem Kündigungstermin endeten. Das reichte dem LAG den Beweiswert der ärztlichen Bescheinigungen als erschüttert anzusehen und die Arbeitnehmerin musste daraufhin den Vollbeweis für ihre Arbeitsunfähigkeit führen, was ihr nicht gelang. Der Traum Arbeitsentgelt ohne Arbeitsleistung zu erhalten, war ausgeträumt.

Wir haben bereits in ähnlich gelagerten Fällen vor den Arbeitsgerichten für Mandanten unberechtigte Ansprüche auf Entgeltfortzahlung abwehren können. Der Weg dorthin ist manchmal steinig. Oft sind danach die Beweise gegen den Arbeitnehmer aber so erdrückend gewesen, dass sich gegen ihn strafrechtliche Ermittlungen angeschlossen haben und von anderer Seite für ihn weiteres Ungemach ergeben hat.

Die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach sind täglich mit den von der Rechtsprechung sich immer weiter verschärfenden Anforderungen des Rechts konfrontiert und wissen diese zu lösen. Wir stehen Ihnen für eine weitere Beratung und Begleitung auch auf diesem arbeitsrechtlichen Minenfeld gerne zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns!


VERWALTUNGSRECHT

Mobbing-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.03.2023, AZ: 2 C 6.21 zum Beamtenrecht

#94 | 28.06.2023

Umfasst der beamtenrechtliche Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Fürsorgepflicht auch Ersatz für immaterielle Schäden? In einem aktuellen Urteil zum Beamtenrecht geht das Bundesverwaltungsgericht auf die sog. Mobbingproblematik ein und spricht von einer systematischen Verletzung der Fürsorgepflicht durch den Dienstherrn. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach stellt die Entscheidung vor.

Verfahrensgegenstand war das Schadensersatzbegehren der Klägerin wegen Mobbings. Diese war ursprünglich als Stadtverwaltungsoberrätin bei einer Gemeinde in Sachsen-Anhalt beschäftigt und mit der Leitung des Fachbereichs „Bürgerdienste, Recht und Ordnung“ betraut. Nachdem der Oberbürgermeister nach eigenem Bekunden das Vertrauen in sie verloren hatte, erfolgt im Rahmen einer Neuorganisation des Verwaltungsaufbaus eine Umsetzung auf die neugebildete „Stabsstelle Recht“. Während einer krankheitsbedingten Abwesenheit wurde ihr bisheriges Dienstzimmer geräumt. Ihr wurde ein kleines, abgelegenes Dienstzimmer, welches nur durch eine sicherheitsrechtlich bedenkliche Treppe erreichbar ist, zugewiesen.

Die Klägerin hatte hiergegen erfolglos vorläufigen Rechtsschutz in Anspruch genommen. Gleichwohl wurde die Beklagte Gemeinde gerichtlich zur amtsangemessenen Beschäftigung verpflichtet.

Im Rahmen der Revision hat das Bundesverwaltungsgericht das klageabweisende Urteil des OVG Sachsen-Anhalt (Az. 1 L 72/19) aufgehoben. Das Berufungsgericht habe seiner Entscheidung unzutreffende rechtliche Maßstäbe zugrunde gelegt. Es habe insbesondere verkannt, dass mit der Bezeichnung als „Mobbing“ ein bestimmtes Gesamtverhalten als Verletzungshandlung im Rechtssinne qualifiziert werde. Die rechtliche Besonderheit liege darin, dass nicht eine einzelne, abgrenzbare Handlung, sondern die Zusammenfassung mehrerer Einzelakte zu einer Rechtsverletzung des Betroffenen führen könnten. Wesensmerkmal der als „Mobbing“ bezeichneten Beeinträchtigung sei die systematische, sich aus vielen einzelnen Handlungen zusammensetzende Verletzungshandlung, wobei den einzelnen Handlungen bei isolierter Betrachtung eine rechtliche Bedeutung oft nicht zukomme. Das Bundesverwaltungsgericht zitiert an dieser Stelle das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 16.5.2007, Az. 8 ARZ 709/06.

Mobbing sei als ein systematisches Anfeinden, Schikanieren und Diskriminieren zu verstehen. Ein solcher Fall sei vorliegend gegeben. Der Klägerin stehe daher ein Ersatz für immaterielle Schäden zu. Denn die Fürsorgepflicht des Dienstherrn aus § 45 Beamtenstatusgesetz vermittele dem Beamten Anspruch auf Schutz und Wahrung seiner Persönlichkeitsrechte. Sie verpflichte den Dienstherren auch, Schädigungen der körperlichen oder seelischen Gesundheit der Beamten zu vermeiden.

Darüber hinaus stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass die nicht ordnungsgemäße Ausschöpfung der Möglichkeit, Vollziehungsmaßnahmen aus einer einstweiligen Anordnung zu ergreifen, nicht zum Anspruchsverlust entsprechend § 839 Abs. 3 BGB führe. Eine Beamtin, die eine gerichtliche Verfügung gegen ihren Dienstherrn erwirkt habe, dürfe darauf vertrauen, dass dieser der Anordnung des Gerichts Folge leisten werde. Es sei ihr nicht zuzumuten, über die Beschreitung vorläufigen Rechtsschutzes hinaus auch Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihren Dienstherrn einzuleiten. Dabei müsse auch berücksichtigt werden, dass bei Einlegung von Rechtsbehelfen eine Verschlechterung der gegenwärtigen Situation zu befürchten sei.

Haben auch Sie eine Frage zum Beamtenrecht? Die Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach in Karlsruhe und Pforzheim stehen Ihnen gerne zur Verfügung. Wir freuen uns auf Ihren Anruf oder ihre E-Mail an ibach@goi-anwaelte.de!


VERWALTUNGSRECHT

Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 15.05.2023, Az: 3 S 266/23

#93 | 14.06.2023

In einer aktuellen Entscheidung zum öffentlichen Baurecht bezieht der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Stellung zu der Frage, wann eine Doppelhausbebauung trotz Unterschreitung der gebotenen Abstandsflächen ausnahmsweise zugelassen werden kann. Maßgeblich sei insbesondere, dass der quantitative und qualitative Charakter als Doppelhaus gewahrt bleibe. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach erläutert die Entscheidung.

Der Besteller setzt sich gegen ein Bauvorhaben auf dem Nachbargrundstück zur Wehr. Die Grundstücke liegen nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans, sodass § 34 BauGB einschlägig ist. In der ersten Instanz wurde durch das Verwaltungsgericht Stuttgart die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen die Baugenehmigung angeordnet, da das Bauvorhaben die erforderlichen Abstandsflächen nicht einhalte und die Erteilung einer Ausnahme nach § 6 Abs. 3 Nr. 2 LBO wegen einer erheblichen Beeinträchtigung nachbarlicher Belange nicht in Betracht komme.

Auf die Beschwerde der Baubehörde wurde der erstinstanzliche Beschluss geändert und der Eilantrag abgelehnt. Bei der gebotenen Gesamtabwägung würde das öffentliche Interesse an der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehung des angegriffenen Bescheides gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegen. Dessen Klage habe wahrscheinlich keine Aussicht auf Erfolg, denn den Bauherren dürfte eine Ausnahme nach § 6 Abs. 3 Nr. 2 LBO zu erteilen sein.

Zu den rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Ausnahme hat der Verwaltungsgerichtshof ausführlich Stellung bezogen: So liege keine erhebliche Beeinträchtigung von nachbarlichen Belangen vor, wenn die vorhandene Situation in Bezug auf das Nachbargrundstück durch bauordnungsrechtlich relevante Besonderheiten gekennzeichnet ist, die das Interesse des Nachbarn an der Einhaltung des nachbarschützenden Teils der Abstandstiefe deutlich mindern oder als weniger schutzwürdig erscheinen lassen. Allerdings könnten auch durch eine Doppelhausbebauung nachbarliche Interessen erheblich beeinträchtigt werden. Dies wäre etwa der Fall, wenn durch ein grenznahes Vorhaben die Bebaubarkeit des Nachbargrundstücks beeinträchtigt würde (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.4.2009, Az. 3 S5 569/09). Ebenso seien nachbarliche Interessen beeinträchtigt, wenn der quantitative und qualitative Charakter als Doppelhaus im bauplanungsrechtlichen Sinne (§ 22 Abs. 2 BAUNVO) nicht mehr gewahrt sei. Nach diesen Maßgaben würden allerdings im konkreten Fall die nachbarlichen Belange des Antragstellers voraussichtlich nicht erheblich beeinträchtigt werden, da die Balkone als solche die bauordnungsrechtlich gebotenen Abstandsflächen einhielten.

Ferner stellt das Gericht fest, dass dem Bauvorhaben auch keine nachbarschützenden Vorschriften des Bauplanungsrechts entgegenstünden. Eine unzumutbare Beeinträchtigung und somit ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme sei nicht ersichtlich. Vom Bauvorhaben gehe auch keine erdrückende Wirkung aus. Im Rahmen der Prüfung des Rücksichtnahmegebots sei auch zu berücksichtigen, dass das Bauvorhaben im Wesentlichen mit den bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriften im Einklang stehe. Denn im Regelfall sei davon auszugehen, dass das Rücksichtnahmegebot zumindest aus tatsächlichen Gründen nicht verletzt sei, wenn die bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriften eingehalten würden, dabei handle es sich um eine Regelvermutung.

Bei Anfragen rund ums private und öffentlich Baurecht stehen Ihnen die Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach in Karlsruhe und Pforzheim gerne jederzeit zur Verfügung. Wir freuen uns auf Ihren Anruf oder ihre E-Mail an kontakt@goi-anwaelte.de!


VERWALTUNGSRECHT

Urteil des VG Karlsruhe zum gemeindlichen Vorkaufsrecht

#92 | 04.04.2023

Im Rahmen von privaten Immobilientransaktionen kommt es immer häufiger vor, dass von Seiten der Kommune ein sog. gemeindliches Vorkaufsrecht ausgeübt wird. In einer bemerkenswerten Entscheidung aus dem öffentlichen Baurecht hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe festgehalten, welche Grenzen den Gemeinden hierbei gesetzt sind. Unser FACHANWALT für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach stellt die Entscheidung (AZ: 1 K 2548/21) vor.

Die Klägerin hatte mit notariellem Kaufvertrag von der Beigeladenen drei unbebaute Grundstücke erworben. Die beklagte Stadt Mannheim erklärte durch Bescheid die Ausübung des Vorkaufsrechts gemäß § 28 Abs. 2 BauGB für (nur) eines der betroffenen Grundstücke und begründete dies mit der beabsichtigten sozialen Durchmischung der Bevölkerungsstruktur. Die Ausübung des Vorkaufsrechts verfolge dieses Ziel und diene somit dem Wohl der Allgemeinheit, da ein angemessener Anteil des geschaffenen Wohnraums zu preisgünstigen Konditionen vermietet werden könne.

Die Klägerin tritt dem entgegen und hält die Ausübung des Vorkaufsrechts für nicht durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt. Die beklagte Stadt habe mit dem Bebauungsplan ihre städtebaulichen Ziele bereits konkretisiert und dabei bewusst darauf verzichtet, Festsetzungen für die Schaffung sozialen Wohnraums zu treffen. § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 BauGB erfasse die Schaffung preisgünstigen Wohnraums nicht. Zudem verstoße es gegen den Grundsatz der Vertragsidentität nach § 28 Abs. 2 S. 2 BauGB, das Vorkaufsrecht nur für eines der drei durch den Kaufvertrag veräußerten Grundstücke auszuüben.

Die Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe hatte Erfolg: Der Bescheid der Beklagten war aufzuheben. Zur Begründung bezieht sich das Verwaltungsgericht Karlsruhe auf die materielle Rechtswidrigkeit der Verfügung. Die Ausübung des Vorkaufsrechts zur Schaffung preisgünstigen Wohnraums bei Sicherstellung einer sozial durchmischten Bevölkerungsstruktur sei nicht durch das Wohl der Allgemeinheit im Sinne des § 24 Abs. 3 S. 1 BauGB gerechtfertigt. Zwar habe die Beklagte hier Zwecke verfolgt, die dem Wohl der Allgemeinheit dienen und durch den Gesetz Geber gebilligte sind. Diese hätten aber keinen Niederschlag in den Festsetzungen des geltenden Bebauungsplans gefunden. Gegen die Berücksichtigung jeglicher vom Gesetzgeber gebilligten bodenpolitischen, eigentumspolitischen und städtebaulichen Zwecke spreche der gesetzgeberische Wille unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des gemeindlichen Vorkaufsrechts. Im Fall des Bestehens eines Bebauungsplans schließe das Wohl der Allgemeinheit die im Bebauungsplan formulierten sonstigen Gemeinwohlbelange mit ein. Vor diesem Hintergrund habe sich der Begriff des Wohls der Allgemeinheit in § 24 Abs. 3 S. 1 BauGB konkret an den jeweiligen städtebaulichen Zielen des in § 24 Abs. 1 BauGB enthaltenen Katalogs zu orientieren. Die Ausübung eines Vorkaufsrechts könne nicht durch einen hiervon losgelösten, beliebigen Gemeinwohlbelang gerechtfertigt werden. Hierbei verweist das Verwaltungsgericht Karlsruhe für ein entsprechendes Verständnis im Fall des § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauGB auf das Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 30.09.2021 (Az. 3 S 2595/20).

Darüber hinaus stellt das Verwaltungsgericht fest, dass die Ermessensausübung durch den Gemeinderat der Beklagten fehlerhaft gewesen sei. Denn es seien keine sachgerechten Feststellungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen des Herausgreifens nur eines Grundstücks für die Klägerin getroffen worden.

Die Entscheidung zeigt eindrücklich, wie fehleranfällig komplexe Verwaltungsentscheidungen im öffentlichen Baurecht sind. Als betroffener Eigentümer, Verkäufer oder Erwerber sollte daher immer zeitnah, falls möglich noch vor Erlass eines belastenden Bescheides durch die Behörde, ein anwaltlicher Experte auf dem Gebiet des öffentlichen Baurechts hinzugezogen werden. Die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach stehen Ihnen hierbei gerne jederzeit mit Rat und Tat zur Seite. Für eine erste, unverbindliche Kontaktaufnahme erreichen Sie unseren Fachanwalt für Verwaltungsrecht Tobias Ibach telefonisch oder auch direkt per E-Mail unter ibach@goi-anwaelte.de.


VERWALTUNGSRECHT

Folgefehler und Doppelverwertungsverbot - Aktuelle Entscheidung des VGH Baden-Württemberg zum Prüfungsrecht

#91 | 30.03.2023

In einer prüfungsrechtlichen Entscheidung vom 25.01.2023 hat sich der Verwaltungsgerichtshof mit dem allgemeinen Bewertungsgrundsatz des Prüfungsrechts, wonach der Prüfer einen identischen Fehler, der dem Prüfling bei der Bearbeitung einer Prüfungsklausur an mehreren Stellen unterläuft, grundsätzlich nicht mehrfach zu dessen Lasten werten darf, auseinandergesetzt. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach stellt die Entscheidung vor.

Der Kläger wendet sich gegen das endgültige Nichtbestehen der Ersten juristischen Staatsprüfung und begehrt im Berufungsverfahren die Neubewertung einer Aufsichtsarbeit. Die Bewertung sei rechtsfehlerhaft, da die Prüfer wiederholt den Aufbau der Prüfung der §§ 107 ff. BGB (Regelungen zur Geschäftsfähigkeit) kritisiert hätten. Es würde daher eine unzulässige Doppelverwertung vorliegen.

Der Kläger hatte in erster Instanz vor den Verwaltungsgericht Freiburg Erfolg. Auf die Berufung des beklagten Landes wurde allerdings das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen (AZ: 9 S 982/22).

Der Verwaltungsgerichtshof nimmt Entscheidungen zum Anlass, zunächst die Grundsätze zur gerichtlichen Überprüfung von Prüfungsentscheidungen zusammenfassend zu referieren:

„Der das Prüfungsrecht beherrschende Grundsatz der Chancengleichheit gebietet eine gleichmäßige Beurteilung aller vergleichbaren Kandidaten. Dies ist nur erreichbar, wenn den Prüfungsbehörden bei prüfungsspezifischen Wertungen ein Entscheidungsspielraum verbleibt und die gerichtliche Kontrolle insoweit eingeschränkt ist. Der Bewertungsspielraum ist überschritten, wenn die Prüfungsbehörden Verfahrensfehler begehen, anzuwendendes Recht verkennen, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgehen, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzen oder sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.04.1991 - 1 BvR 419/81 […]). Ein in diesem Sinne allgemeingültiger Bewertungsgrundsatz ist es, dass fachlich zutreffende Antworten und brauchbare Lösungen im Prinzip nicht als falsch bewertet werden und nicht zum Nichtbestehen führen dürfen. Soweit die Richtigkeit oder Angemessenheit von Lösungen wegen der Eigenart der Prüfungsfrage nicht eindeutig bestimmbar ist, gebührt zwar dem Prüfer ein Bewertungsspielraum, dem aber ein Antwortspielraum des Prüflings gegenübersteht. Eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung darf nicht als falsch bewertet werden. Fachliche Fragen fallen nicht in den prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraum (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.04.1991, s.o.).

Demgegenüber sind Gegenstände des prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraums etwa die Punktevergabe und Notengebung, soweit diese nicht mathematisch determiniert sind, die Einordnung des Schwierigkeitsgrades einer Aufgabenstellung, bei Stellung verschiedener Aufgaben deren Gewichtung untereinander, die Würdigung der Qualität der Darstellung, die Gewichtung der Stärken und Schwächen in der Bearbeitung sowie die Gewichtung der Bedeutung eines Mangels (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.11.1997 - 6 C 11.96 -, […]). Ebenso handelt es sich um eine dem Prüfer vorbehaltene prüfungsspezifische Wertung, ob im Hinblick auf eine entsprechend definierte Notenstufe bzw. zugeordnete Punktzahl eine Prüfungsleistung als „brauchbar“ oder als „mangelhaft“ zu bewerten ist. In diesen Bereich des prüfungsspezifischen Bewertungsspielraums dürfen die Gerichte grundsätzlich nicht eindringen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.08.2011).“

Der Verwaltungsgerichtshof argumentiert sodann damit, dass es sich um grundsätzlich eigenständige Fehler bei der Rechtsanwendung handle, wenn eine Regelung bzw. ein Regelungskomplex an verschiedenen Stellen der Klausurbearbeitung anzuwenden sei und der Prüfling die entsprechende Subsumtion und damit auch den Prüfungsaufbau mehrfach vorzunehmen habe. Der Grundsatz, wonach das Gewicht eines Folgefehlers in den gerichtlich nur eingeschränkt kontrollierbaren Beurteilungsspielraum des Prüfers falle, gelte auch bei einer bereits im Kontext einer anderen Prüfungsaufgabe geäußerten, wiederholten Kritik des Prüfers am Prüfungsaufbau. Letztlich komme im vorliegenden Fall, bei einer konkreten Betrachtung der Klausurbearbeitung, dem Aufbaufehler jeweils eigenständige Bedeutung zu.

Die Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach stehen Ihnen bei Fragestellungen aus dem Hochschulrecht und Prüfungsrecht gerne jederzeit zur Verfügung. Unseren Fachanwalt für Verwaltungsrecht Tobias Ibach erreichen Sie auch direkt per E-Mail unter ibach@goi-anwaelte.de


VERWALTUNGSRECHT

Beamtenrecht: Keine automatische Erhöhung der Altersgrenze einer Verbeamtung für alle Eltern

#90 | 08.03.2023

Die Regelung in § 48 Abs. 1 S. 2 Landeshaushaltsordnung Baden-Württemberg (LHO) sieht eine Altersgrenze für die Verwaltung von Landesbeamten um zwei Jahre für Bewerber, die Betreuungs- und Pflegezeiten für Kinder oder Angehörige geleistet haben, vor. In einem aktuellen beamtenrechtlichen Beschluss hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg nun festgehalten, dass dies nicht für alle Eltern oder Angehörigen gilt, sondern nur dann, wenn die Betreuung oder Pflege für eine Verzögerung der Einstellung oder Versetzung ursächlich geworden ist. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach erläutert die Entscheidung.

Anlass des Beschlusses des VGH vom 31.1.2023 (Az. 4 S 2551/22) war ein auf Einstellung als Beamter auf Probe in den Schuldienst als Fachlehrer gerichteter Eilantrag nach § 123 Abs. 1 VwGO. Der Antragsteller hatte die Einstellungsgrenze nach § 48 Abs. 1 LHO (Vollendung des 42. Lebensjahres als Altersgrenze) bereits überschritten, berief sich aber darauf, dass er drei Kinder habe und diese neben seiner Vollzeitberufstätigkeit in seiner freien Zeit betreut und erzogen habe.

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg bekräftigt seine enge Auslegung der Ausnahmevorschrift in § 48 Abs. 1 S. 2 LHO (siehe bereits Senatsbeschluss vom 18.3.2014, Az. 4 S 509/14). Die Norm solle erkennbar Härten ausgleichen, welche durch die Verzögerung im beruflichen Werdegang des Bewerbers aufgrund anerkennenswerter Tätigkeiten entstanden sind. Damit würden zugleich solche Fälle ausgeschieden, bei denen die Betreuung oder Pflegezeit ohne wesentlichen zeitlichen Einfluss auf den beruflichen Werdegang geblieben ist. Die Regelung habe offensichtlich nicht die Zielrichtung, eine pauschale Erhöhung der Altersgrenze für alle zu normieren, die Kinder haben.

Explizit führt der Verwaltungsgerichtshof hierzu aus:

„Nur eine solche Auslegung kann dem gesetzgeberischen Willen entsprechen. Zwar spricht die Gesetzesbegründung von einer "pauschalen Erhöhung der Altersgrenze". Eine solche Erhöhung soll aber allein Verzögerungen bei der Verbeamtung Rechnung tragen, die ausdrücklich "durch" Betreuungs- und Pflegezeiten entstanden sind (vgl. LT-Drs. 14/5680, S. 18). Die "pauschale Erhöhung" in § 48 Abs. 1 Satz 2 LHO ist mithin so zu verstehen, dass sie sich nur auf die Länge des Zeitraums von zwei Jahren bezieht - und insoweit voraussetzt, dass die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erhöhung der Altersgrenze, also insbesondere kausale Verzögerungen bei der Einstellung in das Beamtenverhältnis aufgrund Betreuungs- oder Pflegezeiten, überhaupt eingetreten sind (Senatsbeschluss vom 04.05.2018 - 4 S 1394/17 -, Rn. 8). Die Pauschalisierung erleichtert die Gesetzesanwendung also nur insoweit, als die spezifische Dauer der im Einzelfall entstandenen Verzögerung nicht gesondert ermittelt und festgestellt werden muss.

Die Voraussetzungen für eine Erhöhung der maßgeblichen Einstellungsaltersgrenze gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 LHO sind im Falle des Antragstellers nicht erfüllt. Denn bei ihm lässt sich auch nach dem Beschwerdevorbringen eine Auswirkung der mitgeleisteten Kinderbetreuung auf den beruflichen Werdegang nicht hinreichend feststellen.

Die materielle Beweislast für den Ursachenzusammenhang zwischen Kinderbetreuung oder Angehörigenpflege sowie einer Einstellungsverzögerung trägt grundsätzlich der Einstellungsbewerber. Im Falle der Betreuung von minderjährigen Kindern kann regelmäßig von kausalen Verzögerungen der beruflichen Entwicklung ausgegangen werden. Ein solcher Regelfall liegt insbesondere dann nahe, wenn zumindest zeitweise in Teilzeit gearbeitet oder Elternzeit in Anspruch genommen wurde (vgl. Senatsbeschluss vom 18.02.2014 - 4 S 509/14 -, Juris Rn. 8 f.).“

Fazit: Für alle (potentiellen) Bewerber oder Quereinsteiger, welche auf eine Einstellung bzw. Verbeamtung spekulieren, erscheint es ratsam, sich rechtzeitig mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen zu beschäftigen und abzuklären, ob in Ihrem konkreten Fall eine Erhöhung der Altersgrenze infrage kommt oder nicht. Die Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach stehen Ihnen bei beamtenrechtlichen und dienstrechtlichen Fragestellungen gerne jederzeit zur Verfügung.


ARBEITSRECHT

Verfall von Urlaub aus gesundheitlichen Gründen - Bundesarbeitsgericht erhöht Belehrungspflichten des Arbeitgebers massiv und verlangt von ihm hellseherische Fähigkeiten

#89 | 23.12.2022

Der Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub aus einem Urlaubsjahr, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, bevor er aus gesundheitlichen Gründen an der Inanspruchnahme seines Urlaubs gehindert war, erlischt regelmäßig nur dann nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten, wenn der Arbeitgeber ihn rechtzeitig in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub in Anspruch zu nehmen. Dies folgt aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BUrlG.

Der Fall: Der als schwerbehinderter Mensch anerkannte Kläger ist bei der beklagten Flughafengesellschaft als Frachtfahrer im Geschäftsbereich Bodenverkehrsdienste beschäftigt. In der Zeit vom 01.12.2014 bis mindestens August 2019 konnte er wegen voller Erwerbsminderung aus gesundheitlichen Gründen seine Arbeitsleistung nicht erbringen und deshalb seinen Urlaub nicht nehmen. Mit seiner Klage hat er u.a. geltend gemacht, ihm stehe noch Resturlaub aus dem Jahr 2014 zu. Dieser sei nicht verfallen, weil die Beklagte ihren Obliegenheiten, an der Gewährung und Inanspruchnahme von Urlaub mitzuwirken, nicht nachgekommen sei.

Der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 20.12.2022 - 9 AZR 245/19) lässt sich dazu folgendes entnehmen:

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers, die wegen streitiger Urlaubsansprüche aus weiteren Jahren aus prozessualen Gründen zurückzuweisen war, hatte hinsichtlich des Resturlaubs aus dem Jahr 2014 überwiegend Erfolg. Entgegen der Auffassung der Beklagten, verfiel der im Jahr 2014 nicht genommene Urlaub des Klägers nicht allein aus gesundheitlichen Gründen.

Grundsätzlich erlöschen Urlaubsansprüche nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG), wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor durch Erfüllung sog. Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Besonderheiten bestehen, wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaub aus gesundheitlichen Gründen nicht nehmen konnte.

Nach bisheriger Senatsrechtsprechung gingen die gesetzlichen Urlaubsansprüche in einem solchen Fall - bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit - ohne Weiteres mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres unter („15-Monatsfrist“). Diese Rechtsprechung hat der Senat in Umsetzung der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs aufgrund der Vorabentscheidung vom 22.09.2022 (C-518/20 und C-727/20 - [Fraport]), um die ihn der Senat durch Beschluss vom 07.07.2020 (9 AZR 401/19 (A) -) ersucht hat, weiterentwickelt.

Danach verfällt weiterhin der Urlaubsanspruch mit Ablauf der 15-Monatsfrist, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert war, seinen Urlaub anzutreten. Für diesen Fall kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist, weil diese nicht zur Inanspruchnahme des Urlaubs hätten beitragen können.

Anders verhält es sich jedoch, wenn der Arbeitnehmer - wie vorliegend der Kläger - im Urlaubsjahr tatsächlich noch eine Zeit gearbeitet hat, bevor er voll erwerbsgemindert oder krankheitsbedingt arbeitsunfähig geworden ist. In dieser Fallkonstellation setzt die Befristung des Urlaubsanspruchs regelmäßig voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in die Lage zu versetzt hat, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen.

Der für das Jahr 2014 im Umfang von 24 Arbeitstagen noch nicht erfüllte Urlaubsanspruch konnte danach nicht allein deshalb mit Ablauf des 31.03.2016 erlöschen, weil der Kläger nach Eintritt seiner vollen Erwerbsminderung mindestens bis August 2019 aus gesundheitlichen Gründen außerstande war, seinen Urlaub anzutreten. Der Resturlaub blieb ihm für dieses Jahr vielmehr erhalten, weil die Beklagte ihren Mitwirkungsobliegenheiten bis zum 1. Dezember 2014 nicht nachgekommen ist, obwohl ihr dies möglich gewesen wäre.

Über diese Entscheidung kann man in der Praxis nur den Kopf schütteln, muss mit ihr aber bedauerlicherweise leben. Dies deswegen, weil das Bundesarbeitsgericht jetzt vom Arbeitgeber den Blick in die Zukunft und auch noch in die „Glaskugel“ verlangt, damit er vorab beurteilt, ob und ab wann und wie lange ein Mitarbeitender arbeitsunfähig oder - noch schlimmer - voll erwerbsgemindert werden wird, um ihn vorab dann noch über seinen Urlaubsanspruch im Detail belehren zu können.

Die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach sind täglich mit den von der Rechtsprechung sich immer weiter verschärfenden Anforderungen des Rechts konfrontiert und wissen diese zu lösen. Wir stehen Ihnen für weitere Beratung und Begleitung auch auf diesem arbeitsrechtlichen Minenfeld gerne zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns!


ARBEITSRECHT

Verjährung von Urlaubsansprüchen - Belehrungsanforderungen für die Arbeitgeber steigen weiter

#88 | 22.12.2022

Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub unterliegt der gesetzlichen (dreijährigen) Verjährung. Diese beginnt erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

Mit seiner aktuellen Entscheidung setzt das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 20.12.2022 - 9 AZR 266/20 die Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union aufgrund der Vorabentscheidung vom 22.09.2022 (C-120/21) um und macht Ernst mit zusätzlichen Belehrungspflichten für Arbeitgeber.

Seinerzeit hat der Gerichtshof entschieden, dass die Gesundheit der Arbeitnehmer durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme von bezahltem Jahresurlaub durch den Arbeitgeber nachdrücklich zu schützen ist. Die Gewährleistung der Rechtssicherheit dürfe dabei zudem nicht als Vorwand dienen, um zuzulassen, dass sich der Arbeitgeber auf sein eigenes Versäumnis berufe, den Arbeitnehmer nicht in die Lage versetzt zu haben, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich auch auszuüben.

Diesen Grundsätzen folgt jetzt auch das Bundesarbeitsgericht und urteilt in seiner aktuellen Entscheidung (BAG, Urteil vom 20.12.2022 - 9 AZR 266/20) folgendes:

Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub unterliegt der gesetzlichen Verjährung von drei Jahren zum Jahresende. Diese beginnt aber erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen auch tatsächlich belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Versäumt der Arbeitgeber seine entsprechenden Belehrungspflichten, geht dies mit ihm anheim und er muss für seine Säumnisse haften.

Streitgegenständlich beschäftigte der Beklagte die Klägerin vom 01.11.1996 bis zum 31.07.2017 als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte der Beklagte an die Klägerin zur Abgeltung von 14 Urlaubstagen 3.201,38 Euro brutto. Der weitergehenden Forderung der Klägerin, Urlaub im Umfang von weiteren 101 Arbeitstagen aus den Vorjahren abzugelten, kam der Beklagte nicht nach und die Arbeitnehmerin klagte.

Während das Arbeitsgericht die am 06.02.2018 eingereichte Klage - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - abgewiesen hat, sprach das Landesarbeitsgericht der Klägerin weitere 17.376,64 Euro brutto zur Abgeltung weiterer 76 Arbeitstage zu. Dabei erachtete das Landesarbeitsgericht den Einwand des Beklagten, die geltend gemachten Urlaubsansprüche seien verjährt, für nicht durchgreifend.

Sodann hatte die Revision des Arbeitgebers keinen Erfolg.

Zwar finden die Vorschriften über die Verjährung (§ 214 Abs. 1, § 194 Abs. 1 BGB) auf den gesetzlichen Mindesturlaub Anwendung, so das BAG. Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren beginnt bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB jedoch nicht zwangsläufig mit Ende des Urlaubsjahres, sondern erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

Streitgegenständlich hat der Beklagte die Klägerin nicht durch Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt, ihren Urlaubsanspruch auch tatsächlich wahrzunehmen. Die Ansprüche verfielen deshalb weder am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG) noch konnte der Beklagte mit Erfolg einwenden, dass der nicht gewährte Urlaub bereits während des laufenden Arbeitsverhältnisses nach Ablauf von drei Jahren verjährt sei.

Auch durch die aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts wird wieder weiter deutlich, dass alle Arbeitgeber immer mehr Belehrungs- und Hinweispflichten an ihre Mitarbeitenden erfüllen müssen, um den immer weiter steigenden Anforderungen der Rechtsprechung noch genügen zu können. Macht der Arbeitgeber das nicht, läuft er Gefahr, auch noch nach Jahren von ehemaligen Mitarbeitern auf Zahlungen in Anspruch genommen werden zu können. Umgekehrt haben nach der aktuellen Entscheidung des BAG jetzt auch die Arbeitnehmer es leichter, auch nach Jahren noch ein Zubrot vom alten Arbeitgeber holen zu können, mit zum Teil gravierenden finanziellen Folgen für diese.

Die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach sind täglich mit den von der Rechtsprechung vorgegebenen immer weiter steigenden Anforderungen des Rechts konfrontiert. Wir stehen Ihnen für weitere Beratung und Begleitung auch auf diesem arbeitsrechtlichen Minenfeld gerne zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns!


VERWALTUNGSRECHT

Neues aus dem Beamtenrecht: OVG Bremen zum Abbruch des Auswahlverfahrens

#87 | 21.12.2022

Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach stellt eine aktuelle beamtenrechtliche Entscheidung zum Abbruch eines Auswahlverfahrens für einen Beförderungsdienstposten vor.

Mit Beschluss vom 28.11.2022 (AZ: 2 B 176/22) entschied das OVG Bremen über den gerichtlichen Eilantrag einer Lehrkraft gegen den Abbruch des Verfahrens zur Besetzung der Stelle der Jahrgangsleitung für eine Jahrgangsstufe. Die Stelle hatte sich zunächst im Wege eines Konkurrentenstreitverfahrens erfolgreich gegen die Beförderung eines Mitbewerbers gewandt. Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass die Auswahl rechtswidrig sei, weil der ausgewählte Bewerber noch Beamter auf Probe sei und weil seine dienstliche Beurteilung einen unzulässigen vordienstlichen Zeitraum umfasse. Im Anschluss erklärte die Behörde, dass sie das Besetzungsverfahren abbrechen werde. Die Stelle werde nicht abschließend besetzt.

Das OVG Bremen hat dazu festgehalten: „Will der Dienstherr - wie hier - unbeschadet der getroffenen Abbruchentscheidung die Stelle weiterhin vergeben, hält hierfür aber ein neues Auswahlverfahren für erforderlich, bleibt Art. 33 Abs. 2 GG Prüfungsmaßstab. Denn die Stelle soll in diesem Fall unverändert bestehen bleiben und auch besetzt werden. Deswegen bedarf es in einem solchen Fall für die Abbruchentscheidung eines sachlichen Grundes, der den Vorgaben aus Art. 33 Abs. 2 GG genügt Der Dienstherr kann das Auswahlverfahren abbrechen, wenn es fehlerhaft ist und nicht mehr zu einer ordnungsgemäßen Auswahlentscheidung führen kann oder wenn eine erneute Ausschreibung erforderlich wird, um eine hinreichende Anzahl leistungsstarker Bewerber zu erhalten. Nach dieser Rechtsprechung ist also der bloße Umstand, dass die getroffene Auswahlentscheidung verwaltungsgerichtlich beanstandet wurde, nicht per se ein sachlicher Grund für den Abbruch des Besetzungsverfahrens. Hinzukommen muss, dass der gerichtlich festgestellte Mangel bei einer Fortführung des Auswahlverfahrens nicht mehr behoben werden könnte. Das bisherige Verfahren muss an nicht behebbaren Mängeln leiden, mit der Folge, dass eine den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG gerecht werdende Auswahlentscheidung allein in einem weiteren Auswahlverfahren denkbar erscheint. Der Abbruch soll dann sicherstellen, dass die Bewerbungsverfahrensansprüche der Bewerber in einem weiteren, neuen Verfahren gewahrt werden.

In formeller Hinsicht setzt die Rechtmäßigkeit einer Abbruchentscheidung voraus, dass die Bewerber hiervon rechtzeitig und in geeigneter Form Kenntnis erlangen und der wesentliche Abbruchgrund schriftlich dokumentiert wird. Bei der Prüfung, ob ein sachlicher Grund für den Abbruch vorliegt, ist allein auf die schriftlich dokumentierten Erwägungen abzustellen. Ob sich der Abbruch durch einen anderen Sachgrund rechtfertigen ließe, ist ohne Belang. Die erstmalige Darlegung der Gründe für den Abbruch im gerichtlichen Eilverfahren genügt nicht (BVerfG, Beschl. v. 28.11.2011 - 2 BvR 1181/11). Genügt die Abbruchentscheidung diesen Vorgaben nicht, ist sie unwirksam und das in Gang gesetzte Auswahlverfahren fortzuführen. Eine Neuausschreibung darf nicht erfolgen.“

Zusammenfassend muss ein Auswahlverfahren also abgebrochen werden, wenn es fehlerhaft ist und im Hinblick auf Art. 33 GG aus sachlichen Gründen keine ordnungsgemäße Auswahlentscheidung mehr erfolgen kann. Für den Abbruch des Verfahrens sind dabei nur diejenigen Gründe zu berücksichtigen, welche zum Zeitpunkt des Abbruchs dokumentiert sind. Nicht genügend ist die erstmalige Darlegung der Gründe für den Abbruch im gerichtlichen Eilverfahren.

Die gerichtliche Entscheidung verdeutlicht, dass sich Behörden beim Abbruch von Auswahlentscheidungen oft zu leichttun. Betroffene Mitbewerber, die möglicherweise sogar bereits teilweise Erfolg vor dem Verwaltungsgericht hatten und die Beförderung des Konkurrenten stoppen konnten, sind gut beraten, einen solchen Abbruch anwaltlich überprüfen zu lassen. Zögern Sie nicht, uns hierfür zu kontaktieren. Bei beamtenrechtlichen Fragestellungen stehen Ihnen die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach gerne zur Verfügung.


HANDELS- & GESELLSCHAFTSRECHT

Urteil des Kammergerichts Berlin v. 09.09.2022 zur negativen Publizität gemäß § 15 Abs. 1 HGB

#86 | 20.12.2022

Immer wieder haben sich im Wirtschaftsrecht Gerichte mit der Publizität des Handelsregisters nach § 15 Handelsgesetzbuch (HGB) zu befassen. Eine aktuelle Entscheidung aus Berlin beschäftigt sich damit, wann bezüglich eines Abberufungsbeschluss bei einer GmbH die erforderliche Kenntnis begründet wird. Unser Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach stellt das Urteil vor.

Anlass der Entscheidung war ein Streit zwischen zwei Unternehmen aus der Immobilienwirtschaft um eingetragene Auflassungsvormerkungen. Im Kern stand die Frage, ob sich die Beklagte bezüglich der Vertretungsmacht des vermeintlichen Geschäftsführers der Gegenseite darauf berufen durfte, nicht von dessen Abberufung gewusst zu haben, weil dieser weiterhin im Handelsregister als Geschäftsführer eingetragen war.

Gemäß dem Kammergericht durfte sich die Beklagte auf diesen Rechtsschein der bei Beurkundung fortbestehende Eintragung des Geschäftsführers im Handelsregister berufen. Hierzu hat das Gericht allgemein zur Rechtslage ausgeführt: „Solange eine in das Handelsregister einzutragende Tatsache nicht eingetragen und bekanntgemacht ist, kann sie von demjenigen, in dessen Angelegenheiten sie einzutragen war, einem Dritten nicht entgegengesetzt werden, es sei denn, dass sie diesem bekannt war (§ 15 Abs. 1 HGB). Das Landgericht geht auch zu Recht davon aus, dass sich eine Kenntnis der Beklagten von der wirksamen Abberufung des D. nicht hat feststellen lassen. Der Eintragungspflichtige hat die positive Kenntnis des Dritten von der einzutragenden Tatsache darzulegen und zu beweisen (vgl. Hopt/Merkt, 41. Aufl. 2022, HGB § 15 Rn. 7; Oetker/Preuß, 7. Aufl. 2021, HGB § 15 Rn. 25; MüKo-HGB/Krebs, 5. Aufl. 2021, § 15 Rn. 52; Henssler/Strohn/Wamser, 5. Aufl. 2021, HGB § 15 Rn. 16), wobei Kennenmüssen (einfache und grobe Fahrlässigkeit, § 276 Abs. 2 BGB) nicht genügt, weil der Dritte entgegen der Auffassung der Berufung nicht zu Nachforschungen verpflichtet ist (vgl. RG, Urteil vom 06. Februar 1909 - I 130/08 -, RGZ 70, 272, 272 f.; OLG Oldenburg, Urteil vom 4. Februar 2010 - 8 U 121/09 -, Rn. 24, juris; Hopt/Merkt, 41. Aufl. 2022, HGB § 15 Rn. 7; EBJS/Gehrlein, 4. Aufl. 2020, HGB § 15 Rn. 11). Ist der Rechtsverkehr aber nicht zu Nachforschungen verpflichtet, ist die schlichte Kenntnis von der Fassung eines Abberufungsbeschlusses unschädlich, wenn die Wirksamkeit der Abberufung umstritten ist und ihre Eintragung im Handelsregister noch nicht erfolgt ist (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 4. Februar 2010 - 8 U 121/09 -, LS1, juris; Hopt/Merkt, 41. Aufl. 2022, HGB § 15 Rn. 7; BeckOK-HGB/Müther, 36. Ed. 15.4.2022, § 15 Rn. 13).“

Das Kammergericht kommt mithin zu dem Ergebnis, dass die Kenntnis von der Fassung eines Abberufungsbeschlusses keine Kenntnis im Sinne der negativen Publizität gemäß § 15 Abs. 1 HGB von der noch nicht eingetragenen und bekannt gemachten Abberufung des GmbH-Geschäftsführers begründet, sofern die Wirksamkeit der Abberufung unstreitig ist. Der Eintragungspflichtige müsse ferner die positive Kenntnis des Dritten von der einzutragenden Tatsachen darlegen und beweisen.

Bei allen rechtlichen Fragestellungen rund um das Wirtschaftsrecht und Unternehmensrecht stehen Ihnen die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach gerne zur Verfügung. Wir freuen uns auf Ihre Kontaktaufnahme per E-Mail oder Telefon.


VERWALTUNGSRECHT

Aktuelle beamtenrechtliche Entscheidung des VGH zum Konkurrentenstreit (Beschluss vom 27.7.2022, Az. 4 S713/22)

#85 | 24.10.2022

In einer neuen beamtenrechtlichen Entscheidung geht der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg auf einige klassische verwaltungsrechtliche Fragestellungen zum Beurteilungsspielraum und einer möglichen Befangenheit ein. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach stellt die Entscheidung vor.

Der Antragsteller hatte in erster Instanz vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe beantragt, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, eine W3 Professur (Romanistik und Didaktik) an einer pädagogischen Hochschule mit der Beigeladenen zu besetzen, solange nicht über seine Bewerbung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist. Mit der Beschwerde, die im Ergebnis keinen Erfolg hat, wendet sich der Antragsteller gegen den ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe.

Bezüglich der geltend gemachten Form-und Verfahrensfehler hält der VGH zunächst fest: „Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Bewerbungsverfahrensanspruch in erster Linie darauf zielt, dass die Auswahlentscheidung nach den durch Art. 33 Abs. 2 GG verfassungskräftig verbürgten Grundsätzen der Bestenauslese - materiell-rechtlich richtig - vorgenommen, mithin nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung getroffen wird. Eine Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs kann dabei auch auf der Nichtbeachtung von Form- oder Verfahrensvorschriften beruhen. Einen dahingehenden Automatismus gibt es allerdings nicht; vielmehr schlägt ein (Verfahrens-)Fehler nur dann auf den Bewerbungsverfahrensanspruch eines Bewerbers durch, wenn er seiner Art nach die Annahme stützt, der von dem Dienstherrn getroffenen Auswahlentscheidung könne eine hinreichende Orientierung an den materiellen Kriterien der Bestenauslese fehlen, und der Bewerber darüber hinaus durch diesen Fehler nachteilig in seiner subjektiven Rechtsstellung betroffen wird. Einen Rechtsanspruch, nach dem ein Bewerber verlangen könnte, das Berufungsverfahren müsse insgesamt objektiv-rechtlich ordnungsgemäß durchgeführt werden, auch soweit seine Rechte nicht betroffen sind, gibt es dagegen nicht (ebenso: Bay. VGH, Beschluss vom 03.07.2018 - 7 CE 17.2430 -, Juris Rn. 41; OVG NRW, Beschluss vom 14.06.2019 - 1 B 347/19 -, Juris Rn. 16).“

Diverse Rügen des Antragstellers im Zusammenhang mit § 48 LHG wurden mit einer offenkundig fehlenden Rechtsverletzung zurückgewiesen. Auch mit dem Vortrag, es handle sich um eine nach § 48 Abs. 2 LHG unzulässige Hausberufung konnte er nicht durchdringen.

Eine etwaige Befangenheit von Berufungskommissionsmitgliedern war jedenfalls zu spät gerügt worden. Hierzu führt der Verwaltungsgerichtshof aus: „Der Antragsteller war gehalten, einen ihm bekannten Ablehnungsgrund unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern zu rügen; dieser allgemeine Verfahrensgrundsatz gilt hier unabhängig davon, ob die Regelung des § 71 Abs. 3 LVwVfG für hochschulrechtliche Berufungsverfahren direkt anwendbar ist (so für das jeweilige Landesrecht ausdrücklich Bay. VGH, Beschluss vom 01.02.2022 - 3 CE 22.19 -, Juris Rn. 5; OVG RP, Beschluss vom 28.09.2007 - 2 B 10825/07 u.a. -, Juris Rn. 11) oder insoweit allein auf §§ 20, 21 LVwVfG zu rekurrieren ist. Dementsprechend hätte er seine Besorgnis über die Voreingenommenheit der Berufungskommissionsmitglieder jedenfalls im zeitlichen Zusammenhang mit der Berufungsveranstaltung im Oktober 2019 geltend machen müssen und nicht erst über ein Jahr später im gerichtlichen Verfahren.“

Ferner rügte der Antragsteller eine Diskriminierung, da die beförderte Konkurrentin als französische Muttersprachlerin für die Stelle besser bewertet worden sei als er. Die Eigenschaft als Muttersprachler sei nicht in den Ausschreibungstext aufgenommen worden. Soweit die Antragsgegnerin trotzdem hierauf abstelle, liege eine Überschreitung des Beurteilungsspielraums vor. Der Verwaltungsgerichtshof weist hier darauf hin, dass der Antragsteller die Reichweite der Bindung des Dienstherrn an das Anforderungsprofil missverstehe, wenn er daraus schließe, dass mögliche weitere Eignungsmerkmale der Mitbewerber, die im Anforderungsprofil nicht ausdrücklich genannt waren, als Kriterien der Befähigung für die endgültige Auswahlentscheidung hätten unberücksichtigt bleiben müssen. Es handle sich um zulässige Abstufungen in der Qualifikation anhand leistungsbezogener Kriterien. Die Wertung der Güte von Sprachkenntnissen, die sich in der Eigenschaft als Muttersprachler ausdrücke, können im Rahmen der Auswahlentscheidung somit durchaus ein relevantes Kriterium darstellen.

Bei Beförderungen und Konkurrentenstreitigkeiten sowie sonstigen Fragen rund um das Beamtenrecht stehen Ihnen die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach gerne jederzeit zur Verfügung. Wir freuen uns auf Ihre E-Mail oder Ihren Anruf!


VERWALTUNGSRECHT

Öffentliches Baurecht: VGH Baden-Württemberg zum gemeindlichen Vorkaufsrecht (Urteil vom 20.07.22, 3S 3915/21)

#84 | 06.10.2022

In einem aktuellen Berufungsurteil hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg festgehalten, dass der Gemeinderat das der Gemeinde eingeräumte Ermessen auszuüben hat, sofern dieser gemeindeintern für die Entscheidung über die Ausübung des Rechts zur Ausübung eines gemeindlichen Vorkaufsrechts zuständig ist. Unser Fachanwalt in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach stellt die Entscheidung vor.

Der Kläger als Käufer wehr sich gegen die Ausübung eines Vorkaufsrechts durch die beklagte Gemeinde. Der Kläger hatte einen Kaufvertrag über ein Grundstück im Geltungsbereich einer Satzung, welche ein entsprechendes Vorkaufsrecht nach § 25 Abs. 1 Z. 2 BauGB einräumt, erworben. Der Gemeinderat der beklagten Gemeinde beschloss in seiner Sitzung einstimmig die Ausübung des Vorkaufsrechts. Dies wurde mit der beabsichtigten Aufwertung des Areals und dem Setzen eines städtebaulichen Impulses für die Erhaltung und Entwicklung der Funktionsfähigkeit der Innenstadt begründet.

Der Kläger legte gegen den Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts Widerspruch ein. Nach Zurückweisung des Widerspruchs erhob er Anfechtungsklage zum Verwaltungsgericht Karlsruhe (AZ: 14K 1958/20. Dieses wies die Klage mit Urteil vom 29.04.2021 zurück. Der Ausübung würde ein rechtmäßiger Gemeinderatsbeschluss zugrunde liegen. Das Wohl der Allgemeinheit rechtfertige die Ausübung des Vorkaufsrechts.

Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat in zweiter Instanz das erstinstanzliche Urteil abgeändert und den streitgegenständlichen Bescheid aufgehoben. Die Klage sei begründet. Der Käufer sei auch klagebefugt. Denn bei der Ausübung des Vorkaufsrechts durch eine Gemeinde handle es sich um einen privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt, der sich auch gegenüber dem Verkäufer als belastender Verwaltungsakt darstelle (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23.06.2015, Aktenzeichen: 8 S 1386/14). Im Übrigen bemängelt der VGH zum einen die nicht ordnungsgemäße Anhörung des Klägers vor Ausübung des Vorkaufsrechts. Zum anderen habe die Gemeinde bei der Ausübung des Vorkaufsrechts das eingeräumte Ermessen zulasten des Klägers fehlerhaft ausgeübt. Es sei bereits zweifelhaft, ob dem Gemeinderat überhaupt bewusst gewesen sei, dass ein Ermessen auszuüben war. Auf die Notwendigkeit der Ermessensentscheidung sei in der Beschlussvorlage nicht hingewiesen worden. Auch der Niederschrift über die Gemeinderatssitzung könne man dies nicht entnehmen. Zudem hatte der Gemeinderat keine Kenntnis von einem Nachtrag zum Kaufvertrag, aus welchem ein besonderes Erwerbsinteresse des Klägers hervorgehe.

Soweit für ein Erwerbsgrundstück ein gemeindliches Vorkaufsrecht infrage kommt, bestehen zahlreiche rechtliche Fallstricke. Sowohl für Verkäufer als auch für Verkäufer macht es Sinn, hier frühzeitig anwaltliche Unterstützung einzuholen. Gerne stehen Ihnen die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach in Karlsruhe und Pforzheim zur Verfügung. Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren.


ARBEITSRECHT

Neues Nachweisgesetzes: Herausforderung für die Praxis

#83 | 03.08.2022

Am 01.08.2022 tritt das neue Nachweisgesetz (NachwG) in Kraft. Es basiert auf der Richtlinie (EU) 2019/1152 vom 20.06.2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union und geht über diese noch hinaus. Arbeitgeber müssen sich jetzt zügig mit den neuen Anforderungen vertraut machen. Diese sind immens, bei Verstößen droht zudem ein Bußgeld.

Das neue Gesetz verfolgt das Ziel, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, indem eine transparente und vorhersehbarere Beschäftigung gefördert und zugleich die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes gewährleistet werden soll.

Dieses Ziel soll durch folgende Maßnahmen erreicht werden:

  • Erweiterung der bereits in der Nachweisrichtlinie vorgesehenen Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung über die wesentlichen Aspekte des Arbeitsverhältnisses (sog. Nachweispflichten),
  • Festlegung von Mindestanforderungen an die Arbeitsbedingungen in Bezug auf die Höchstdauer einer Probezeit, Mehrfachbeschäftigung, Mindestvorhersehbarkeit der Arbeit, Ersuchen um einen Übergang zu einer anderen Arbeitsform sowie Pflichtfortbildungen,
  • sog. horizontale Bestimmungen zur Durchsetzung der vorgenannten Bestimmungen.

Insbesondere folgende Teile des neuen NachwG müssen dabei ab sofort besonders beachtet und in Arbeitsverträgen sorgfältig formuliert werden:

a) die Angabe zu den Arbeits- und Pausenzeiten,

b) die Voraussetzungen der Arbeit auf Abruf nach § 12 TzBfG,

c) die Voraussetzungen zu Schichtänderungen und der Anordnung von Überstunden,

d) Hinweis auf Kündigungsfristen und –verfahren.

Sein Geltungsbedürfnis rundet das neue NachwG zudem mit Bußgeldern von bis zu 2.000 EUR je Verstoß ab. Arbeitgebern ist daher dringend zu raten, das neue NachwG auch ernst zu nehmen. Bußgelder drohen jetzt immer dann, wenn der Arbeitgeber

  • die im NachwG genannten wesentliche Vertragsbedingung nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig aushändigt,
  • entgegen dem NachwG auch in Verbindung mit Absatz 3, eine dort genannte Niederschrift nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig aushändigt oder
  • entgegen des NachwG eine Mitteilung nicht, nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig macht.

Das neue NachwG betrifft nicht nur neu abzuschließende Arbeitsverträge ab dem 01.08.2022, sondern auch Altverträge.

Für Altverträge gilt zudem, dass der Arbeitnehmer erst auf sein ausdrückliches Verlangen hin eine Niederschrift mit den Pflichtangaben aushändigen werden muss. Sie ist dann innerhalb von 7 Tagen dem Arbeitnehmer zu erteilen, es sei denn, die geschuldeten Pflichtangaben nach dem neuen NachwG sind schon in einem schriftlichen Arbeitsvertrag enthalten.

Das neue NachwG birgt an vielen Stellen neuen und nachhaltigen Sprengstoff für die Zukunft. Dies nicht nur im Hinblick auf das darin erwähnte Bußgeld, sondern auch im Hinblick auf bestehende und schon verschriftlichte Arbeitsverhältnisse. Letztere werden ggf. auch nachzubessern sein.

Die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Gräber Onasch Ibach stehen Ihnen für weitere Beratung und Begleitung auch auf diesem arbeitsrechtlichen Feld gerne zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns!


VERWALTUNGSRECHT

Aktueller Beschluss des VGH Baden-Württemberg im Beamtenrecht: nicht alle Jugendsünden begründen Zweifel an der charakterlichen Eignung.

#82 | 26.07.2022

In einem aktuellen Beschluss hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass sich zwar grundsätzlich bei einer Bewerbung für den Polizeivollzugsdienst auch aus einem früheren einmaligen Fehlverhalten Zweifel an der charakterlichen Eignung ergeben können. Dabei müssen aber das Alter bei der Tatbegehung sowie der zeitliche Abstand und die seitdem erfolgte Persönlichkeitsentwicklung berücksichtigt werden. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass die Verneinung der charakterlichen Eignung durch den Dienstherren dessen Beurteilungsspielraum überschreitet. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Pforzheim und Karlsruhe Tobias Ibach stellt die Entscheidung vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in zweiter Instanz das Urteil des VG Freiburg vom 21.09.2021 (3 K 1745/21) bestätigt und die Berufung des beklagten Landes Baden-Württemberg nicht zugelassen. Der Verwaltungsgerichtshof sah keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 1 Ziff. 1 VwGO.

Das Land hatte die Bewerbung des Klägers auf Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst mit dem Hinweis auf Zweifel an der charakterlichen Eignung abgelehnt, weil dieser im Alter von 14 Jahren einmalig durch Erwerb einer geringen Menge Marihuana gegen das Betäubungsmittelgesetzt verstoßen hatte. Bereits das Verwaltungsgericht Freiburg trat dem entgegen und verurteilte das Land als Dienstherren, über die Bewerbung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Die Wertung, wonach der Kläger charakterlich ungeeignet sei, beruhe nicht auf einer hinreichenden Sachverhaltsstellung und beachte allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe nicht ausreichend. Insbesondere habe der Dienstherr die jahrelange Straflosigkeit und positive Entwicklung des Klägers nicht berücksichtigt.

Der Verwaltungsgerichtshof stützt dieses Urteil. Zur Begründung führt er aus, dass jede Auswahlentscheidung auf einer tragfähigen Sachverhaltsermittlung, einer ausreichenden Tatsachengrundlage und einer sorgfältigen Abwägung beruhen müsse. Dies gelte insbesondere, wenn die Auswahl auf einer Beurteilung der persönlichen charakterlichen Eignung beruhe (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 06.04.2006, Az. 2 VR 2.15).

Zwar könnten Sachverhalte mit strafrechtlicher Relevanz unabhängig von ihrer Sanktionierung und auch wenn es sich um ein einmaliges Fehlverhalten gehandelt habe, Zweifel an der charakterlichen Eignung begründen (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.11.2009, Az. 4 S 2332/08). Auch der zeitliche Abstand von mehreren Jahren zwischen dem strafrechtlich relevanten Verhalten und der begehrten Einstellung schließe nicht von vornherein aus, dass der Dienstherr immer noch Zweifel an der Eignung des Bewerbers habe. Hierbei verbiete sich allerdings jeglicher Schematismus. Im vorliegenden Fall habe der Dienstherr die Grenzen seines Beurteilungsspielraums überschritten. Allein der geringe Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz als solcher rechtfertige die Ablehnung der Bewerbung sechs Jahre später unter Verweis auf Zweifel an der charakterlichen Eignung nicht. Der Dienstherr sei hier seiner Verpflichtung zu einer sorgfältigen Abwägung auf Grundlage ausreichender und hinreichend gesicherter Feststellungen und Erkenntnisse nicht hinreichend nachgekommen. Somit bleibt es bei dem Ergebnis aus der ersten Instanz und der Dienstherr muss nochmals, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts, über die Bewerbung entscheiden.

Bei allen Fragen rund um das Beamtenrecht stehen Ihnen die Fachanwälte für Verwaltungsrecht und Arbeitsrecht der Kanzlei Gräber Onasch Ibach gerne zur Verfügung. Zögern Sie nicht uns zu kontaktieren!


VERWALTUNGSRECHT

Beschluss des VGH Baden-Württemberg v. 25.05.2022 (AZ: 3 S 542/22) im öffentlichen Baurecht zur Konkretisierung der Privilegierung in § 35 Abs. 4 BGB

#81 | 14.07.2022

Nach einem aktuellen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg muss für eine Privilegierung nach § 35 Abs. 4 Nr. 6 BauGB die Erweiterung einen engen räumlichen Bezug zum vorhandenen Bestand des Betriebs aufweisen.

Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen eine bauordnungsrechtliche Anordnung. Unter Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde seitens des Landratsamtes aufgegeben, eine ungenehmigte Bewirtungsfläche mit Getränkeausschank zurückzubauen und das Grundstück in den ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen. Dem ging eine bauliche Veränderung auf dem Grundstück, welches sich im Außenbereich im Sinne von § 35 BauGB befindet, durch Errichtung einer Außenbewirtschaftungsfläche und eines Holzgebäudes für einen Getränkeausschank voraus. Letztlich handelte es sich hierbei um die Vergrößerung der vorhandenen Bewirtschaftungsfläche einer bereits von den Antragstellern betriebenen Gaststätte. Ein entsprechender Bauantrag wurde abgelehnt. Über den Widerspruch wurde noch nicht entschieden. Die Antragsteller erhoben auch gegen die bauordnungsrechtliche Rückbauanordnung Widerspruch und stellten beim Verwaltungsgericht Freiburg einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz. Das Verwaltungsgericht Freiburg lehnte diesen in erster Instanz mit Beschluss vom 8.2.2022 ab.

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat mit Beschluss vom 25.5.2022 über die Beschwerde entscheiden. Die Beschwerde ist zulässig und begründet und hatte somit Erfolg. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg aus der ersten Instanz wurde geändert und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt.

Zur Begründung führt der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg aus:

Die Beeinträchtigung des öffentlichen Belangs der natürlichen Eigenart der Landschaft ist nicht gemäß § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 6 BauGB unerheblich. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 17.2.2011, AZ: 4 C 9.10) muss ein von dieser Norm begünstigtes Erweiterungsvorhaben nicht nur funktional, sondern auch räumlich eine Erweiterung des Betriebs darstellen. Die Norm regelt nämlich eine konkrete, standortbezogene Begünstigung. Der Grundsatz größtmöglicher Schonung des Außenbereichs gilt auch hier, sodass die begünstigte Erweiterung einen engen räumlichen Bezug zum vorhandenen Bestand des Betriebs aufweisen muss. Ein solcher Bezug liege im vorliegenden Fall nicht vor.

Der Erfolg der Beschwerde in zweiter Instanz resultiert allerdings daraus, dass ein öffentliches Interesse, welches die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtfertigen könnte, nicht gegeben ist. Das allgemeine öffentliche Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände reicht hierfür regelmäßig nicht aus (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.3.2013, AZ: 8S 159/13). Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts müssen weitere, darüberhinausgehende und besondere Umstände vorliegen. Nur dann kann ausnahmsweise das öffentliche Interesse an der sofortigen, also schon vor Eintritt der Bestandskraft des Verwaltungsakts zulässigen, Vollziehung anzunehmen sein. Die Feststellung, ob solche Umstände vorliegen, nimmt das Gericht im Wege einer eigenen Abwägung vor. In dieser muss auch das durch Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG und Art. 67 Abs. 1 LV geschützte Interesse des Betroffenen an einem effektiven Rechtsschutz berücksichtigt werden (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.12.2021, AZ: 10S 3427/20).

Derartige Umstände konnte der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Fall nicht erkennen. Insbesondere folgen solche nicht alleine aus dem Umstand, dass sich die Antragsteller in Bezug auf die Beachtung bauordnungsrechtliche Vorschriften als nicht rechtstreu erwiesen haben. Aus diesem Grund hat der Verwaltungsgerichtshof die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt.

Bei allen Anliegen und Fragestellungen im öffentlichen und privaten Baurecht stehen Ihnen die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Gräber Onasch Ibach gerne jederzeit zur Verfügung- zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren!


ARBEITSRECHT

Mehr Lohn für Millionen Menschen: ab 1. Oktober steigt der Mindestlohn auf 12,00 € brutto, ebenso werden die Mini- und Midijob-Grenze angehoben!

#80 | 24.06.2022

In der Zusammenschau haben der Bundestag und der Bundesrat am 03.06.2022 und 10.06.2022 eine Anhebung des Mindestlohns auf 12,00 € brutto pro Stunde beschlossen und das „Gesetz zur Erhöhung des Schutzes durch den gesetzlichen Mindestlohn und zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung“ auf den Weg gebracht.

In diesem Zusammenhang werden auch die Mini- und Midijob-Grenzen erhöht. Die Mini-Job-Grenze wird auf 520,00 € angehoben. Die Höchstgrenze für sog. Midi-Jobs steigt von derzeit 1.300,00 € auf 1.600,00 € monatlich. Ziel ist es, sozialversicherungspflichtige Beschäftigte mit geringem Arbeitsentgelt stärker als bisher zu entlasten und dafür zu sorgen, dass sich Mehrarbeit für die Beschäftigten lohnt. Auch die Kaufkraft soll dadurch angekurbelt werden.

Gleichzeitig trifft das neue Gesetz auch Maßnahmen, die die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung fördern und gleichzeitig verhindern helfen, dass Minijobs als Ersatz für reguläre Arbeitsverhältnisse missbraucht werden.

Das Gesetz wird noch im Juni 2022 in Kraft treten, damit sich Wirtschaft und Arbeitnehmervertretungen auf die Erhöhung im Oktober noch einstellen können - u.a. auch bei Tarifvertragsverhandlungen.

Achtgeben müssen sodann die Arbeitgeber. Sie müssen erstrangig die Einhaltung des neuen Mindestlohns auf dem Schirm haben, ebenso zahlreiche andere Schnittstellen in diesem Zusammenhang.

Die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach stehen Ihnen für weitere Beratung und Begleitung auch auf diesem arbeitsrechtlichen Feld gerne zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns!


VERWALTUNGSRECHT

Aktuelle Entscheidung zum Beamtenrecht: Bei intendiertem Entlassungsermessen gelten für die Behörde keine besonderen Begründungsanforderungen.

#79 | 03.04.2022

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat sich in einer Berufungsentscheidung (Az. 4 S 2968/21) mit den rechtlichen Voraussetzungen für eine wirksame Entlassung aus einem Beamtenverhältnis auf Widerruf beschäftigt. Die Klägerin, eine Lehramtsanwärterin, wehrte sich gegen die Entlassung aus dem Vorbereitungsdienst. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach stell die Entscheidung vor.

Die Klägerin war vom Regierungspräsidium Stuttgart zur Lehramtsanwärterin mit den Fächern Deutsch, Kunst und Religion ernannt worden. Zur schulpraktischen Ausbildung war sie einem Seminar zugewiesen worden und wurde im Bereich Grundschule eingesetzt. Aufgrund eines Berichts ihrer Mentorin, welcher Schwächen im Bereich Prüfungsangst, Unterrichtsstrukturierung, Organisation und Vermittlung von Lehrinhalten sowie Zeitmanagement und Konzentration auf das Wesentliche benannte, wurde zunächst die Wiederholung des ersten Ausbildungsabschnitts unter Absenkung der Bezüge durch das Regierungspräsidium Stuttgart verfügt. Einige Monate später teilte die Seminarleitung dem Regierungspräsidium mit, dass eine Übertragung selbständigen Unterrichts trotz Ausbildungsverlängerung weiterhin nicht verantwortet werden könne. Die Mängel würden weiterhin bestehen. Zudem bestünden Probleme im Hinblick auf Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Außerdem weise das Verhalten der Lehramtsanwärterin Anzeichen einer massiven psychischen Belastungssituation auf.

Nach ordnungsgemäßer Anhörung entließ das Regierungspräsidium die Lehramtsanwärterin unter Widerruf ihres Beamtenverhältnisses aus dem Vorbereitungsdienst und ordnete die sofortige Vollziehung der Entlassung an. Hiergegen erhob die Anwärterin Widerspruch. Nach Zurückweisung des Widerspruchs mit Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums erhob die Anwärterin Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart. In I. Instanz gab das Verwaltungsgericht (Urteil vom 06.05.2021, Az. 9 K 1929/20) der Klage statt und hob den Bescheid des Regierungspräsidiums in Gestalt des Widerspruchsbescheids auf. Denn die im Streit stehende Entlassung sei rechtswidrig, weil sie verfrüht und unter fehlerhafter Ermessensausübung erfolgt sei. Der Verwaltungsgerichtshof ließ mit Senatsbeschluss vom 15.09.2021 (Az. 4 S 2601/21) die Berufung des beklagten Landes zu.

Mit Urteil vom 11.01.2022 wurde das Urteil aus der I. Instanz abgeändert und die Klage abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hält die Berufung für zulässig und begründet. Der Entlassungsbescheid sei rechtmäßig. Zur Begründung führt der Verwaltungsgerichtshof folgendes aus:

Rechtsgrundlage für die Entlassung ist § 23 Abs. 4 S. 1 Beamtenstatusgesetz. Für die Entlassung genügen bereits berechtigte Zweifel der Entlassungsbehörde, ob der Beamte die persönliche oder fachliche Eignung für ein Amt in der angestrebten Laufbahn besitzt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.05.2020, Az. 4 S 3078/19). Auch § 7 Abs. 3 Nr. 5 der Verordnung des Kultusministeriums über den Vorbereitungsdienst für das Lehramt Grundschule gibt vor, dass entlassen werden soll, wenn nach Feststellung der Schule oder des Seminars, auch nach Verlängerung des ersten Ausbildungsabschnitts, die Übernahme selbständigen Unterrichts nicht verantwortet werden kann. Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin aufgrund der gravierenden Schwierigkeiten unzweifelhaft vor.

Die maßgebliche Regelung der Grundschullehramtsverordnung kann auch dahingehend interpretiert werden, dass vor einer Entlassung zwingend drei Unterrichtsbesuche pro Ausbildungsfach stattgefunden haben müssen. So könnte sich der Anwärter durch eine Verweigerung des Unterrichtens gegen eine Entlassung sperren, was nicht dem Regelungsziel entspricht. Die Norm ist dahingehend zu verstehen, dass jedem Anwärter regelmäßig drei Mal pro Fach die Gelegenheit gegeben werden soll, sich während eines Unterrichtsbesuchs zu beweisen.

Außerdem ist die Entlassung nicht verfrüht erfolgt. Es muss dem nicht bis zum Ende des verlängerten Ausbildungsabschnitts zugewartet werden. Eine pauschale Regelung, wann eine entsprechende Feststellung erfolgen darf, existiert nicht. Der zulässige frühestmögliche Zeitpunkt hängt im Einzelfall unter anderem von organisatorischen und pädagogischen Erwägungen ab, aber auch von Umständen in der Person des Anwärters wie Krankheit oder anderweitig begründete Abwesenheit von der Schule. Außerdem ist zu beachten, dass es der Fürsorgepflicht widerspricht, den Beamten unangemessen lange, nämlich länger als für eine sorgfältige Abwägung aller Umstände erforderlich, in Ungewissheit über sein beamtenrechtliches Schicksal zu lassen. Ihm muss deshalb frühzeitig eine erforderliche Umstellung ermöglicht werden (vgl. Urteil BVerwG vom 31.05.1990 zum Beamten auf Probe, Az. 2 C 35.88).

Zuletzt ist die Entlassung nicht ermessensfehlerhaft ergangen. Ermessensfehlerfrei ist eine Entlassung des Widerrufsbeamten nur möglich, wenn die tragenden Ermessenserwägungen mit Sinn und Zweck des Vorbereitungsdienstes in Einklang stehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.01.2010, Az. 2 B 47.09). Die Entlassung ist aber dann mit der Ratio des Vorbereitungsdienstes vereinbar, wenn der Beamte aufgrund mangelnder Eignung, Befähigung oder fachlicher Leistung den Anforderungen der angestrebten Laufbahn nicht gerecht wird. Um keinem Formalismus Vorschub zu leisten, ist bei entsprechend intendiertem Ermessen, wie in § 7 Abs. 3 Nr. 5 der Grundschullehramtsprüfungsordnung, GPO II 2014 (danach soll der Anwärter entlassen werden, wenn die Übernahme selbständigen Unterrichts nach Ausbildungsabschnittsverlängerung nicht verantwortet werden kann) keine weitergehende Begründung zu verlangen. Denn in einem solchen Fall kann der zweite Ausbildungsabschnitt ohnehin nicht begonnen werden. Etwas anderes als die Entlassung kommt dann nicht in Betracht, da die mangelnde Bewährung auszusprechen ist, wenn sie unumstößlich feststeht.

Wenn bei Beamten, Beamten auf Widerruf oder Beamten auf Probe eine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis im Raum steht, sollte möglichst schnell eine erste anwaltliche Beratung erfolgen. Oft kann noch im Rahmen der Anhörung Einfluss auf die beabsichtigte behördliche Entscheidung genommen werden. Hier besteht die Möglichkeit, Tatsachen und Argumente zugunsten des betroffenen Beamten vorzubringen. Die Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach unterstützen Sie hierbei und bei anderen Fragestellungen aus dem Verwaltungsrecht und Beamtenrecht jederzeit gerne. Sprechen Sie uns an!


VERWALTUNGSRECHT

Geltendmachung von Rückzahlungsansprüchen aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag ist seitens der Behörde durch Leistungsklage möglich

#78 | 04.03.2022

In einer aktuellen Berufungsentscheidung bezüglich der Rückforderung von Sanierungsfördermitteln im Bereich des Denkmalschutzes hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass es sich bei der Ausübung des vertraglichen Kündigungsrechts aus einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung um eine schlichte öffentlich-rechtliche Willenserklärung handelt. Soweit die Kündigungserklärung in rechtswidriger Form als Verwaltungsakt ausgesprochen wird, handelt es sich um einen formellen Verwaltungsakt. Der Widerspruch hiergegen entfaltet aufschiebende Wirkung. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach stellt die Entscheidung vor.

Bei der Klägerin handelt es sich um eine Gemeinde. Sie macht die Rückzahlung von Sanierungsfördermitteln geltend. Diese waren der Beklagten als Eigentümer eines Grundstücks ausgezahlt worden. Ziel dabei war es, ein denkmalgeschütztes Gebäude zu erhalten und bestehende Mängel zu beheben. Die Klägerin hatte aus Sanierungsfördermitteln einen Zuschuss zur Deckung der Kosten (Kostenerstattungsbetrag) i.H.v. 40 % der nachgewiesenen Kosten gewährt. In der Sanierungsvereinbarung war ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund, insbesondere bei Nichterfüllung der vertraglichen Pflichten, vorgesehen.

Nach Stellung eines geänderten Bauantrages und Erteilung einer weiteren Baugenehmigung begann die Beklagte mit der Durchführung des Vorhabens. Im Rahmen einer Kontrolle stellte das Regierungspräsidium fest, dass unter anderem der historische Dachstuhl durch die Baumaßnahmen komplett zerstört worden war. Die Zerstörung der denkmalkonstituierenden Substanz habe dazu geführt, dass das Gebäude seine Eigenschaft als Kulturdenkmal verloren habe. Die Klägerin erließ daraufhin eine „Entscheidung“, erklärte die Kündigung des Vertrages und forderte die Rückzahlung der Fördermittel. Die Entscheidung war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen.

Die Beklagte legte hiergegen Widerspruch ein. Daraufhin erhob die Klägerin Klage auf Rückzahlung. In der ersten Instanz entschied das Verwaltungsgericht Sigmaringen (Urteil vom 29.11.2017, AZ: 2306/16), dass der Klägerin nur ein Teil der geltend gemachten Mittel zustehe. Die Klägerin habe selbst zu dem Kündigungsgrund beigetragen, weil sie mit der Erteilung der zweiten Baugenehmigung den Eindruck erweckt habe, die denkmalschutzrechtlichen Anforderungen seien erfüllt.

Die Klägerin wandte sich gegen diese Entscheidung und begründete die Berufung damit, dass die Beklagte zahlreiche weitere Pflichtverstöße begangen habe, welche jeweils selbstständig einen Kündigungsgrund darstellen würden, ohne dass ein Mitverschulden bestehe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung als unbegründet zurückgewiesen. Die erhobene allgemeine Leistungsklage sei zwar zulässig, da es sich bei dem Schreiben zur Rückforderung der Kosten nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 35 S. 1 LVwVfG handle. Dieses stelle nur eine gewöhnliche Zahlungsaufforderung und keine hoheitliche Regelung einer Zahlungspflicht dar. Die Klägerin habe ferner auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Denn eine Behörde könne Ansprüche aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag im Wege einer statthaften Leistungsklage gerichtlich geltend machen, wenn nicht ausnahmsweise eine gesetzliche Vorschrift die Regelung durch Verwaltungsakt vorsieht (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24.1.1992, Az. 3 C33.86). Eine solche gesetzliche Bestimmung fehle im vorliegenden Fall.

Allerdings hält der Verwaltungsgerichtshof die Leistungsklage für unbegründet. Bisher liege keine wirksame Kündigung vor. Denn der eingelegte Widerspruch gegen die fehlerhaft in Form eines Verwaltungsaktes erklärte Kündigung besitze aufschiebende Wirkung. Die Klägerin habe den Rechtsschein eines Verwaltungsaktes gesetzt. Ein solcher formeller Verwaltungsakt könne, ungeachtet der fehlenden materiellen Verwaltungsaktqualität statthafter Weise im Wege des Widerspruchs und der Anfechtungsklage beanstandet werden. Der eingelegte Widerspruch entfaltet daher nach § 80 Abs. 1 VwGO mit der Konsequenz aufschiebende Wirkung, dass die Kündigungserklärung der Klägerin im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht direkt ihre den Vertrag beendende Gestaltungswirkung entfalte. Denn § 80 Abs. 1 VwGO finde auch auf die (nur) formellen Verwaltungsakt oder Schein-Verwaltungsakt Anwendung (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.10.2016, Az. 1 S1662/16).

Bei rechtlichen Fragestellungen auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts stehen Ihnen die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach gerne jederzeit zur Verfügung. Wir freuen uns auf Ihre Nachricht!


ARBEITSRECHT

Betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM): BAG stellt klar, wann ein bEM erneut durchzuführen ist!

#77 | 24.02.2022

Der Arbeitgeber hat grundsätzlich ein neuerliches bEM durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines bEM erneut länger als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt war (BAG, Urtl. vom 18.11.2021 - 2 AZR 138/21).

Im Einzelnen:

Eine der besonderen Schwierigkeiten zur Durchsetzung einer krankheitsbedingten Kündigung liegt in der vorherigen Durchführung eines vorzuschaltenden betrieblichen Eingliederungsmanagements (kurz: bEM). Das Bundesarbeitsgericht schafft in diesem Zusammenhang wieder weiter Klarheit.

Nach seiner aktuellen Entscheidung hat der Arbeitgeber grundsätzlich ein neuerliches betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines (ersten) bEM erneut länger als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt war.

Der Sinn und Zweck des bEM ist es, durch eine geeignete Gesundheitsprävention das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft zu sichern und damit nicht eine krankheitsbedingte Kündigung vorzubereiten.

Rein faktisch ist das bEM heutzutage jedoch oftmals genau dazu verkommen und gilt als ungeschriebene Voraussetzung für den Erfolg einer krankheitsbedingten Kündigung. Wohl auch deswegen, hat das Bundesarbeitsgericht nunmehr überlanger Rückwirkungen eines bereits vorausgegangenen bEM und bei erneuter Erkrankung eines Mitarbeitenden einen weiteren Riegel vorgeschoben.

Danach gilt ein bEM nicht mehr uferlos zurück, es sei denn der Arbeitgeber kann darlegen und ggf. beweisen, dass auch ein neuerliches bEM bereits deshalb kein positives Ergebnis erbracht hätte, da schon das vorherige bEM keines ergeben hat und keine bedeutsamen Veränderungen zum vorherigen Zustand eingetreten sind.

Ohne konkrete Vorarbeit und die Schaffung von Tatsachen durch ein bEM wird diese letzte Hürde für Arbeitgeber rein faktisch kaum je zu überwinden sein.

Wir haben mit den vom Gesetzgeber und der Rechtsprechung geschaffenen Hürden täglich zu tun.

Daher stehen Ihnen die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach Ihnen für weitere Beratung und Begleitung auch auf diesem arbeitsrechtlichen Feld gerne zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns!


ARBEITSRECHT

Wegeunfall durch „JobRad-Fahrrad“: Der Weg zur Wartung eines „JobRad-Fahrrads“ ist ein versicherter Wegeunfall.

#76 | 28.01.2022

Die Überlassung sog. Job-Fahrräder erfreut sich bei Arbeitnehmern immer größerer Beliebtheit. Dazu überlässt der Arbeitgeber seinen Beschäftigen von ihm selbst geleaste Fahrräder zur uneingeschränkten Nutzung (auch für die Wege zur Arbeitsstätte) im Rahmen der Barlohnumwandlung. Die dahinterstehenden Leasingverträge sehen dann oftmals vor, dass die Wartungen in den vom Leasinggeber vorgegebenen Fachwerkstätten ausgeführt werden müssen, insbesondere, wenn E-Bikes überlassen werden. Was jedoch, wenn der Arbeitnehmer auf dem Weg zu einer solchen Wartung verunglückt? Mit dieser Frage hat sich jetzt das LSG Baden-Württemberg erstmals beschäftigt und den Wegeunfall eines Arbeitnehmers als Arbeitsunfall eingestuft (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.10.2021 – Az. L 1 U 779/21).

Im Einzelnen:

Der Arbeitgeber, ein Unternehmen in Schwäbisch Gmünd, hatte mit Zustimmung seines Betriebsrats seinen Mitarbeitern ein „JobRad-Fahrrad-Modell“ angeboten. Es sollte einen Beitrag zur Verbesserung und Förderung der Gesundheit der Arbeitnehmerschaft leisten, die Parkplatzsituation auf dem Betriebsgelände verbessern und einen Beitrag zu dem Programm „Fahrrad-Stadt Schwäbisch Gmünd“ leisten. In seinen Leasingverträgen dazu buchte der Arbeitgeber auch eine besondere, alljährliche Wartung auf Kosten des Leasinggebers. Sodann verpflichtete er in den vorformulierten Überlassungsverträgen die teilnehmenden Mitarbeiter unter anderem ausdrücklich zur Durchführung dieser Jahreswartung in einer vorgegebenen Werkstatt.

Leider verunglückte die Klägerin dann nach Abholung ihres gewarteten Rades auf dem Weg von der Werkstatt nach Hause, als an einem haltenden Pkw unvorsichtig die Fahrertür geöffnet wurde und wodurch die Klägerin erhebliche Verletzungen am linken Knie erlitt. Die beklagte Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls insoweit ab, weil die Abholung des Rades eine privatnützige Tätigkeit gewesen sei. Dem schloss sich das Sozialgericht Ulm an und wies die Klage der Klägerin Anfang 2021 daraufhin ab und die Klägerin ging in Berufung.

Auf die Berufung der Klägerin hin hat der 1. Senat des Landessozialgerichts die Entscheidung des Sozialgerichts Ulm nunmehr aufgehoben und festgestellt, dass der Unfall der Klägerin ein Arbeitsunfall gewesen ist. Zwar sei grundsätzlich die Nutzung eines „JobRad-Fahrrads“ privatnützig, wenngleich auch der Arbeitgeber generell von solchen Modellen profitiere. Aber zumindest die besondere Jahreswartung stelle hier ausnahmsweise eine betriebsbezogene Verrichtung dar, mindestens eine Verrichtung mit „gemischter Motivationslage“, bei welcher der Betriebsbezug die privaten Interessen des Arbeitnehmers überwiege. Der Arbeitgeber habe hier - mit der jährlichen Wartung - eine zusätzliche Pflicht gegenüber dem Leasinggeber freiwillig übernommen und durch vorformulierte Klauseln auf die teilnehmenden Mitarbeiter abgewälzt. Das ändere sich auch nicht dadurch, dass die Wartung außerhalb der regulären Arbeitszeit stattgefunden habe. Die für die Anerkennung als Wegeunfalls notwendige Betriebsbezogenheit ergebe sich schon aus den konkreten Vorgaben des Arbeitgebers zur Wartung und den vertraglichen Abreden über deren Kostentragung. Ausgehend von dieser Einordnung befand sich die Klägerin hier, als der Unfall geschah, auf dem versicherten direkten Heimweg von der Arbeit nach Hause.

Die Revision zum Bundessozialgericht in Kassel wurde vom Senat zugelassen.

Wir behalten die Lage im Auge. Aufgrund der immer beliebter werdenden „JobRad-Fahrräder“, die von Arbeitgebern gerne auch als weiteres Goody zur Mitarbeiterbindung genutzt werden, werden die sich aus diesem Rechtsbereich ergebenden Fragen immer wichtiger.

Wir, die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach, sind auch bei dieser Weiterentwicklung des Arbeitsrechts stets am Ball und beraten unsere Mandanten regelmäßig dazu. Ein „JobRad-Fahrrad“ ist zudem nicht nur für große Unternehmen interessant, sondern insbesondere auch für KMUs. Auch diese kämpfen täglich mit dem Fachkräftemangel und können hierüber die „Generation Greta“ weiter an sich binden und Anreize schaffen.

Kontaktieren Sie uns auch dazu gerne!


HANDELS- & GESELLSCHAFTSRECHT

GmbH darf nicht gelöscht werden, solange noch ein Steuerbescheid aussteht

#75 | 18.01.2022

Das Oberlandesgericht Hamm hat in einer aktuellen Entscheidung vom 21.05.2021 (Az. 27 W 25/21) zum Gesellschaftsrecht klargestellt, dass eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) erst nach steuerlicher Abwicklung gelöscht werden darf. Solange noch ein Steuerbescheid aussteht, der möglicherweise zu Steuererstattungen der Gesellschaft führen kann, darf keine Löschung erfolgen. Unser Fachanwalt für Handels und Gesellschaftsrecht in Pforzheim und Karlsruhe Tobias Ibach stellt die Entscheidung vor.

Gegenstand des Verfahrens war eine Beschwerde des GmbH-Liquidators gegen die Ablehnung der Löschung der GmbH. Die GmbH hatte den Geschäftsbetrieb Anfang 2020 eingestellt und das Liquidationsverfahren eingeleitet. Der Liquidator meldete Anfang 2021 die Beendigung der Liquidation und die Löschung der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister an. Er berief sich darauf, dass die GmbH kein Vermögen mehr besitze. Es stünden nur noch Steuernachforderungen aus.

Allerdings verweigerte das Finanzamt die Zustimmung zur Löschung der GmbH. Von dort wurde mitgeteilt, dass die GmbH nach der Liquidationsschlussbilanz nicht vermögenslos sei. Zudem stünden noch die steuerliche Veranlagung sowie der Bescheid für das Jahr 2019 aus. Aufgrund des laufenden Steuerverfahrens hat das Registergericht den Antrag auf Löschung der GmbH zurückgewiesen.

Das Oberlandesgericht Hamm hat die Beschwerde des Liquidators zurückgewiesen, da die Gesellschaft nicht vermögenslos und steuerlich noch nicht abgewickelt sei. Bis zur endgültigen Klärung der steuerlichen Sachverhalte könne keine finale Aussage über das Aktiv- und Passivvermögen der Gesellschaft getroffen werden, da auch Rückzahlungsansprüche der GmbH möglich seien.

Bei allen rechtlichen Fragen zum Wirtschaftsrecht, insbesondere im Handels und Gesellschaftsrecht, stehen Ihnen die Fachanwälte für Handels- und Gesellschaftsrecht der Kanzlei Gräber Onasch Ibach gerne jederzeit zur Verfügung. Treten sie mit uns in Kontakt!


HANDELS- & GESELLSCHAFTSRECHT

OLG Hamm zu den Anforderungen für Handelsregisteranmeldungen durch GmbH-Geschäftsführer

#74 | 04.01.2022

Für die Anmeldung der Bestellung eines Geschäftsführers zum Handelsregister ist grundsätzlich gesetzlich vorgesehen, dass dieser versichert, nicht gegen spezielle in § 6 Abs. 2 Nr. 3 GmbHG aufgezählte Straftaten verstoßen zu haben. Das Oberlandesgericht Hamm (Beschluss vom 19.5.2021, Az. 27 W 31/21) hat nun klargestellt, dass die Versicherungserklärung nicht immer ausdrücklich die dort genannten Delikte enthalten muss. Unser Fachanwalt für Handels und Gesellschaftsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach stellt die Entscheidung vor.

Der Geschäftsführer wendet sich mit der Beschwerde gegen die Ablehnung der Eintragungen ins Handelsregister durch das Registergericht. Er hatte als neuer Geschäftsführer einer GmbH seine Bestellung angemeldet. Enthalten war eine Belehrung, wonach Geschäftsführer nicht sein könne, wer gegen eine der in § 6 Abs. 2 Nr. 3 GmbHG genannten Straftaten verstoßen habe. Die Delikte wurden dabei namentlich aufgezählt. Die anschließende Versicherung nahm Bezug auf § 6 GmbHG, allerdings ohne die Delikte erneut aufzuführen. Aus diesem Grund lehnte das Registergericht die Anmeldung ab und berief sich darauf, dass die einzelnen Straftatbestände in der eigentlichen Versicherungserklärung nicht erwähnt worden seien. Es fehle daher an einer substantiierten Versicherung durch den Geschäftsführer.

Das Oberlandesgericht Hamm hat dem Beschwerdeführer recht gegeben und sich gegen die formale Betrachtungsweise des Registergerichts gewandt. Denn letztlich diene die Versicherungserklärung gemäß § 8 Abs. 3 GmbHG dem Zweck, das Anmeldungs- und Prüfverfahren für das Registergericht zu erleichtern. Es werde verhindert, dass dieses selbst Zentralregisterauskünfte einholen müssen. Im vorliegenden Fall seien die Straftatbestände ausdrücklich und sogar mit einer über den Gesetzeswortlaut hinausgehenden amtlichen Bezeichnung der jeweiligen Delikte aufgelistet worden. Zudem werde die erforderliche gedankliche Verknüpfung dieser Passage mit der eigentlichen Versicherungserklärung des Geschäftsführers hinreichend deutlich. Das Oberlandesgericht kommt somit zu einem pragmatischen Ergebnis und vermeidet es, in überstrenger, formalistischer Weise die Anforderungen an eine wirksame Handelsregisteranmeldung zu überspannen.

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VERWALTUNGSRECHT

Disziplinarrecht: Bundesverwaltungsgericht ermöglicht Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bei Leugnung der Existenz der Bundesrepublik Deutschland

#73 | 21.12.2021

In einer aktuellen Entscheidung zum Beamtenrecht vom 2.12.2021 (Az. 2 A 7.21) über eine Disziplinarklage hat das Bundesverwaltungsgericht einen Beamten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Dieser hatte in einem Antrag auf Erteilung eines Staatsangehörigkeitsausweises durchgehend „Königreich Bayern“ statt „Bundesrepublik Deutschland“ angegeben. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim, Tobias Ibach, fasst das Urteil zusammen.

Der Beklagte ist Regierungsobersekretär im Bundesdienst und wird beim Bundesnachrichtendienst verwendet. Er hatte im Jahr 2015 beim Landratsamt Starnberg einen Staatsangehörigkeitsausweis beantragt und dabei als Geburts-und Wohnsitzstaat jeweils „Königreich Bayern“ angegeben und sich auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz in der Fassung von 1913 bezogen. Der Bundesnachrichtendienst hat hiervon im Jahr 2017 Kenntnis erlangt.

Auf die vom BND erhobene Disziplinarklage wurde der beklagte Beamte aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes stellt ein Beamter mit einem derartigen Verhalten die Existenz der Bundesrepublik Deutschland in Abrede. Er lehne damit die freiheitlich demokratische Grundordnung ab und verletze seine gesetzlich normierte Verfassungstreuepflicht (§ 60 Absatz ein S. 3 BBG) in schwerwiegender Weise. Durch die Angaben im behördlichen Antrag habe er die Erklärung abgegeben, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht bestehe. Als Beamter wisse er um die Bedeutung eines so formulierten Antrags. Zugleich sei ein solches Verhalten typisch für die sogenannte Reichsbürger-Szene, welche gerade durch diese Leugnung gekennzeichnet sei. Bei der im Disziplinarrecht im jeweiligen Einzelfall anzustellenden Gesamtabwägung sei aufgrund der Schwere des in der Verletzung der Verfassungstreuepflicht liegenden Dienstvergehens die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gerechtfertigt.

Haben Sie rechtlichen Beratungsbedarf auf dem Gebiet des Beamtenrechts oder im öffentlichen Dienstrecht? Die Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach für Verwaltungsrecht und Arbeitsrecht stehen Ihnen gerne jederzeit zur Verfügung. Kommen Sie auf uns zu!


VERWALTUNGSRECHT

Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 30.9.2021 (Az. 3 § 2595/20) zum gemeindlichen Vorkaufsrecht

#72 | 14.12.2021

In den §§ 24 ff. BauGB ist das gemeindliche Vorkaufsrecht umfangreich geregelt. Insbesondere in § 24 Abs. 1 ist eine detaillierte Aufzählung entsprechender Konstellationen enthalten. Das Urteil des VGH Baden-Württemberg beschäftigt sich eingehend mit der Frist zur Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 28 Abs. 2 BauGB. Danach soll die Frist für die Gemeinde erst zu laufen beginnen, wenn ihr alle Wirksamkeitsvoraussetzungen, insbesondere auch die Erteilung der erforderlichen sanierungsrechtlichen Genehmigungen oder der Eintritt der Genehmigungsfiktion, durch den Verkäufer oder Käufer mitgeteilt worden sind. Dies gelte auch dann, wenn bei kleineren Gemeinden alle maßgeblichen Informationen vorhanden seien oder die Zuständigkeiten in einer Hand lägen (Vgl. Urteil des VGH Ba-Wü v. 1.3.1996, Az. 3 S 13/94).

Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim, Tobias Ibach, stellt die aktuelle Entscheidung aus dem öffentlichen Baurecht näher vor.

Die Kläger wenden sich gegen die Ausübung eines gesetzlichen Vorkaufsrechts durch die Gemeinde. Sie hatten im Jahr 2016 mit notariellem Kaufvertrag Grundstücke im Geltungsbereich einer Sanierungssatzung erworben. Grundlage des Satzungsbeschlusses war eine „vorbereitende Untersuchung“ einer Stadtentwicklungs-GmbH. In der vorbereitenden Untersuchung wurden die wesentlichen Sanierungsziele dargestellt. Der Gemeinderat nahm mit einem Beschluss im Juli 2011 die Voruntersuchung zur Kenntnis, stimmte den Sanierungszielen zu und beschloss die förmliche Festlegung des Sanierungsgebiets als Satzung. Der Antrag auf Genehmigung des notariellen Kaufvertrages zwischen den Klägern und den Beigeladenen ging im Dezember 2016 bei der Beklagten ein. Diese teilte sodann mit, dass der Gemeinderat die Ausübung des Vorkaufsrechts in Erwägung ziehen würde, denn das betroffene Grundstück könnte als Parkfläche für einen geplanten Kulturkeller genutzt werden. Im März 2017 genehmigte die Beklagte den Kaufvertrag nach § 144 BGB. Die Beklagte übte dann im April 2017 das Vorkaufsrecht gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BauGB aus. Sie begründete dies damit, dass das Grundstück der Schaffung von Stellplätzen dienen solle. Die Ausübung sei nach Abwägung von privaten und öffentlichen Interessen aus Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt.

Die Kläger haben nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat mit Urteil vom 8.8.2019 (Az. 13 K 12651/17) den Bescheid der beklagten Gemeinde aufgehoben. Die Ausübung des Vorkaufsrechtes sei materiell rechtswidrig erfolgt. Die Ausübung des Vorkaufsrechtes sei nicht durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt. Das Ermessen sei nicht ordnungsgemäß ausgeübt worden. Die Beklagte hätte nach Bekanntwerden des Kaufvertrages die Fortentwicklung der Sanierungsziele (welche für das Grundstück keine Parkfläche vorgesehen hatten) vor Ausübung des Vorkaufsrechtes konkretisieren müssen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 25.8.2020 die Berufung auf Antrag der Beklagten wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassen. Gleichwohl hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 30.9.2021 die Berufung zurückgewiesen. Auch der VGH stützt sich auf materielle Rechtsfehler. Maßgeblich für die Prüfung sei die Sach-und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung. Die Beklagte sei nicht nach § 24 Abs. 3 Bau GB zur Ausübung des Vorkaufsrechtes berechtigt gewesen. Das Vorkaufsrecht dürfe nämlich nur ausgeübt werden, wenn das Wohl der Allgemeinheit dies rechtfertige. In förmlich festgesetzten Sanierungsgebieten müsse sich die Ausübung des Vorkaufsrechts grundsätzlich an den konkreten Erfordernissen der Sanierung orientieren. Der Begriff des Wohls der Allgemeinheit sei ähnlich wie im Bereich des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes (Art. 14 Abs. 2 und 3 GG) und den speziellen Enteignungsvorschriften (§ 87 Abs. 1 VGB) nicht mit dem Begriff des öffentlichen Interesses gleichzusetzen.

Der Verwaltungsgerichtshof führt zudem aus, dass die Beklagte ausweislich des Gemeinderatsprotokolls offenbar schon im Vorfeld des Kaufvertrages davon ausging, dass ihr ein Vorkaufsrecht ohne weiteres zustehe. Offenbar sei es dem Gemeinderat nicht bewusst gewesen, dass die Errichtung eines Parkplatzes auf dem streitgegenständlichen Grundstück nicht im Einklang mit den standortbezogenen Vorschlägen des bisherigen Neuordnungskonzeptes stehe. An einer planerischen Formulierung der Fortschreibung würde es daher mangeln. Wie das Verwaltungsgericht ist auch der Verwaltungsgerichtshof der Auffassung, dass die allgemeinen Ziele und Zwecke der Sanierungssatzung sowie Stärkung der Ortsmitte und Schaffung von Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum die Ausübung des Vorkaufsrechts für das Kaufgrundstück für sich genommen nicht zu rechtfertigen vermögen. Der mit der Ausübung des Vorkaufsrechts verbundene Eingriff in die Privatautonomie erfordere es, zu diesem Zeitpunkt höhere Anforderungen an die Präzisierung der Sanierungsziele zu stellen als bei Erlass der Sanierungssatzung. Das Erfordernis einer fortschreitenden Konkretisierung der Sanierungsziele bestehe daher gerade im Hinblick auf die in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet erforderlichen grundstücksbezogenen Einzelentscheidungen (unter Verweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 04.03.1999, Az. 4 C 8./98).

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VERWALTUNGSRECHT

Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 8.11.2021 (Az. 4 S 1431/21) zum Beamtenrecht: Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens – wann liegt ein sachlicher Grund vor?

#71 | 08.12.2021

Der VGH Baden-Württemberg hat in einer aktuellen verwaltungsrechtlichen Entscheidung zum Beamtenrecht nochmals bestätigt, dass für den Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens regelmäßig bereits dann ein sachlicher Grund, der den Maßstäben des Art. 33 Abs. 2 GG genügt, vorliegt, wenn dem Dienstherrn im Wege einer einstweiligen Anordnung untersagt worden ist, den ausgewählten Bewerber zu ernennen. Es komme im Regelfall nicht darauf an, ob der gerichtlich festgestellte Rechtsfehler im laufenden Auswahlverfahren heilbar wäre. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim, Tobias Ibach, stellt die Entscheidung vor.

Mit dem Beschluss wurde der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. März 2021 (Az. 18 K4640/19) abgelehnt. Der Kläger machte ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend.

In dem Verfahren hatte das Verwaltungsgericht die Klage gegen den Abbruch eines durch Ausschreibung eröffneten Auswahlverfahrens zur Besetzung einer Beförderungsstelle der Besoldungsgruppe A9 mit Amtszulage abgewiesen. Das Gericht begründete dies unter anderem damit, dass der Kläger die Rechtmäßigkeit nicht innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung über den Abbruch im Rahmen eines Antragsverfahrens nach § 123 VwGO habe überprüfen lassen. Für ihn sei somit die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit des Abbruchs überprüfen zu lassen, verwirkt. Ferner habe die Beklagte das Auswahlverfahren rechtmäßig abgebrochen, der darauf bezogene Bewerbungsverfahrensanspruch des Klägers (aus Art. 33 Abs. 2 GG) sei erloschen. Außerdem liege ein sachlicher Grund für den Abbruch vor, weil dem Dienstherrn mittels einer einstweiligen Anordnung untersagt worden sei, die Stelle mit dem Beigeladenen zu besetzen.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs konnte der Kläger die verwaltungsgerichtliche Entscheidung mit seinem Vorbringen nicht durchgreifend infrage stellen. Der VGH ließ es offen, ob vorliegend eine Verwirkung angenommen werden könne. Denn das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3.12.2014 (Az. 2 A 3.13), mit welchem erstmals diese Rechtsschutzfrist in richterrechtlicher Konkretisierung des Rechtsgedankens der Verwirkung für die in Streit stehende Fallgestaltung statuiert wurde, sei erst am 26.3.2015, und somit nach Abbruch des Bewerbungsverfahrens im vorliegenden Fall, auf der Website des Bundesverwaltungsgerichts eingestellt worden. Dies könne mit Blick auf den Grundsatz des fairen Verfahrens bedenklich sein. Letztlich komme es darauf aber nicht an. Angesichts der konkreten Umstände sei auch die Dokumentation des für den Abbruch maßgeblichen Grundes ausreichend.

Der VGH folgt dabei ausdrücklich nicht der Auffassung des Klägers, wonach die schriftliche Fixierung der für den Abbruch maßgeblichen Erwägungen bereits im Vorfeld des eigentlichen Abbruchs zu erfolgen habe. Das Gericht stellt mit Blick auf die Zukunft aber klar, dass eine schriftliche Fixierung der für den Abbruch maßgeblichen Erwägungen mittels eines Aktenvermerks, dessen Inhalt dann allen Bewerbern zur Kenntnis gegeben wird, die Regel sein sollte.

Der Verfahrensabbruch sei im Ergebnis auch sachlich gerechtfertigt. Dies sei nämlich im Regelfall zu bejahen, wenn dem Dienstherrn im Wege einer einstweiligen Anordnung rechtskräftig untersagt wurde, den von ihm ausgewählten Bewerber zu ernennen. Denn hieraus könne der Dienstherr regelmäßig den Schluss ziehen, seine bisherige Verfahrensweise begegne erheblichen Zweifeln im Hinblick auf Art. 33 Abs. 2 GG.

In einer solchen Situation dürfe er das bisherige Verfahren abbrechen, um in einem anschließenden neuen Verfahren aufgrund eines gegebenenfalls aktualisierten Bewerberkreises eine Entscheidung zu treffen, die dem Art. 33 Abs. 2 GG genügt (Vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.11.2012, Az. 2 C 6.11). Man könne auch nicht annehmen, dass das Bundesverwaltungsgericht seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben habe und nunmehr allein maßgeblich sein solle, ob das Auswahlverfahren noch fehlerfrei zu Ende geführt werden könne. Aus dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 10.12.2018 (Az. 2 VR4.18) könne dies nicht entnommen werden. Das Bundesverwaltungsgericht habe in dem Beschluss lediglich zwei Konstellationen genannt, in welchen der Dienstherr berechtigt sei, das Auswahlverfahren abzubrechen. Einerseits den Fall, dass der konkrete Dienstposten mit dem ursprünglich festgelegten Zuschnitt und der ursprünglichen besoldungsrechtlichen Einstufung nicht mehr besetzt werden solle. Andererseits die Konstellation, dass der Dienstherr den unverändert bleibenden Dienstposten weiterhin vergeben will, aber den Ausgang des ersten Auswahlverfahrens als unbefriedigend empfindet und das bisherige Verfahren nach seiner Einschätzung an nicht behebbaren Mängeln mit der Folge leide, dass eine den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG gerecht werdende Auswahlentscheidung allein in einem weiteren Auswahlverfahren denkbar erscheine.

Haben Sie rechtlichen Beratungsbedarf auf dem Gebiet des Beamtenrechts oder im öffentlichen Dienstrecht? Die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach für Verwaltungsrecht und Arbeitsrecht stehen Ihnen gerne jederzeit zur Verfügung. Kommen Sie auf uns zu!


SONSTIGES

Elektromobilität (Wallbox): Charge@BW fördert unsere Kanzlei

#70 | 29.11.2021

Nachhaltigkeit und Klimaschutz spielen auch in unserer Anwaltskanzlei eine immer wichtigere Rolle. Wir haben daher bereits seit unserer Kanzleigründung konsequent auf zertifizierten Ökostrom zum Betrieb unserer Kanzleiinfrastruktur gesetzt.

Dieser ermöglicht es uns jetzt auch batteriebetriebene Fahrzeuge in unserer Tiefgarage aufzuladen. Dort haben wir heute unsere erste Wallbox für den Betrieb von E-Fahrzeugen in Betrieb genommen. Über diese können sowohl Hybridfahrzeuge als auch reine Elektroautos jetzt geladen werden.

Unsere Infrastrukturmaßnahme wurde in Zusammenarbeit mit dem Land Baden-Württemberg realisiert und von dort mit dem Programm Charge@BW gefördert. Wir danken dem Land für sein Engagement und sind gerne auch bereit unseren Besuchern bei Bedarf einen Zugang zur Wallbox zu ermöglichen – sprechen Sie uns darauf an!


VERWALTUNGSRECHT

Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 07.10.2021 (Az. 6 S 2763/21) zum Glücksspielrecht / behördliche Duldung

#69 | 06.11.2021

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in einer aktuellen Entscheidung zum Glücksspielrecht festgehalten, dass es dem Spielhallenbetreiber obliegt, für den Weiterbetrieb einer Spielhalle über die Geltungsdauer einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis hinaus, eine vorläufige Verpflichtung der Behörde im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes anzustreben, wenn die Behörde keine aktive Duldung gewährt. Nur so könne eine nahtlose Fortschreibung der innegehabten Erlaubnis denklogisch möglich bleiben. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach stellt die Entscheidung vor.

Der Antragsteller ist Spielhallenbetreiber. In der ersten Instanz vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe (12 K 2380/21) begehrte er, die Behörde als Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zur Duldung des Weiterbetriebs der Spiegelhalle bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Erteilung einer spielhallenrechtlichen Erlaubnis im Auswahlverfahren sowie der rechtskräftigen Entscheidung über die Erteilung einer Befreiung im Härtefallverfahren nach § 51 Abs. 5 LGlüG zu verpflichten.

Nachdem die bis zum 30.06.2021 befristete Härtefallerlaubnis abgelaufen war, stellte der Antragsteller diesen gerichtlichen Eilantrag. In erster Instanz wurde dieser abgelehnt. Das Verwaltungsgericht führte aus, die Spielhalle sei nicht erlaubnisfähig, da sie den erforderlichen Mindestabstand von 500 m Luftlinie zu einer bestehenden Einrichtung zum Aufenthalt von Kindern und Jugendlichen (§ 42 Abs. 3 LGlüG) nicht wahre. Eine Berufung auf § 51 Abs. 5 S. 5 LGlüG sei nicht möglich, weil der Weiterbetrieb der Spielhalle jedenfalls am 01.07.2021 nicht mehr von einer Erlaubnis gedeckt gewesen und auch nicht behördlicherseits geduldet worden sei. Es liege somit eine zeitliche Zäsur vor.

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg folgte der Argumentation des Verwaltungsgerichts. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO wurde abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch, also die tatsächlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch, liege nicht vor. Der beantragten Erteilung einer Erlaubnis zum Betrieb der Spielhalle nach § 41 Abs. 1 LGlüG stehe der Versagensgrund des § 41 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 42 Abs. 3 LGlüG entgegen (Mindestabstand 500 m Luftlinie). Dies sei unstreitig.

Der Antragsteller könne sich nicht wirksam auf § 51 Abs. 5 S. 5 LGlüG berufen. Ihm sei zwar im Jahr 2008 eine Erlaubnis nach § 33i GewO für den Betrieb der Spielhalle erteilt worden. Allerdings sei dieser Betrieb seit dem 1.7.2017 nicht mehr von einer Erlaubnis gedeckt gewesen. Mit Eintritt dieser erlaubnisfreien Zeit sei der vermittelte Bestands- und Vertrauensschutz entfallen. Der Antragsteller hätte vor dem 01.07.2021 einen gerichtlichen Eilantrag stellen müssen. Eine aktive Duldung seitens der Behörde sei in deren Verhalten nicht zu sehen.

Die Entscheidung verdeutlicht nochmals die besondere Bedeutung des einstweiligen Rechtsschutzes im Verwaltungsrecht. Gerade auf dem Gebiet des Wirtschaftsverwaltungsrechts, zu welchem das Glücksspielrecht zählt, ist die rechtzeitige Einschaltung eines qualifizierten Fachanwalts zur Vermeidung von irreversiblen rechtlichen und wirtschaftlichen (!) Nachteilen anzuraten.


ARBEITSRECHT

Betriebsrisiko: Ein Arbeitgeber ist während eines „Lockdowns“ nicht verpflichtet seinen geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern („Minijoblern“) die Vergütung weiter zu bezahlen!

#68 | 21.10.2021

Verfügt der Staat einen „Lockdown“ zur Bekämpfung der Corona-Pandemie und verlangt er eine vorrübergehende Schließung von Betrieben, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet während dieser Zeit seinen geringfügig beschäftigten Arbeitnehmern die Vergütung, unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs, weiter zu bezahlen. Das hat das Bundesarbeitsgericht nunmehr klar entschieden (BAG, Urteil vom 13.10.2021 - 5 AZR 211/21).

Im Einzelnen:

Die Beklagte betreibt einen Handel mit Nähmaschinen und Zubehör und unterhält in Bremen eine Filiale. Dort ist die Klägerin seit Oktober 2019 auf Basis einer geringfügigen Beschäftigung eingestellt. Sie verdient dort 432,00 € brutto und ist Verkäuferin.

Im April 2020 musste das Ladengeschäft des Arbeitgebers aufgrund einer Allgemeinverfügung der Freien Hansestadt Bremen vom 23.03.2020 schließen. Daher konnte die Klägerin nicht arbeiten und erhielt deswegen auch keine Vergütung. Mit ihrer Klage begehrte die Arbeitnehmerin nunmehr die Zahlung ihres Entgelts für die Zeit des Lockdowns, unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs. Sie argumentierte hierzu, dass die Schließung des Betriebs des Arbeitgebers aufgrund einer behördlichen Anordnung geschehen sei und hierfür allein der Arbeitgeber das Risiko trage und nicht sie. Das sah der Arbeitgeber anders und verwies darauf, dass die von der Freien Hansestadt Bremen zur Pandemiebekämpfung angeordneten Maßnahmen das allgemeine Lebensrisiko aller Menschen beträfe, dieses nicht beherrschbar sei und von allen gleichermaßen daher getragen werden müsse.

Die Vorinstanzen gaben zunächst der Klägerin Recht (u.a. LAG Niedersachsen, Urteil vom 23.03.2021 - 11 Sa 1062/20). Das Bundesarbeitsgericht sieht das jetzt, entgegen vieler Tendenzen in der Instanzrechtsprechung, anders und weist auf folgendes hin:

Dient der Arbeitsausfall zum Schutz der gesamten Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen infolge von SARS-CoV-2-Infektionen und wird staatlich verordnet, dann kann sich hierdurch nicht das an einen bestimmten Betrieb angelegte Betriebsrisiko im Zusammenhang mit einem geringfügig Beschäftigten realisieren. Im Gegenteil: Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung ist die Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage. In einer solchen ist es dann Sache des Staates, gegebenenfalls für einen adäquaten Ausgleich der den Beschäftigten (auch der geringfügig Beschäftigen) durch den hoheitlichen Eingriff entstehenden finanziellen Nachteil – wie es zum Teil mit dem erleichterten Zugang zum Kurzarbeitergeld erfolgt ist – zu sorgen. Da dies vorliegend für die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse nicht geschehen ist, kann der Arbeitgeber während eines „Lockdowns“ auch nicht verpflichtet werden währenddessen das Entgelt an seine Minjobler zu leisten.

Dass geringfügig Beschäftigte während eines Lockdowns nicht geschützt werden, beruht sodann auf Lücken in dem sozialversicherungsrechtlichen Regelungssystem. Aus dem Fehlen nachgelagerter Ansprüche lässt sich jedoch keine arbeitsrechtliche Zahlungspflicht des Arbeitgebers herleiten.

Daher gehen Minijobler bei einem Lockdown leer aus und erhalten kein Gehalt.

Anders ist die Situation bei „normalen Arbeitsverhältnissen“. Kann in dieser der Arbeitgeber auf staatliche Hilfen – wie dem Kurzarbeitergeld – zurückgreifen, dann schuldet er auch während eines Lockdowns die Vergütung weiter.

Über diese Situation hatten wir bereits berichtet. Sie können unsere News dazu unter #52 finden!

Die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach stehen Ihnen für weitere Beratung und Begleitung auch auf diesem arbeitsrechtlichen Feld gerne zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns!


VERWALTUNGSRECHT

Beschluss VGH Baden-Württemberg vom 22.06.2021, Az. 4 S 720/21: Verstoß einer beamtenrechtlichen Beurteilungsrichtlinie gegen Art. 33 Abs. 2 GG - Beamtenrecht

#67 | 16.10.2021

Nach einem kürzlich veröffentlichen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg ist eine in Richtlinien vorgesehene arithmetische Ermittlung des Gesamtergebnisses einer dienstlichen Beurteilung, bei welcher die durch den Beurteiler erfolgende Gesamtbetrachtung durch Rechenoperationen ersetzt wird, regelmäßig rechtswidrig, weil sie den Anforderungen des Art. 33 Abs 2 GG widerspricht.

Verfahrensgegenstand war ein Eilantrag, mit welchem der Antragsteller die vorläufige Untersagung, die Stelle eines Amtsleiters bei einem Prüfamt mit dem Beigeladenen zu besetzen und diesen zu befördern, solange nicht über seine eigene Bewerbung auf diese Stelle bestandskräftig entschieden worden sei. Der Antragsteller hatte in erster Instanz vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart (Beschluss vom 12.02.2021, Az. 10 K 3272/20) obsiegt. Die unterlegene Gemeinde legte hiergegen Beschwerde ein. Diese Beschwerde hatte allerdings keinen Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung.

Im Rahmen der Zulässigkeit wies der VGH darauf hin, dass ein Rechtschutzbedürfnis weiterhin gegen sei. Der Ablauf der üblichen Wartefrist bei Konkurrentenstreitigkeiten von zwei Wochen sei vorliegend unschädlich. Die Frist schütze die Planungssicherheit des Dienstherrn. Solange allerdings noch keine Ernennung des Konkurrenten erfolgt sei, sei kein sachgerechter Grund ersichtlich, allein wegen des Ablaufs der nicht gesetzlich bestimmten 2-Wochen-Frist einem unterlegenen Bewerber einen Eilantrag nach § 123 VwGO zu versagen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19.11.2015 - 1 B 980/15).

Ferner sei der Eilantrag auch nicht verwirkt. Aus dem Umstand, dass zwischen ablehnender Auswahlentscheidung und Antragseingang beim Verwaltungsgericht drei Monate gelegen hätten, könne man dies nicht herleiten. Aufgrund der mehrfachen Bitten des Antragstellers um schriftliche Darlegung der Gründe für die Ablehnung seiner Bewerbung hätte nämlich zu keiner Zeit ein schutzwürdiges Vertrauen der Antragsgegnerin bezüglich der Nichteinlegung von Rechtsmitteln entstehen.

Aufgrund der Rechtswidrigkeit der dienstlichen Anlassbeurteilungen von Antragsteller und Beigeladenem bejahte der VGH des Weiteren den geltend gemachten Anordnungsanspruch. Es würde eine hinreichende Begründung des Gesamturteils von 10 Punkten fehlen. Es sei nicht zulässig, dass Ergebnis der Leistungsbeurteilung abschließend durch eine rein mathematische Formel zu ermitteln und die so gebildete Note ohne jegliche Begründung als „Punktewert“ in das Gesamturteil zu übernehmen. Die darüberhinausgehende Begründung jedenfalls der Gesamtnote fehle.

Der VGH verweist dabei auf aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Danach bedürfe das Gesamturteil einer dienstlichen Beurteilung, die im sog. Ankreuzverfahren oder allein durch Angabe von Zahlenwerten (deren inhaltliche Bedeutung in der Beurteilungsrichtlinie näher definiert wird) erstellt worden ist, im Regelfall einer gesonderten Begründung, um erkennbar zu machen, wie es aus den Einzelbegründungen hergeleitet werde (BVerwG, Urteil vom 09.05.2019 - 2 C 1.18). Nur in Ausnahmefällen würde weder ein Arithmetisierungsverbot noch ein eigenständiges Begründungsgebot bestehen. Solche seien nur dann gegeben, wenn sich der Dienstherr bei der dienstlichen Beurteilung auf eine vergleichsweise geringe Zahl von Einzelmerkmalen beschränke, wenn er diesen ausdrücklich gleichgroße Bedeutung und somit das selbe Gewicht zumesse und wenn die Gleichgewichtung angesichts des Bedeutungsgehalts der Einzelmerkmale rechtlich beanstandungsfrei sei (BVerwG Urteil vom 17.09.2020 - 2 C 2.20). Eine generell vorgenommene Gewichtung der einzelnen Beurteilungskriterien könne den Beurteiler nicht von der Verantwortung zur Bildung eines insgesamt zutreffenden Gesamturteils entbinden. Denn diesem sei die Möglichkeit zu belassen, ein vom rechnerischen Ergebnis der Einzelbewertungen abweichendes Gesamturteil zu vergeben. Andernfalls liege regelmäßig ein Widerspruch zu den Vorgaben des Art. 33 abs. 2 GG vor.

Mit der Entscheidung betont der Verwaltungsgerichtshof die weiterhin fortbestehenden hohen Begründungsanforderungen an dienstliche Beurteilungen. Diesen kommt im Beamtenrecht weiterhin eine herausragende Bedeutung zu, da sie vielmals die Grundlage für weitere, tiefgreifende Personalmaßnahmen wie Beförderungen, Versetzungen oder die Übernahme ins Beamtenverhältnis auf Lebenszeit nach Ablauf der Probezeit sein können. Soweit Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer dienstlichen Beurteilung bestehen, sollte möglichst frühzeitig ein qualifizierter Fachanwalt für Verwaltungsrecht eingeschaltet werden.


VERWALTUNGSRECHT

Urteil Bundesverwaltungsgericht vom 09.09.2021, Az. 2 C 1.20; 2 C 4.20 u.a.

#66 | 09.10.2021

Bei Berufssoldaten können Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung doppelt als ruhegehaltsfähige Dienstzeit angerechnet werden, so das Bundesverwaltungsgericht in mehreren Urteilen vom 09.09.2021.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte in mehreren Parallelverfahren über die Frage einer doppelten Anrechnung von Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung im Rahmen der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit zu entscheiden. Hierbei hat es klargestellt, dass eine doppelte Berücksichtigung auch für Dienstzeiten von Berufssoldaten während einer Auslandsverwendung, die vor dem 01.12.2002 absolviert worden ist, möglich sei.

Das Bundesverwaltungsgericht verweist hier auf die durch das Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz mit Wirkung vom 13.12.2011 eingeführte Regelung des § 25 Abs. 2 S. 3 des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) i. V. m. der seit 2002 geltenden Bestimmung des § 63 c Abs. 1 SVG. Danach könnten Dienstzeiten einer Auslandsverwendung von bestimmter Dauer als doppeltruhegehaltfähig berücksichtigt werden, sofern es sich um Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung handle. Dies seien etwa der KFOR-Einsatz im Kosovo oder der ISAF-Einsatz in Afghanistan. Die Regelung gelte für Berufssoldaten, welche nach dem Inkrafttreten des § 25 Abs. 2 S. 3 SVG in Ruhestand treten.

Aufgrund des sogenannten Versorgungsfallprinzips werde die Versorgung nach Maßgabe der am Tag des Ruhestandseintritts geltenden Rechtslage gewährt. Bei den Klägern, welche nach dem 13.12.2011 in den Altersruhestand getreten sind, können somit auch die vor Dezember 2002 absolvierten Zeiten besonderer Auslandsverwendung als doppeltruhegehaltsfähig berücksichtigt werden. Das Bundesverwaltungsgericht begründet dies damit, dass das Gesetz keine ausdrückliche Beschränkung auf solche Zeiten ab Dezember 2002 enthalte. Die doppelte Berücksichtigung sei allerdings auf den Höchstruhegehaltssatz gedeckelt. Die Rechtslage sei hier explizit anders als bei der Parallelvorschrift im Rentenrecht (§ 76 e SGB VI), die eine Beschränkung auf Zeiten ab Dezember 2002 ausdrücklich vorsieht.

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ARBEITSRECHT

Krankschreibungspraxis: Paukenschlag aus Erfurt zur Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und zur Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers.

#65 | 10.09.2021

Wird ein Arbeitsverhältnis gekündigt kontern viele Arbeitnehmer reflexartig mit einer Krankschreibung während der Kündigungsfrist. Bisher konnte der Arbeitgeber hiergegen wenig unternehmen und musste die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall trotz aller Zweifel an der Berechtigung hierauf leisten. Der „gelbe Schein“ des Arztes machte es Arbeitnehmern einfach, weil ihm ein sehr hoher Stellenwert in der Beweisführung vor Gericht zukam – bisher!

Dieser – für Arbeitgeber und die Versicherungsgemeinschaft leidigen – Praxis hat das Bundesarbeitsgericht jetzt einen Riegel vorgeschoben und folgendes geurteilt (BAG, Urteil vom 08.09.2021 - 5 AZR 149/21):

Die Klägerin war bei der Beklagten als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Am 08.02.2019 kündigte sie das Arbeitsverhältnis selbst und legte der Beklagten eine auf den 08.02.2019 datierte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung („gelber Schein“) vor. Daraufhin verweigerte die Beklagte die Entgeltfortzahlung nach §§ 3 EntgFG, 7 EntgFG. Sie behauptete, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sei, weil sie genau die Kündigungsfrist der Klägerin abdecke. Dagegen machte die Klägerin geltend, dass sie ordnungsgemäß krankgeschrieben worden wäre und kurz vor einem Burn-Out gestanden habe, was so schlimm war, dass man deswegen nicht hatte weiterabreiten können. Die Vorinstanzen haben die Beklagte zur Entgeltfortzahlung verurteilt. Hiergegen legte die Beklagte Revision ein. Mit Erfolg!

Zwar hat die Klägerin die von ihr behauptete Arbeitsunfähigkeit zunächst mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen (diese ist das gesetzlich vorgesehene Beweismittel dafür), dessen Beweiswert kann der Arbeitgeber aber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin geben. Gelingt ihm das, muss der Arbeitnehmer substantiiert darlegen und beweisen, dass er wirklich arbeitsunfähig krank gewesen ist. Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert. Das Zusammenfallen zwischen der Kündigung und der daraufhin sofort vom Arzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeit für den Beendigungszeitraum begründet bereits ernsthafte Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin. Daher muss jetzt die Klägerin vollumfänglich beweisen, dass sie tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war. Vorliegend ist ihr das nicht gelungen, sodass ihre Klage vollumfänglich abzuweisen war.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts wird weitergehende Folgen haben (müssen).

Spinnt man den Fall weiter, liegt es nicht fern auf den Gedanken zu kommen, dass die Klägerin hier versucht haben könnte sich zu Unrecht Entgeltfortzahlungsansprüche zu erschleichen. Sie wird sich daher ggf. an anderer Stelle jetzt weiter zu verteidigen haben. Auch der an der Krankschreibung beteiligte Arzt wird sich Sorgen machen müssen. Er könnte zur Tat der Klägerin Beihilfe geleistet haben und deswegen nicht nur seine Zulassung in Gefahr sehen, sondern wird auch vertiefte Kontrollen der Krankenkassen jetzt fürchten müssen, die sich die Krankschreibungspraxis von Ärzten weiter ansehen werden. Immerhin müssen diese dem Arbeitgeber in bestimmten Fällen die von ihm gezahlte Entgeltfortzahlung teilweise wieder erstatten und was generell zu Lasten der Versicherungsgemeinschaft geht.

Die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach beraten und vertreten regelmäßig Unternehmen und Mitarbeiter in allen Bereichen des Arbeitsrechts. Wir stehen Ihnen für weitere Beratung und Begleitung auch auf diesem arbeitsrechtlichen Feld gerne zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns!


ARBEITSRECHT

Interview von Ralf Onasch mit „Businesstalk am Kudamm - Interview Magazin für die Wirtschaft“ zur Frage der „sozialen Rechtfertigung“ von Kündigungen

#64 | 06.09.2021

Unser Fachanwalt Ralf Onasch gab am 06.09.2021 dem „Businesstalk am Kudamm - Interview Magazin für die Wirtschaft“ ein Interview zur Frage der sozialen Rechtfertigung von Kündigungen. Im "Businesstalk am Kudamm" unter der Rubrik „Personal & Karriere“ ist der Beitrag online abrufbar.


HANDELS- & GESELLSCHAFTSRECHT

Urteil OLG Frankfurt vom 07.07.2021, Az. 7 U 19/21 zu ehemaligem Vorstandsvorsitzenden der Wirecard AG erhält vorläufigen Abwehrschutz seiner D&O-Versicherung

#63 | 27.07.2021

Das OLG Frankfurt hat in einem Berufungsurteil vom 07.07.2021 (Az. 7 U 19/21) entschieden, dass sich die D&O-Versicherung des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden des insolventen, ehemals international tätigen Zahlungsdienstleisters Wirecard nicht auf einen Leistungsausschluss wegen arglistiger Täuschung bei Vertragsverlängerung stützen könne. Tobias Ibach, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht in Karlsruhe und Pforzheim stellt die aktuelle Entscheidung vor.

Gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Wirecard AG wird nicht nur ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft München geführt. Er wird gemeinsam mit der insolventen AG vor dem Landgericht München auch auf Schadensersatz in Höhe von über 1 Mio. Euro von diversen Gläubigern und Geschädigten in Anspruch genommen. Die beklagte Versicherung hatte die Übernahme von Kosten zur Abwehr von Schadensersatzansprüchen abgelehnt. Der Kläger weist alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück.

Der Kläger hatte eine vorweggenommene Deckungsklage vor dem Landgericht Frankfurt in Verbindung mit einer Leistungsverfügung beantragt. Das Landgericht hatte dem Antrag durch Urteil vom 18.01.2021 (Az. 2-08 O 320/20) stattgegeben. Die Berufung der beklagten Versicherung wurde nun vom OLG Frankfurt zurückgewiesen. Es bleibt dabei, dass der Kläger im Weg der einstweiligen Verfügung die Gewährung von vorläufigen Abwehrkosten aus seiner D&O-Versicherung (Vermögenschadenhaftpflichtversicherung) die von der Wirecard AG bei der Beklagten für ihre Organmitglieder und leitenden Angestellten abgeschlossen worden war, erhält. Entscheidungserheblich war hierfür insbesondere Ziffer 7.1.3 der Versicherungsbedingungen. Danach habe der Versicherer im Zweifel über das Vorliegen einer wissentlichen Pflichtverletzung oder vorsätzlichen Pflichtverletzung Verteidigungskosten zu gewähren.

Das Oberlandesgericht führt dazu aus, dass die Rechtsschutzverpflichtung zur Abwehr von unberechtigten Ansprüchen Dritter für den Versicherten von existenzieller Bedeutung sei. Im Falle einer Deckungsablehnung durch den Versicherer stünde der Versicherte ohne Rechtsschutz da und wäre auf einen langwierigen, vorweggenommenen Deckungsprozess gegen den Versicherer angewiesen. Durch die besondere Ausgestaltung der vorläufigen Verteidigungskosten in Ziffer 7.1.3 würde dem berechtigten Interesse des zu Unrecht beschuldigten Managers nach bestmöglicher Absicherung durch eine D&O-Versicherung Rechnung getragen. Ein Leistungsausschluss sei nur im Falle einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung, aus welcher sich Umstände hinsichtlich einer vorsätzlichen Pflichtverletzung ergeben, die eine vorsätzliche Pflichtverletzung belegen können, möglich. Da eine solche Entscheidung gegenwärtig nicht vorliegt und nach Auffassung des OLG Frankfurt nur außerhalb des Deckungsprozesses in einem separaten Verfahren stattfinden könne, sei es der Versicherung nicht möglich, sich bis zum Vorliegen einer solchen Entscheidung auf eine arglistige Täuschung zu berufen.

Die Entscheidung stärkt grundsätzlich die Position von Versicherungsnehmern und ist im Sinne der zahlreichen Vorstände, GmbH-Geschäftsführern und sonstigen leitenden Angestellten und Managern, die derartige Versicherungen abgeschlossen haben, zu begrüßen.

Bei Beratungsbedarf zu wirtschaftsrechtlichen Fragestellungen stehen Ihnen die Fachanwälte für Handels- und Gesellschaftsrecht der Kanzlei Gräber Onasch Ibach gerne jederzeit zur Verfügung, zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren!


VERWALTUNGSRECHT

Beschluss VGH Baden-Württemberg vom 08.06.2021, Az. 6 S 506/21 zur Versagung einer Gewerbeerlaubnis

#62 | 27.07.2021

In einem aktuellen Beschluss zur Versagung einer Gewerbeerlaubnis für die Aufstellung von Spielgeräten mit Gewinnmöglichkeit (Automatenspiel) hat der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim entschieden, dass der Ablauf der 3-Jahres-Frist des § 33 c Abs. 2 Nr. 1 GewO im Rahmen der Zuverlässigkeitsprognose keine Sperrwirkung hinsichtlich der Verwertbarkeit von länger zurückliegenden Eintragungen im Gewerbezentralregister entfaltet. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Pforzheim und Karlsruhe, Tobias Ibach, stellt die Entscheidung vor:

Der Antragsteller wendete sich mit einer Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 15.12.2020 (Az. 4 K 5128/20). Er hatte dort die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen eine belastende Entscheidung der Gewerbebehörde beantragt. Die Antragsgegnerin hatte nämlich zuvor unter Anordnung der sofortigen Vollziehung eine dem Antragsteller im Jahr 1990 erteilte Aufstellerlaubnis nach § 33 c Abs. 1 GewO für die Zukunft widerrufen, die Rückgabe der Aufstellerlaubnis angeordnet und für den Fall der Nichtbefolgung ein Zwangsgeld angedroht.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hatte in I. Instanz den Antrag abgelehnt und den erfolgten Widerruf der Aufstellerlaubnis für rechtmäßig befunden, da der Antragsteller voraussichtlich unzuverlässig sei. Hierbei wurde insbesondere auf zwei strafrechtliche Verurteilungen durch Amtsgerichte verwiesen, die Verstöße gegen Meldepflichten nach dem Kommunalabgabengesetz sowie das Aufstellen eines Spielgeräts ohne die erforderliche Bestätigung zum Gegenstand hatten. Diese Verpflichtungen würden einen Gewerbebezug aufweisen und den Kernbereich der Pflichten des Automatenaufstellers betreffen. Es handle sich um gravierende Delikte. Ziel des Erlaubnisvorbehalts aus § 33 c Abs. 1 GewO sei der Schutz der Gäste und der Jugendschutz. Dieser sei beim Antragsteller nicht gewährleistet.

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers hiergegen wurde als unbegründet zurückgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hält den Widerruf der Aufstellerlaubnis, gemessen an der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich für rechtmäßig. Die Erlaubnis sei nämlich zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für die Aufstellung von Spielgeräten erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitze. Das sei in der Regel nach § 33 c Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 2 GewO der Fall, wenn in den letzten drei Jahren vor Antragstellung wegen eines Verbrechens, wegen Diebstahls, Unterschlagung, Erpressung, Hehlerei, Geldwäsche, Betrugs, Untreue, unerlaubte Veranstaltung eines Glückspiels, Beteiligung an unerlaubten Glückspiel oder wegen eines Vergehens nach § 27 Jugendschutzgesetz eine rechtskräftige Verurteilung erfolgt sei. Die Unzuverlässigkeit liegt nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs vor, wenn der Gewerbetreibende nach dem Gesamtbild seines Verhaltens keine Gewähr dafür biete, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreibe. Beim Antragsteller lag zudem eine Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe vor.

Insgesamt kommt der Verwaltungsgerichtshof zu dem Ergebnis, dass beim Antragsteller die fortdauernde fehlende Bereitschaft vorliege, gesetzliche Vorgaben zu beachten. Die im Gewerbezentralregister aufgeführten Ordnungswidrigkeiten und Bußgeldentscheidungen dürften bei summarischer Prüfung zum Nachteil des Antragstellers verwertet werden, da sie weder getilgt noch zu tilgen seien. Bei der prognostischen Würdigung der Zuverlässigkeit des Antragstellers sei die Behörde (und das Gericht) auch nicht aufgrund der 3-Jahres-Frist des § 33 c Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 2 GewO an der Berücksichtigung der länger zurückliegenden Eintragungen im Gewerbezentralregister gehindert. Dies wird insbesondere damit begründet, dass § 153 Abs. 6 S. 1 GewO nicht eindeutig zu entnehmen sei, dass Ordnungswidrigkeiten und Bußgeldentscheidungen (nur dann!) nicht mehr zum Nachteil der betroffenen Person verwertet werden dürften, wenn die Eintragung im Register getilgt worden sei. Die Typik der in § 33 c Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 2 GewO genannten Straftatbestände indiziere im Sinne einer widerlegbaren Vermutung regelmäßig die Annahme der geweberechtlichen Unzuverlässigkeit (vgl. Beschluss Bayerischer VGH vom 25.09.2012, Az. 22 ZB 12.731). Nach Ablauf der 3-Jahres-Frist komme unter Umständen allerdings auch bei diesen Tatbeständen eine Berücksichtigung der Straftat im Rahmen der Generalklausel zur Unzuverlässigkeit nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 1 GewO in Betracht.

Mit dieser Entscheidung bestätigt der Verwaltungsgerichtshof die strenge behördliche Handhabung der gewerberechtlichen Regelungen zur Versagung einer Gewerbeerlaubnis bzw. zu deren späteren Widerruf. Es ist davon auszugehen, dass der Rechtsgedanke dieser Entscheidung auch auf vergleichbare Regelungen für andere erlaubnispflichtige Gewerbe in der Gewerbeordnung übertragen werden kann.

Bei Rechtsfragen rund um das Wirtschaftsverwaltungsrecht, Gewerberecht und die Erteilung sowie den Widerruf von Gewerbeerlaubnissen stehen Ihnen die Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach gerne zur Verfügung!


VERWALTUNGSRECHT

Beschluss VGH Baden-Württemberg vom 11.05.2021, Az. 4 S 621/21 zu förderlichen Vordienstzeiten sind von § 32 Landesbesoldungsgesetz a. F.

#61 | 06.07.2021

Der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim hat sich in einer aktuellen Entscheidung zum Beamtenrecht mit den förderlichen Vordienstzeiten gemäß § 32 Landesbesoldungsgesetz a. F. beschäftigt. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Pforzheim und Karlsruhe, Tobias Ibach, stellt die Entscheidung vor.

Der Kläger, ein Polizeiobermeister im Dienst des Landes Baden-Württemberg, war vor seinem Eintritt in den Polizeivollzugsdienst für mehrere Jahre bei verschiedenen Kreditinstituten als Bankkaufmann tätig. Mit Bescheid setzte das Landesamt für Besoldung und Versorgung den Zeitpunkt des Beginns seines Aufsteigens in den Erfahrungsstufen, nur unter Berücksichtigung von Grundwehrdienst und Elternzeit, auf das Jahr 2012 fest. Der Kläger hingegen begehrt die Vorverlegung dieses Zeitraums um rund 10 Jahre. Er hält seine Tätigkeit als Bankkaufmann für berücksichtigungsfähig. In der I. Instanz hatte das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Klage mit Urteil vom 20.01.2021 (Az. 1 K 3679/18) abgewiesen. Ein Anspruch auf Vorverlegung des Beginns des Aufsteigens in den Stufen bestehe nicht. Die Tätigkeit als Bankkaufmann sei für die Verwendung als Beamter des Polizeivollzugdiensts nicht förderlich. Die dort erworbenen Kenntnisse seien nicht hinreichend spezifisch für die Verwendung als Beamter im Polizeivollzugsdienst.

Der VGH Baden-Württemberg hat den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung abgelehnt. Der Verwaltungsgerichtshof sieht keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils und schließt sich der rechtlichen Bewertung durch das VG Karlsruhe an. Zur Begründung führt der Verwaltungsgerichtshof aus, dass eine Tätigkeit im Sinne des § 32 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 LBesG a.F. nur gegeben sei, wenn sie für die Dienstausübung des Beamten nützlich sei. Sie müsse die Dienstausübung also nach objektiven Maßstäben entweder erst ermöglichen (z. B. durch die früher gewonnenen Kenntnisse, Fertigkeiten, Fähigkeiten und Erfahrungen) oder diese jedenfalls erleichtern und verbessern (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14.12.2017, Az. 2 C 25.16). Der Begriff der „Förderlichkeit“ sei nicht eng auszulegen. Es sei nicht zwingend, dass die frühere berufliche Tätigkeit Bezug zu wesentlichen Bereichen der späteren Verwendung habe. Es könne genügen, wenn die in einem früheren Beruf erworbenen zusätzlichen Kompetenzen und Erfahrungen die Dienstausübung nur in einem Teilbereich der Verwendung erleichtern und verbessern.

Bezüglich des Klägers argumentiert der Verwaltungsgerichtshof, dass zwar insbesondere durch den Umgang mit Kreditnehmern in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen die soziale Kompetenz und die Fähigkeit zu Sachverhaltsanalysen geschult werde. Es stehe auch außer Zweifel, dass der Kläger im Rahmen der Banktätigkeit EDV-Kenntnisse erworben habe. Allerdings seien diese Fähigkeiten und Kompetenzen allgemein im Berufsleben und in einer Vielzahl von Berufen nützlich. Ihnen fehle jedoch der spezifische Bezug zur jetzigen Verwendung im Polizeidienst. Derartige allgemeine Charaktereigenschaften und Fertigkeiten könnten somit eine Anerkennung als förderlich gerade für die spezifische Verwendung als Polizist im mittleren Dienst nicht rechtfertigen.

Bei Beratungsbedarf auf dem Feld des Beamtenrechts stehen Ihnen die Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach gerne zur Verfügung; nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf!


VERWALTUNGSRECHT

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen: Baurechtsbehörde muss bei Verstößen gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Rechts einschreiten!

#60 | 07.06.2021

In einer aktuellen Entscheidung zum öffentlichen Baurecht, die auch auf die Rechtslage in Baden-Württemberg übertragbar ist, hat das OVG Nordrhein-Westfalen festgestellt, dass die Bauordnungsbehörde grundsätzlich im Falle der Baurechtswidrigkeit einer baulichen Anlage aufgrund eines Verstoßes gegen nachbarschützende Vorschriften einschreiten muss. Eine solche Ermessensreduktion komme nicht nur bei einer Gefährdung hochrangiger Rechtsgüter wie Leib und Leben in Betracht. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach stellt die Entscheidung vor.

Gegenstand des Beschlusses vom 07.05.2021 (Az. 2 A 468/21) war ein Antrag des Beigeladenen auf Zulassung der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil des VG Düsseldorf vom 14.01.2021 (Az. 28 K 6199/18). Die Kläger hatten in der ersten Instanz beantragt, die beklagte Baurechtsbehörde zu verpflichten, dem Beigeladenen aufzugeben, Bodenaufschüttungen auf dessen Grundstück unter Beachtung der baurechtlichen Abstandsflächen abzutragen und auf mindesten 3 Meter, gerechnet von der Grundstücksgrenze, zurückzuverlegen.

Das Verwaltungsgericht bejahte den klägerischen Anspruch auf bauordnungsrechtliches Einschreiten gegen die Aufschüttung entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze, weil diese gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstoße, welche dem Schutz der Kläger als Nachbarn dienten, und weil das der beklagten Baurechtsbehörde zustehende Ermessen auf Null reduziert sei.

Das Oberverwaltungsgericht hat den Einwand des Beigeladenen, dass eine Ermessensreduktion nur bei der Gefährdung hochrangiger Rechtsgüter wie Leib oder Leben in Betracht komme, entschieden zurückgewiesen. Das Gericht betont, dass im Falle einer Baurechtswidrigkeit eine Anlage aufgrund eines Verstoßes gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Rechts die Baurechtsbehörde gehalten sei, hiergegen einzuschreiten und verweist auf das Urteil des OVG NRW vom 25.10.2010 (Az. 7 A 290/09).

Das Oberverwaltungsgericht hat sich ferner mit dem Begriff der Aufschüttungen auseinandergesetzt und festgestellt, dass es sich im konkreten Fall nicht um ein genehmigungsfreies Vorhaben im Sinne von § 62 Abs. 1 Nr. 9 BauO NRW handle. Die Unterteilung einer Aufschüttung in eine abstandsflächen-irrelevante Böschung und einen sonstigen Teil sei unzulässig. Es handle sich um eine selbstständige Aufschüttung, wenn sie nicht im Zusammenhang mit einer anderen baulichen Anlage errichtet wurde, sondern eine eigene Funktion und eine eigene Zweckbestimmung habe, also nicht im räumlichen oder funktionalen Zusammenhang mit einer anderen baulichen Anlage durchgeführt wurde, wie z.B. Aufschüttungen für Terrassen oder Abgrabungen für die Belichtung eines Kellers.

Die Kernaussagen der Entscheidung können auch in Streitfällen mit Baubehörden in Baden-Württemberg mit Blick auf die Definition von Aufschüttungen als verfahrensfreie Vorhaben (Anhang Ziff. 11 e zu § 50 Abs. 1 LBO Baden-Württemberg) sowie hinsichtlich der Voraussetzungen für den Erlass einer Abbruchsanordnung oder Nutzungsuntersagung im Rahmen der Bauaufsicht gem. § 65 LBO Baden-Württemberg relevant werden.

Bei Beratungsbedarf im öffentlichen und privaten Baurecht stehen Ihnen die Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach gerne jederzeit zur Verfügung. Wir freuen uns auf Ihren Anruf oder Ihre E-Mail!


VERWALTUNGSRECHT / ÖFFENTLICHES BAURECHT

Beschluss des OVG NRW vom 27.04.2021, Az. 7 B 126/21 zu sog. Betriebsleiterwohnungen

#59 | 07.06.2021

Dürfen Betriebsinhaber und Betriebsleiter ohne weitere Voraussetzungen im Gewerbegebiet oder Industriegebiet wohnen? Das OVG Nordrhein-Westfalen hat sich in einer aktuellen Entscheidung hiermit auseinandergesetzt. Unser Fachanwalt für Verwaltungsgericht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach erläutert die rechtlichen Hintergründe und geht auf die Entscheidung ein.

In § 8 und § 9 BauNVO sind Ausnahmen zur Schaffung von Wohnungen für Betriebsinhaber und Betriebsleiter eines Gewerbebetriebs vorgesehen. Dasselbe gilt für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen, die dem Gewerbebetrieb zugeordnet sind. Während grundsätzlich in Gewerbe- und Industriegebieten eine Wohnnutzung nicht in Betracht kommt, können für solche Personen Wohnungen geschaffen werden. Hierbei ist als weitere Voraussetzung zu beachten, dass die Wohnungen gegenüber dem Gewerbegebiet in Grundfläche und Baumasse untergeordnet sein müssen.

Es handelt sich jeweils um „Kann-“ Vorschriften, der Baubehörde steht also ein Ermessen zu. Üblicherweise werden die Voraussetzungen von den Baubehörden streng geprüft, um Umgehungslösungen und Missbrauch zu unterbinden. Diesbezüglich hat nun das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen klargestellt, dass Voraussetzung für das Vorliegen eines betriebsbezogenen Wohnens von Betriebsleitern bzw. Betriebsinhabern zwar nicht ist, dass eine zwingende Erforderlichkeit für das Wohnen auf dem Betriebsgelände besteht. Das Wohnen dort vor Ort muss aber gleichwohl aus betrieblichen Gründen zumindest objektiv sinnvoll sein. Hier verweist das Gericht auch auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.06.1999 (Az. 4 B 46.99). Der Antragsteller bzw. Bauherr ist somit verpflichtet, entsprechende betriebliche Gründe gegenüber der Baubehörde darzulegen.

Da dies im vorliegenden Fall versäumt worden war, bestätigte das Oberverwaltungsgericht die Nutzungsuntersagung aufgrund der formell illegalen Nutzung als gerechtfertigt und ermessensgerecht.

Beim Wohnen auf dem Betriebsgelände für Betriebsinhaber und Leitungspersonen handelt es sich um ein heikles Thema. Hier ist es wichtig, von vornherein etwaige Missverständnisse zu vermeiden und sich klar gegenüber der Baurechtsbehörde zu positionieren. Durch eine gute, umfassende Aufbereitung und Darstellung des Sachverhalts lassen sich Streitfälle oft bereits im Vorfeld vermeiden. Bei entsprechendem Beratungsbedarf stehen Ihnen die Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach auch auf diesem Teilgebiet des öffentlichen Baurechts gerne zur Verfügung!


VERWALTUNGSRECHT

Urteil des BVerwG vom 29.04.2021 (Az. 2 C 18.20): Freizeitausgleich für Ruhezeiten während Großeinsatz der Bundespolizei

#58 | 03.06.2021

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in einer aktuellen Entscheidung mit Klagen von Bundespolizisten der Bereitschaftspolizei, die beim die G7-Gipfel in Elmau, Bayern, 2015 eingesetzt waren beschäftigt und Ansprüche auf Freizeitausgleich bejaht. Tobias Ibach, unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim stellt die Entscheidung vor.

Die Kläger sind Polizeivollzugsbeamte des Bundes (Bundesbereitschaftspolizei). Sie wurden im Rahmen des G7-Gipfels in Elmau eingesetzt. In ihrem Einsatzbefehl wurde Mehrarbeit auf Grundlage des § 88 Bundesbeamtengesetz (BBG) angeordnet. Für die Ruhezeiten der Beamten in der Unterkunft vor Ort galten verschiedene Einschränkungen hinsichtlich ihres Aufenthaltsortes und der Art und Weise, wie diese Zeiten verbracht werden durften. Die Beamten mussten ihre persönliche Ausrüstung einschließlich der Waffen ständig bei sich führen und jederzeit erreichbar sein. Weiter durften sie die Unterkunft allenfalls zu bestimmten Anlässen und nur nach vorheriger Genehmigung, nicht aber nach eigenem Belieben, verlassen. Die Ruhezeiten wurden bei dem gewährten Freizeitausgleich nicht berücksichtigt.

Sowohl das Berufungsgericht als auch das Bundesverwaltungsgericht haben den Klagen der Beamten auf zusätzlichen Freizeitausgleich stattgegeben. In der Begründung wird darauf hingewiesen, dass der Dienstherr mit dem Einsatzbefehl Mehrarbeit im Sinne von § 88 S. 2 BBG angeordnet habe. Der Anspruch der Kläger auf weiteren Freizeitausgleich nach dieser Vorschrift würde auch die in den Dienstplänen vorgesehenen Ruhezeiten miteinschließen. Bei diesen Zeiten handele es sich nämlich im Sinne der übereinstimmenden Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichts um Bereitschaftsdienst und damit um Arbeitszeit. Der Dienstherr habe schließlich das Bestimmungsrecht der Beamten, wo und wie sie diese Zeit verbringen können, durch verschiedene Vorgaben in erheblicher Weise eingeschränkt (siehe oben). Folglich hätten diese Zeiten das Gepräge eines „Sich-Bereithaltens“ und seien im Rahmen von § 88 S. 2 BGB wie Volldienst im Umfang 1:1 auszugleichen.

Bei Fragen und Problemen rund um das Thema Beamtenrecht stehen Ihnen die Fachanwälte für Verwaltungsrecht und Arbeitsrecht der Kanzlei Gräber Onasch Ibach in Pforzheim und Karlsruhe gerne zur Verfügung. Zögern Sie nicht, uns für ein unverbindliches Erstgespräch zu kontaktieren.


VERWALTUNGSRECHT

Aktueller Beschluss des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg vom 02.03.2021, Az. 4 S 1608/20 zur Aussagekraft von privatärztlichen Bescheinigungen hinsichtlich der Dienstunfähigkeit eines Beamten

#57 | 30.04.2021

Nach einer aktuellen Entscheidung des VGH Baden-Württemberg kann der Dienstherr dem Beamten bei Zweifeln an der Aussagekraft einer vorgelegten privatärztlichen Bescheinigung aufgeben, entweder umgehend den Dienst anzutreten oder eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines Amtsarztes oder beamteten Arztes vorzulegen. Von Beamten könne verlangt werden, hierfür in Eigeninitiative beim Gesundheitsamt vorzusprechen; eine Ladung sei nicht erforderlich. Unser Fachanwalt für Veraltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim, Tobias Ibach, stellt den Beschluss vor.

Beim Kläger handelt es sich um einen beamteten Regierungsobersekretär im Dienst des Landes Baden-Württemberg, der bei einer Justizvollzugsanstalt beschäftigt ist. Mit einem Bescheid wurde ihm gegenüber festgestellt, dass er rund einen Monat schuldhaft dem Dienst ohne Genehmigung ferngeblieben sei. In erster Instanz hatte das Verwaltungsgericht die Klage zurückgewiesen und festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Feststellung gem. § 11 Abs. 1 Satz 1 LBesG vorlägen. Der Kläger sei nicht dienstunfähig erkrankt gewesen. Ferner habe er sein Fernbleiben auch zu verschulden, weil er einer durch den Dienstherrn ausgesprochene Verpflichtung, zum Nachweis seiner Dienstunfähigkeit ein amtsärztliches Attest vorzulegen, vorwerfbar nicht nachgekommen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat den Antrag auf Zulassung der Berufung durch den Kläger abgelehnt. Es würden weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, noch handle es sich um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO).

Der Kläger hatte seine Argumentation im Wesentlichen darauf gestützt, dass er die ihm übertragenen dienstlichen Aufgaben an dem ihm dafür zugewiesenen Arbeitsplatz als Dienstort nicht erledigen könne. Der Verwaltungsgerichtshof führt dazu aber aus, dass eine solche Verknüpfung der Dienstfähigkeit mit einem Wechsel des Büros nicht auf das vorliegende Gutachten des Amtsarztes gestützt werden könne. Außerdem würde der Kläger den Begriff der Dienstunfähigkeit missverstehen, wenn er meint, dass eine Dienstunfähigkeit schon vorläge, wenn die Gegebenheiten am Arbeitsplatz möglicherweise seine gesundheitlichen Einschränkungen nicht hinreichend berücksichtigen würden. Denn eine Dienstunfähigkeit setze voraus, dass ein Beamter zur vorgesehenen Dienstleistung schlechterdings außerstande sei. Bloße gesundheitliche Einschränkungen würden der Dienstunfähigkeit nicht gleichstehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.02.1982, Az. 1 DB 23/81). Soweit ein Beamter der Meinung ist, dass gesundheitliche Einschränkungen eine bestimmte Gestaltung des Arbeitsplatzes erforderlich machen würden, sei er dennoch gehalten, zum Dienst zu erscheinen. Er müsse dann bei seinem Dienstherrn die unzureichende Arbeitsplatzgestaltung beanstanden und, falls es nicht zu einer Klärung kommt, vorläufigen Rechtsschutz in Anspruch nehmen.

Darüber hinaus stellt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass das Verlangen der Justizvollzugsanstalt, der Kläger müsse entweder umgehend den Dienst antreten oder eine amtsärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen, eine zulässige und rechtmäßige Konkretisierung der Nachweispflicht aus § 68 Abs. 2 Satz 1, 2 LBG darstelle. Eine inhaltlich unbeschränkte und nicht näher begründete privatärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erfülle diese Pflicht noch nicht.

Zudem sei das Gesundheitsamt auch für die Erstellung von Nachweisen im Sinne des § 68 Abs. 2 Satz 2 LBG nach Terminvereinbarung durch den Beamten zuständig. Die Vorschrift räume dem Dienstherrn nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ein Ermessen ein, ob und ggf. wann er vom Beamten den Nachweis seiner Dienstunfähigkeit verlangt. Nach seinem Ermessen bestimme er auch die Art des Nachweises. Der Rechtsauffassung des Klägers, wonach allein beamtete Ärzte, nicht aber Amtsärzte oder andere Ärzte des Gesundheitsamtes zuständig seien, tritt der Verwaltungsgerichtshof entschieden entgegen. Ärzte des Gesundheitsamtes und sonstige beamtete Ärzte seien gleichermaßen für die Durchführungen von Untersuchungen zur Überprüfung einer krankheitsbedingen Dienstunfähigkeit zuständig. Soweit aus Ziff. 41.1 BeamtVwV eine abweichende Aufgabenteilung folge, handle es sich um eine mit der objektiven Rechtslage unvereinbare, norminterpretierende Verwaltungsvorschrift, an welche das Gericht nicht gebunden sei.

Zuletzt stellt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass die Anordnung zu einer amtsmedizinischen Untersuchung entgegen der Auffassung des Klägers nicht in jedem Falle eine Ladung durch das Gesundheitsamt voraussetze. Der gesetzlichen Formulierung in § 68 Abs. 2 Satz 3 LBG könne keine Beschränkung der Pflicht des Beamten, erst auf Ladung zum Termin zu erscheinen, und damit eine Beschränkung der Zuständigkeit des Gesundheitsamts für Untersuchungen, die aufgrund eigener Ladungen stattfinden, entnommen werden.

Bei Fragen und Anliegen aus dem Bereich des Verwaltungsrechts sowie Beamtenrechts stehen Ihnen die Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach in Pforzheim und Karlsruhe gerne jederzeit zur Verfügung. Zögern Sie nicht, uns bei Beratungsbedarf unverbindlich zu kontaktieren.


VERWALTUNGSRECHT

Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 29.01.2021, Az. DL 16 S 1268/19: Fehlerhafte Begründung einer Disziplinarverfügung ist durch Nachholung einzelner Begründungsteile heilbar.

#56 | 29.04.2021

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in einem aktuellen Urteil Stellung zu den formellen und inhaltlichen Voraussetzungen einer Disziplinarverfügung nach § 38 LDG und somit zur Frage, wann Beamte aus dem Dienst entfernt werden können, genommen. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Pforzheim und Karlsruhe, Tobias Ibach, stellt das Urteil vor.

Der Kläger war zuletzt Abteilungsleiter der Steuerabteilung bei der Stadtkämmerei einer baden-württembergischen Gemeinde und wendet sich gegen seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis wegen Untreuevorwürfen. Er hatte Bargeldzahlungen von Steuerpflichtigen rechtswidrig vereinnahmt und so dafür gesorgt, dass Steuern in einer Größenordnung von nahezu 100.000,00 € nicht realisiert werden konnten und verjährt sind. Der Kläger war daher bereits strafrechtlich wegen besonders schwerer Untreue zu einer Gesamtfreiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt worden. Im Anschluss wurde das Disziplinarverfahren gegen den Kläger wegen des Verdachts der Untreue wieder aufgenommen und mit einer Disziplinarverfügung abgeschlossen. Diese sah vor, den Kläger aus dem Dienst zu entfernen und dessen monatliche Bezüge bis zu einem Anteil von 50 % einzubehalten. Hiergegen wurde Klage zum Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben. Dieses lehnte die Klage in I. Instanz ab (Az. VG Sigmaringen, DL 112 K 296/18 und 1 K 2792/18).

Der Kläger hatte auch mit seiner Berufung vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg keinen Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hält die Disziplinarverfügung für rechtmäßig. Sie sei nicht aufgrund formeller Mängel aufzuheben. Insbesondere enthalte sie den notwendigen Mindestinhalt. Nach § 38 Abs. 2 LDG sind in der Begründung der Disziplinarverfügung der persönliche und berufliche Werdegang des Beamten, der Gang des Disziplinarverfahrens, die Tatsachen, die ein Dienstvergehen begründen und die anderen Tatsachen und Beweismittel, die für die Entscheidung bedeutsam sind, darzustellen.

Formelle Mängel des Disziplinarverfahrens, etwa die nicht hinreichende Konkretisierung eines Disziplinarvorwurfs und der damit verbundenen Erstanhörung führen nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs nicht zur Rechtswidrigkeit der gesamten Disziplinarverfügung. Soweit die Begründung einer Disziplinarverfügung nicht dem in § 38 Abs. 2 S. 2 LDG gesetzlich vorgeschriebenen Mindestinhalt entspreche, sei dieser Mangel nämlich jedenfalls durch Nachholung einzelner Begründungsteile heilbar, soweit es sich nicht um einen schweren Formfehler handele. Weitere Voraussetzung sei, dass der vorgeworfene Sachverhalt von vornherein hinreichend abgegrenzt war und die Disziplinarverfügung nicht in ihrem Wesen verändert werde. Außerdem dürften die Verteidigungsmöglichkeiten des Beamten dadurch nicht beeinträchtigt werden.

Weiter führt das Gericht aus, dass ein beachtlicher Begründungsmangel im Sinne des § 38 LDG, welcher lediglich einzelne abgrenzbare Disziplinarvorwürfe betreffe, jedenfalls dann nicht auf die formelle Rechtmäßigkeit der Disziplinarverfügung durchschlage, wenn andere Dienstpflichtverletzungen, bei denen kein entsprechender Formfehler bestehe, bereits die disziplinare Höchstmaßnahme rechtfertigen würden. Ferner dürften auch hierbei die Verteidigungsrechte des Beamten im Verfahren dadurch nicht beeinträchtigt werden. Ein solcher Fall sei hier gegeben, sodass die formelle Rechtsmäßigkeit bejaht werden könne.

Auch die materielle Rechtmäßigkeit der Disziplinarverfügung bezüglich einer Entfernung des Klägers aus dem Dienst nach § 31 Abs. 1 S. 1 LDG wurde vom Verwaltungsgerichtshof angesichts des vorliegenden schweren Dienstvergehens bejaht. Der Kläger habe dadurch das Vertrauen der Dienstherrin und der Allgemeinheit in die pflichtgemäße Amtsführung endgültig verloren. Angesichts dieser Sach- und Rechtslage wurde die Berufung im Wesentlichen zurückgewiesen.

Das Disziplinarrecht stellt einen besonders komplexen Teilbereich des Beamtenrechts dar. Sollten Sie mit Fragestellungen hinsichtlich eines Disziplinarverfahrens konfrontiert sein, ist die Einschaltung eines Fachanwalts für Verwaltungsrecht empfehlenswert. Bei Beratungsbedarf stehen Ihnen die Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach gerne jederzeit für ein unverbindliches Erstgespräch zur Verfügung.


VERWALTUNGSRECHT

Aktuelle Rechtsprechungsübersicht zum Beamtenrecht Teil 2: Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 04.11.2020, Az. 4 S 2582/20

#55 | 14.04.2021

Auch während der Corona-Pandemie beschäftigen zahlreiche Verfahren mit Fragestellung aus dem Beamtenrecht die Verwaltungsgerichte. Dienstliche Beurteilungen, Beförderung, Konkurrentenstreitverfahren, beamtenrechtliche Auswahlverfahren und Disziplinarverfahren – die Fallgestaltungen sind vielschichtig. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach stellt in einem Überblick einige aktuelle Gerichtsentscheidungen zum Beamtenrecht vor.

Beschluss VGH Baden-Württemberg vom 04.11.2020, Az. 4 S 2582/20Ausschreibung muss genaue Anzahl der zu besetzenden Stellen angeben.

Dem Beschwerdeverfahren war in der ersten Instanz ein Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24.07.2020 (Az. 15 K 7550/19; hier der Link zum Parallelverfahren 15 K 6656/19) vorausgegangen. Der Antragsteller hatte dort begehrt, der Beschäftigungsbehörde im Wege einer einstweiligen Anordnung zu untersagen, eine ausgeschriebene Stelle mit dem Beigeladenen zu besetzen, bis über die Bewerbung des Antragstellers erneut entschieden worden sei. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hatte den Antrag zurückgewiesen, woraufhin der Antragsteller Beschwerde gem. § 146 Abs. 1 VwGO zum Verwaltungsgerichtshof in Mannheim erhoben hat. Das Verwaltungsgericht hatte in erster Instanz die Auswahlentscheidung zwar für formell und materiell fehlerhaft gehalten. Allerdings habe der Antragsteller keine hinreichenden Erfolgsaussichten bei einer erneuten Auswahl glaubhaft machen können. Die nicht hinreichende Begründung des Gesamturteils führe nicht zwangsläufig dazu, dass ein Erfolg bei einer erneuten Auswahlentscheidung ernsthaft möglich sei, wenn etwa das beste begründbare Gesamturteil des Antragstellers immer noch schlechter als das schlechteste begründbare Gesamturteil der Konkurrenten sei. Der Antragsteller hätte sich zumindest mit den vom Verwaltungsgericht konstatierten erheblichen Leistungsvorsprüngen der Konkurrentin auseinandersetzen müssen.

Der Verwaltungsgerichtshof ist im Beschwerdeverfahren der Argumentation des Verwaltungsgerichtes diesbezüglich nicht gefolgt. Bei einem Unterschied von nur einem Punkt in der Gesamtnote bei einer Skala von insgesamt 15 Punkten könne nicht davon ausgegangen werden, dass ein Erfolgt bei einer erneuten Auswahlentscheidung nicht ernsthaft möglich sei. Dies gelte insbesondere, wenn wie hier das Verwaltungsgericht eine Vielzahl von, auch materiellen, Fehlern aufgezeigt habe, beispielsweise die unzureichende Berücksichtigung der Schwerbehinderteneigenschaft des Antragstellers.

Der vom Verwaltungsgericht und von der Beigeladenen angeführte Umstand, dass diese bereits langjährig einen mit A 9 bewerteten Dienstposten wahrnehme, könne grundsätzlich nicht zusätzlich zur Gesamtnote angeführt werden. Die Wertigkeit des innegehabten Dienstpostens sei selbst kein leistungsbezogenes Auswahlkriterium (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.08.2005, Az. 2 C 37.04) und daher bei einer nach Art. 33 Abs. 2 GG vorzunehmenden Auswahlentscheidung allenfalls als Hilfskriterium heranzuziehen. Es sei nicht absehbar, ob es bei einer rechtmäßigen Auswahlentscheidung erforderlich sein werde, auf nichtleistungsbezogene Hilfskriterien abzustellen. Erst recht sei nicht absehbar, welche Hilfskriterien der Antragsgegner heranziehen werde. Nach einer erneuten Auswahlentscheidung sei wiederum eine Wartefrist von mindestens 2 Wochen einzuhalten.

Darüber hinaus wies der Verwaltungsgerichtshof explizit darauf hin, dass er die Bedenken des Verwaltungsgerichts an der ausreichenden Bestimmtheit der Ausschreibung von „bis zu 4“ Planstelle teile. Der Abbruch eines Auswahlverfahrens bedürfe eines sachlichen Grundes, der den Vorgaben aus Art. 33 Abs. 2 GG genüge. Der Dienstherr könne das Auswahlverfahren u.a. abbrechen, wenn eine erneute Ausschreibung erforderlich werde, um eine hinreichende Anzahl leistungsstarker Bewerber zu erhalten. Weiter setze die Rechtmäßigkeit des Abbruchs voraus, dass die Bewerber hiervon rechtzeitig und in geeigneter Form Kenntnis erlangen und der wesentliche Abbruchgrund schriftlich dokumentiert werde. Dieses berechtigte Anliegen könne der Antragsgegner auch bei einer präzisen Angabe der Anzahl ausgeschriebener Stellen erreichen.

Die in der konkreten Ausschreibung gewählte Formulierung dagegen berge die Gefahr, dass die Möglichkeiten eines Bewerbers, um effektiven Rechtsschutz nachzusuchen beeinträchtigt würden. Dies zeige sich auch bei der dem Gericht bekannten Praxis aus anderen Verwaltungsbereichen, die Bewerberauswahl nach einer Ausschreibung zu staffeln. Hier wird nicht eine Auswahlentscheidung für alle ausgeschriebenen Stellen vorgenommen, sondern besonders herausragende Bewerber werden vorgezogen. Die Auswahl unter den übrigen Bewerbern wird später vorgenommen. Diese Praxis hält der Verwaltungsgerichtshof für problematisch, weil Risiken, wie eine spätere Erweiterung des Bewerberkreises oder eine Streichung von Stellen, nur den verbleibenden Bewerbern auferlegt würden. Zudem führe die Formulierung dazu, dass für einen Bewerber nach Auswahl von nur 3 Konkurrenten nicht erkennbar sei, ob ein Vierter später noch ausgewählt werden solle oder nicht und ob ein Verfahrensabbruch vorliege oder ob die Behörde weniger als die „maximal“ ausgeschriebene Anzahl an Stellen besetzen möchte. Ein solcher Fall müsse unter Umständen wie ein Verfahrensabbruch behandelt und an den gleichen Voraussetzungen gemessen werden, um Art. 19 Abs. 4 GG ausreichend Rechnung zu tragen. Deshalb sei die Ausschreibung von „bis zu 4“ Planstellen als Ausschreibung von 4 Planstellen zu bewerten. Wenn weniger als 4 Bewerber ausgewählt würden, müsse ein (Teil-) Abbruch angenommen werden. Daneben könne man auch erwägen, eine Ausschreibung von „bis zu“ – Stellen insgesamt als rechtswidrig einzustufen.

Insgesamt ist die gerichtliche Entscheidung zu begrüßen. Sie verschafft dem Bestimmtheitsgrundsatz im beamtenrechtlichen Auswahlverfahren zusätzliche Bedeutung, was aus Sicht von Beamten und Bewerbern positiv zu werten ist. Sollten auch Sie mit einer rechtlichen Frage aus dem Gebiet des Beamtenrechtes bzw. öffentlichen Dienstrechtes konfrontiert seien, zögern Sie nicht, uns für ein unverbindliches Erstgespräch zu kontaktieren. Die Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach führen Sie auch auf diesem Teilgebiet des Verwaltungsrechts persönlich, verlässlich und souverän durch komplexes Terrain.


VERWALTUNGSRECHT

Aktuelle Rechtsprechungsübersicht zum Beamtenrecht Teil 1: Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 07.01.2021, Az. 9 K 3782/20

#54 | 14.04.2021

Auch während der Corona-Pandemie beschäftigen zahlreiche Verfahren mit Fragestellung aus dem Beamtenrecht die Verwaltungsgerichte. Dienstliche Beurteilungen, Beförderung, Konkurrentenstreitverfahren, beamtenrechtliche Auswahlverfahren und Disziplinarverfahren – die Fallgestaltungen sind vielschichtig. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach stellt in einem Überblick einige aktuelle Gerichtsentscheidungen zum Beamtenrecht vor.

Beschluss Verwaltungsgericht Stuttgart vom 07.01.2021, Az. 9 K 3782/20 zum Konkurrentenstreitverfahren: Die am Maßstab des Art. 33 Abs. 2 GG zu messende Auswahlentscheidung über die Besetzung eines Beförderungsdienstpostens im einaktigen Verfahren kann nicht ausschließlich auf das Ergebnis von Auswahlgesprächen gestützt werden.

Zum Sachverhalt: Der schwerbehinderte Antragsteller ist Stadtamtmann im Dienst der Antragsgegnerin (Besoldungsgruppe A11) im Bereich der Eingliederungshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung. Die Antragsgegnerin schrieb den mit Besoldungsgruppe A13 (gehobener Dienst) bewerteten Dienstposten des Sachgebietsleiters für die Abteilung Rehabilitation und Teilhabe aus. Es meldeten sich insgesamt 10 Bewerber, darunter der Antragsteller. Aus dem Bewerberkreis wurden mit 5 Interessenten Vorstellungsgespräche geführt. Grundlage hierfür war jeweils derselbe Fragenkatalog mit 12 Fragen. Die Antworten wurden stichworthaltig festgehalten, protokolliert und in einer Dokumentation tabellarisch zusammengeführt. Im Anschluss an die Gespräche vergaben die Mitglieder des Auswahlverfahrens für jede Antwort des Bewerbers Punkte zwischen 0 und 10 und erstellten aufgrund der Summe eine Rangfolge der Kandidaten. Der Beigeladene erreichte Rang 1, der Antragsteller kam auf Rang 4.

Der Antragsteller beantragte vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart den Erlass einer einstweiligen Anordnung, die es der Antragsgegnerin untersagt, den ausgeschriebenen Dienstposten des Sachgebietsleiters mit dem Beigeladenen zu besetzen und ihn auf diesen Dienstposten auf A12 sowie A13 g.D. zu befördern, bis über die Bewerbung des Antragstellers auf diesen Dienstposten bestandskräftig bzw. im Falle der Klageerhebung rechtskräftig entschieden worden ist.

Das Gericht hat die begehrte einstweilige Anordnung erlassen und der Antragsgegnerin sowie dem Beigeladenen die Verfahrenskosten auferlegt. In der Entscheidung führt das Gericht aus, dass sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch gegeben seien. Soweit sich ein Beamter im einstweiligen Anordnungsverfahren gegen die Besetzung eines ausgeschriebenen Statusamts durch einen Konkurrenten wende, sei im Hinblick auf die durch die Ämterstabilität begründete Endgültigkeit der Besetzung ohne weiteres ein Anordnungsgrund für die begehrte vorläufige Freihaltung der Stelle zu bejahen. Bei der Besetzung eines Dienstpostens sei zwar grundsätzlich anders als bei der Vergabe eines Statusamtes jederzeit eine Rückgängigmachung möglich, sodass der Betroffene nachgelagerten Rechtsschutz in Anspruch nehmen könne. Folglich müsse im Konkurrentenstreit um die Besetzung eines Dienstpostens ein Rechtverlust oder ein korrekturbedürftiger Nachteil, der die einstweilige Anordnung rechtfertigt, durch die drohende oder erfolgte Stellenbesetzung explizit glaubhaft gemacht werden. Dies sei im konkreten Fall zu bejahen. Denn eine die Rechte des Beamten nach Art. 33 Abs. 2 GG gefährdende Beeinträchtigung könne in der Auswahl eines Bewerbers für einen Dienstposten liegen, wenn diese Auswahlentscheidung nach der Vorgehensweise des Dienstherren Vorwirkung auf die nachfolgende Verleihung eines höheren Statusamtes haben könne. Eine Ausblendungszusage hinsichtlich der Berücksichtigung eines Bewährungvorsprungs stehe einem Anordnungsgrund im Konkurrentenstreit nach § 123 VwGO um die Besetzung eines Beförderungsdienstpostens, die im Wege des einaktigen Verfahrens, also ohne weitere Auswahlentscheidung, zur Beförderung führen kann, auch dann nicht entgegen, wenn zugleich zugesichert wird, die Beförderung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Eilantrag auszusetzen.

Darüber hinaus existiere ein Anordnungsanspruch, denn das Bewerbungsverfahren leide an gravierenden Rechtsmängeln. Das Verfahren sei rechtlich zu beanstanden, weil die Antragsgegnerin ihre Auswahl ausschließlich auf der Grundlage eines Vorstellungsgesprächs getroffen habe. Dies genüge nicht den Anforderungen an eine Auswahlentscheidung. Eine solche über die Vergabe eines öffentlichen Amts müsse den Anforderungen aus Art. 33 Abs. 2 GG genügen. Danach hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung den gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Der Grundsatz der Bestenauslese vermittle jedem Bewerber ein grundrechtsgleiches Recht auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl.

Der Vergleich unter den Bewerbern im Rahmen einer dienstrechtlichen Auswahlentscheidung nach Art. 33 Abs. 2 GG habe vor allem anhand dienstlicher Beurteilungen zu erfolgen. Auch wenn wie vorliegend nicht unmittelbar ein Statusamt ausgeschrieben worden ist, sei bei einem förderlichen Dienstposten, der im einaktigen Verfahren zur Beförderung führt, das heißt, wenn ohne weitere Auswahlentscheidung bereits bei der Besetzung des Dienstpostens mittelbar über das Statusamt entschieden wird, die Auswahlentscheidung ebenfalls am Maßstab des Art. 33 Abs. 2 GG zu messen.

Ferner sei die Auswahlentscheidung auch deswegen rechtswidrig, da die Verknüpfung der Dienstpostenvergabe mit der Beförderung ohne weitere Auswahlentscheidung nicht den für ein solches einaktiges Verfahren zu fordernden Voraussetzungen genüge. Mit Blick auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) müsse die Verknüpfung transparent sein. Der möglicherweise am Dienstposten und Beförderungsamt interessierte Personenkreis müsse wissen, dass mit der Vergabe des Dienstpostens zugleich auch über die Vergabe des Beförderungsamtes entschieden werde. Außerdem sei ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Auswahlentscheidung über die Vergabe des Dienstpostens und der Beförderung erforderlich, um die Aktualität der dienstlichen Beurteilung zu wahren und in der Zwischenzeit möglicherweise hinzukommende weitere Bewerber nicht ohne hinreichende Rechtfertigung vom Auswahlverfahren über das Beförderungsamt auszuschließen. An all diesen Punkten scheitere letztlich das streitgegenständliche Bewerbungsverfahren, sodass das Verwaltungsgericht Stuttgart die begehrte einstweilige Anordnung erlassen hat.

Sollten auch Sie mit einer rechtlichen Frage aus dem Gebiet des Beamtenrechtes bzw. öffentlichen Dienstrechtes konfrontiert seien, zögern Sie nicht, uns für ein unverbindliches Erstgespräch zu kontaktieren. Die Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach führen Sie auch auf diesem Teilgebiet des Verwaltungsrechts persönlich, verlässlich und souverän durch komplexes Terrain.


VERWALTUNGSRECHT

Meldepflichten nach dem Geldwäschegesetz gelten auch für Rechtsanwälte und Notare

#53 | 13.04.2021

Der Gesetzgeber hat in den letzten Jahren auf verschiedenen Ebenen verstärkte Bemühungen zur Bekämpfung der Geldwäsche unternommen. Hierzu gehört auch die Einrichtung von Meldepflichten für Personen, die beruflich mit Erwerbsvorgängen, bei denen ein Geldwäscheverdacht in Betracht kommen könnte, in Berührung kommen. Das Verwaltungsgericht Berlin hat nun in einem Beschluss vom 05.02.2021 (Az. 12 L 258/20) festgestellt, dass auch Rechtsanwälte und Notare diese Meldepflichten im Zusammenhang mit Immobiliengeschäften befolgen müssen. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Karlsruhe und Pforzheim Tobias Ibach stellt die Entscheidung vor.

Gegenstand des Verfahrens ist die am 01. Oktober 2020 in Kraft getretene Verordnung zu den nach dem Geldwäschegesetz meldepflichtigen Sachverhalte im Immobilienbereich vom 20.08.2020. Diese Geldwäschegesetzmeldepflichtverordnung-Immobilien (GwGMeldV-Immobilien) verpflichtet unter anderem auch Rechtsanwälte und Notare, bestimmte Sachverhalte bei Erwerbsvorgängen im Zusammenhang mit Immobilien an die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen zu melden.

Der Antragsteller ist Rechtsanwalt und Notar und begehrte den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Feststellung, dass er bei seiner beruflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt und Notar die in der Geldwäschegesetzmeldepflichtverordnung-Immobilien geregelte Meldepflicht nicht zu beachten habe. Er begründete dies im Wesentlichen damit, dass er es für unvereinbar mit der Gewaltenteilung halte, dass die in förmlichen Gesetzen niedergelegte Verschwiegenheitspflicht von Rechtsanwälten und Notaren durch eine Rechtsverordnung partiell aufgehoben oder eingeschränkt werde. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie als Verordnungsgeber dürfe nicht durch Allgemeinverfügung die Verschwiegenheitspflicht aufheben, denn es sei selbst nicht zum Erlass der hier streitbefangenen Rechtsverordnung ermächtigt. Die Meldepflicht stelle einen schwerwiegenden Eingriff in die Berufsausübung dar, welcher unverhältnismäßig sei. Ferner sei nicht erkennbar, dass die Meldepflichten geeignet seien, ein Rechtsgut zu schützen, welches das Vertrauen der Rechtssuchenden in die Verschwiegenheit der Rechtsanwälte und Notare überwiege. Außerdem liege ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot vor, weil zahlreiche Meldepflichten an die Herkunft der am Erwerbsvorgangbeteiligten anknüpften. Zudem verletze die Meldepflicht das Grundrecht auf die informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen und das Fernmeldegeheimnis.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat mit seinem Beschluss vom 05.02.2021 den zulässigen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Zur Begründung führt das Gericht aus, der Antrag sei unbegründet. Die Vorschriften in den §§ 3-6 GwGMeldV-Immobilien seien formell rechtmäßig. Die Zuständigkeit des Bundesministeriums der Finanzen ergäbe sich aus der Verordnungsermächtigung in § 43 Abs. 6 GwG. Die Verordnungsermächtigung verstoße auch nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Es handle sich nämlich nicht um eine mit den Anforderungen dieser Norm unvereinbare vage Generalklausel für den Verordnungsgeber. Vielmehr würde dort die vom Bundesgesetzgeber ermächtigte Stelle klar und eindeutig benannt. Zudem würde durch die Ermächtigung die Reichweite der Befugnisse der Exekutive eindeutig festgelegt.

Hinsichtlich der materiellen Rechtsmäßigkeit führt das Verwaltungsgericht aus, dass bei summarischer Prüfung keine verfassungsrechtliche unzulässige Einschränkung der Verschwiegenheitspflichten von Rechtsanwälten und Notaren durch die Verordnungsermächtigung in § 43 Abs. 6 GwG ersichtlich sei. Eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) liege nicht vor. Zwar unterliege die durch den Grundsatz der freien Advokatur gekennzeichnete anwaltliche Berufsausübung der freien und reglementierten Selbstbestimmung des einzelnen Rechtsanwalts. Die Pflicht zur Verschwiegenheit gelte aber nicht ausnahmslos. Nach § 2 Abs. 3 BORA gelte die Pflicht zur Verschwiegenheit nicht, wenn andere Rechtsvorschriften Ausnahmen zulassen. Auch der Notar unterliege in verschiedenen Bereichen Mitteilungs- und Auskunftspflichten, die seine Verschwiegenheitspflicht durchbrächen.

Der Eingriff durch § 43 GwG in die Verschwiegenheitspflicht und die Berufsausübungsfreiheit des Antragstellers sei mithin gerechtfertigt und verfassungskonform. Er stelle insbesondere keinen unverhältnismäßigen Eingriff dar. Die Meldepflicht einschließlich der streitgegenständlichen Verordnungsermächtigung verfolge ein legitimes Ziel, nämlich die Verhinderung und Erschwerung von strafbarem Verhalten. Es sei ein berechtigtes Ziel Geldwäschekreisläufe zu unterbrechen und die Finanzierung weiterer Straftaten und von Terrorismus zu unterbinden. Zugleich diene das Gesetz dazu die Kumulation wirtschaftlicher Macht zu verhindern und das Gemeinwesen und die staatlichen Institutionen vor Abhängigkeiten zu schützen. Die Erweiterung der Meldepflichten durch die Verordnungsermächtigung des § 43 Abs. 6 GwG sei auch erforderlich. Mildere Mittel, die gleich geeignet wären, um das Ziel des Gesetzgebers zu erreichen seien nicht ersichtlich.

Die Verordnungsermächtigung sei zuletzt auch angemessen. In der Abwägung der widerstreitenden Interessen trete das Interesse des Antragstellers auf Wahrung seiner Verschwiegenheitsrechte hinter dem im öffentlichen Interesse stehenden Rechtsgut der effektiven Geldwäschebekämpfung zurück. Es stehe außer Zweifel, dass gerade Geldwäscheaktivitäten für das Gemeinwesen wirtschaftlich schädigend seien. Die Geldwäschebekämpfung sei daher auch in besonderem Maße von Bedeutung, um die dahinterliegenden illegalen Geldströme, die sich nicht zuletzt aus organisierter Kriminalität, illegalem Waffenhandel, Menschenhandel und Manipulation des Zahlungsverkehrs speisen, versiegen zu lassen.

Dahinter würde das Interesse des Antragstellers, Verschwiegenheit über die von ihm abgewickelten Geschäfte zu bewahren, zurücktreten. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass die Rechtsanwälte nicht nur die Interessen ihrer Mandanten vertreten, sondern nach § 1 BRAO unabhängige Organe der Rechtspflege seien. Dies gelte im gleichen Maße auch für Notare, welche als solche nach § 1 BNotO unabhängige Träger eines öffentlichen Amtes sind.


ARBEITSRECHT

Betriebsrisiko: Arbeitgeber trägt auch während der Pandemie das Betriebsrisiko und muss seine Mitarbeiter bezahlen!

#52 | 09.04.2021

Auch eine durch die Covid19-Pandemie begründete Betriebsschließung zählt zum Betriebsrisiko des Arbeitgebers nach § 615 BGB. Auf die Reichweite des behördlichen Verbots kommt es nicht an. Das hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf nunmehr in seinem Urteil vom 30.03.3021 - 8 Sa 674/20 - klar entschieden und eine Spielhallenbetreiberin zur Vergütung ausgefallener Arbeitsstunden im Rahmen von „Annahmeverzugslohnansprüchen“ einer Mitarbeiterin verurteilt.

Im Einzelnen:

Die Klägerin war seit dem 01.04.2016 bis zu ihrem Eintritt in den Ruhestand am 01.05.2020 bei der beklagten Arbeitgeberin, einer Spielhallenbetreiberin, zu einem Stundenlohn von 9,35 € brutto beschäftigt (seit dem 01.01.2021 beträgt der Mindestlohn nunmehr 9,50 € brutto/Stunde).

Aufgrund behördlicher Allgemeinverfügung war die Arbeitgeberin gezwungen, ihren Geschäftsbetrieb ab dem 16.03.2020 zu schließen.

Bei Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs hätte die Klägerin nach Maßgabe des von der Arbeitgeberin bereits vorgegebenen Dienstplans im Monat April 2020 noch insgesamt 62 Stunden arbeiten müssen. Aufgrund der behördlichen Schließung konnte sie diese nicht mehr bis zum Eintritt in ihren Ruhestand am 01.05.2020 ableisten, zumal sie aufgrund ihres Eintritts in den Ruhestand dann auch nicht mehr Kurzarbeitergeld berechtigt war.

Mit ihrer Klage begehrte die Arbeitnehmerin insbesondere Annahmeverzugslohn für ihre insgesamt 62 ausgefallenen Arbeitsstunden im Monat April 2020 bis zum Eintritt in den Ruhestand. Zur Begründung beruft sie sich auf das die Arbeitgeberin alleine treffende Betriebsrisiko, welches auch während der Covid19-Pandemie weitergelte. Dem hält die Arbeitgeberin entgegen, dass der Lohnausfall während einer Pandemie zum allgemeinen Lebensrisiko eines Arbeitnehmers gehöre, insbesondere, wenn er aufgrund von behördlich angeordneten bzw. veranlassten Betriebsschließungen sich ergebe.

Völlig zurecht ist das LAG Düsseldorf der Argumentation der Arbeitgeberin sodann nicht gefolgt und hat der Arbeitnehmerin insgesamt die ihr ausgefallenen 62 Arbeitsstunden in voller Höhe einschließlich Grundvergütung, Nacht- und Sonntagszuschlägen für die bereits für sie geplanten Schichten zugesprochen. Der Anspruch folgt insoweit aus § 615 S. 1 BGB i.V.m. § 615 S. 3 BGB.

Danach trägt grundsätzlich der Arbeitgeber das Betriebsrisiko. Zu diesem gehören Ursachen, die von außen auf den Betrieb einwirken und die Fortführung des Betriebs verhindern und wozu nach der ständigen Rechtsprechung auch Fälle höherer Gewalt, wie beispielsweise Naturkatastrophen, Erdbeben, Überschwemmungen oder extreme Witterungsverhältnisse zählen, einschließlich der aktuellen Covid19-Pandemie. Etwas anderes ergibt sich sodann nach dem LAG Düsseldorf auch nicht daraus, dass die Schließung eine gesamte Branche oder nur einzelne Betriebe dieser Branche erfasste. Auch eine solche gehört zum allgemeinen Betriebsrisiko eines Arbeitgebers, einzeln oder insgesamt von behördlichen Schließungen erfasst zu werden.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Das LAG Düsseldorf hat die Revision zugelassen. Man darf gespannt sein, ob die Arbeitgeberin diesen Weg auch noch beschreiten möchte. Wir werden die Entwicklungen im Auge behalten und hierüber weiter berichten.

Die weitere Praxis wird zudem zeigen, ob sich diese Linie des LAG Düsseldorf weiter verfestigt und andere Arbeitsgerichte sich dieser anschließen.

Die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach stehen Ihnen für weitere Beratung und Begleitung auch auf diesem arbeitsrechtlichen Feld gerne zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns!


IMMOBILIEN & BAURECHT

Gewerberaummietrecht: Bereits der Verdacht der Tötung des Vermieters rechtfertigt eine fristlose Kündigung des Mietverhältnisses mit der Gewerbemieterin.

#51 | 07.04.2021

Das OLG Frankfurt hat in einem etwas spektakuläreren Urteil vom 31.03.2021 - 2 U 13/20 - entschieden, dass eine fristlose Kündigung des Mietverhältnisses über Gewerberäume bereits dadurch zu rechtfertigen ist, wenn der dringende Tatverdacht gegen den Geschäftsführer der Mieterin besteht, den Vermieter getötet zu haben. Die Grundsätze der Verdachtskündigung aus dem Arbeitsrecht sind auf das gewerbliche Mietrecht übertragbar. Es bedarf vor diesem Hintergrund keines Beweises für eine entsprechend schwere Pflichtverletzung des Mieters, um die fristlose Kündigung zu rechtfertigen.

Was war geschehen?

Ein Ehepaar hatte seit 2011 eine Gewerbefläche und Räume zum Betrieb eines Kfz-Handels an die Mieterin vermietet. Weil die Mieterin dann im Laufe des Mietverhältnisses verschiedene Verpflichtungen aus diesem nicht einhielt, sprachen die Vermieter mehrere fristlose Kündigungen des Mietverhältnisses aus und verklagten die Mieterin schließlich auf Räumung. Das Landgericht wies zunächst die Räumungsklage ab. Während des anschließenden Berufungsverfahrens verschwand dann einer der Vermieter spurlos und wurde als vermisst gemeldet. Sodann wird gegen den Geschäftsführer der Mieterin wegen des Verdachts des Totschlags gegen einen der Vermieter ermittelt. Zusätzlich nimmt man den Geschäftsführer der Mieterin deswegen in Untersuchungshaft. Vor diesem Hintergrund kündigten die „verbliebenen“ Vermieter dann erneut das Mietverhältnis fristlos und mit dem Ziel, die Mieterin endgültig aus dem Mietobjekt zu bekommen. Immerhin bestand gegen den Geschäftsführer der Mieterin der dringende Tatverdacht, ein Tötungsdelikt gegen die Vermieterseite begangen zu haben, und was zusätzlich durch die bereits angeordnete Untersuchungshaft besonders untermauert worden sei.

Die Berufung der Vermieter zur Durchsetzung ihres Räumungs- und Herausgabeanspruchs hatte vor dem OLG jetzt Erfolg.

Sie können die Räumung und die Herausgabe des Mietobjekts verlangen, weil das Mietverhältnis wirksam durch die fristlose Kündigung wegen des dringenden Tatverdachts des gegen den Geschäftsführer des Mieters gerichteten Verdachts, ein Tötungsdelikt begangen zu haben, beendet worden sei.

Völlig zu Recht wendet bei seiner Urteilsfindung das OLG dann ergänzend die Grundsätze einer Verdachtskündigung aus dem Arbeitsrecht an, weil diese insoweit auf das gewerbliche Mietrecht übertragbar seien. Danach können grundsätzlich Tätlichkeiten des Mieters gegenüber dem Vermieter auch ohne Abmahnung bereits zu einer fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses führen, wenn sie bewiesen werden können. Handele es sich aber um eine besonders schwere Pflichtverletzung, wie etwa den Verdacht, dass der Mieter den Vermieter vorsätzlich getötet oder ermordet haben soll, so reicht bereits die überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Begehung der Tat aus, falls zusätzlich gegen den Mieter Untersuchungshaft angeordnet worden sei, so das OLG. Entsprechend schafft das OLG eine Beweiserleichterung für die Vermieterseite, zumal es für diese nicht zumutbar ist, zunächst die rechtskräftige Verurteilung des Mieters und den auf seiner Seite Beteiligten abzuwarten und hieraus dann erst Konsequenten ziehen zu dürfen.

Die Entscheidung des OLG ist derzeit (noch) nicht rechtskräftig. Die Mieterin kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde die Zulassung der Revision zum Bundesgerichtshof noch begehren. Ob dieser ihr stattgibt bleibt aber abzuwarten. Die Hürden hierfür sind sehr hoch.

Wir bleiben auch am Ball in dieser Sache und werden die weiteren Entwicklungen im Auge behalten. Insgesamt haben wir zudem eine besondere Expertise in der Bewältigung auch prekärer Gewerbemietverhältnisse und führen Sie daher auch sicher und loyal durch dieses komplexe Terrain.


VERWALTUNGSRECHT

Aktuelle Entscheidungen des VGH Baden-Württemberg zur Corona-Verordnung der Landesregierung

#50 | 09.03.2021

Der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim hat sich erneut im Rahmen von Eilverfahren mit Einzelregelungen der aktuellen Corona-Verordnung des Landes auseinandergesetzt. Aus Bürgersicht fallen die Ergebnisse gemischt aus. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht Tobias Ibach stellt einige Entscheidungen vor.

Beschluss VGH Baden-Württemberg vom 23.02.2021 (Az. 1 S 467/21): Betriebsuntersagung für Fahrschulen ab 01. März außer Vollzug gesetzt

Eine Fahrschule aus dem Bodenseekreis hat mit ihrem gerichtlichen Eilantrag gegen die teilweise Untersagung ihres Betriebes durch § 1 d Abs. 8 der Corona-Verordnung Erfolg. Der VGH setzt die Vorschrift mit Wirkung zum 01.März 2021 außer Vollzug. Die Voraussetzungen des Infektionsschutzgesetzes für die teilweise Betriebsuntersagung sind nach Auffassung der Richter gegenwärtig voraussichtlich nicht erfüllt.

Zwar seien die Voraussetzungen für Schutzmaßnahmen zur Verbreitung der Pandemie dem Grunde weiterhin gegeben. Der VGH beruft sich hier insbesondere darauf, dass die 7-Tages-Inzidenz nicht weiter falle, sondern sich gegenwärtig seitwärts bzw. leicht steigend entwickle. Außerdem weise der Betrieb von Fahrschulen aufgrund des langen Beisammenseins im selben Fahrzeug nicht unerhebliche Infektionsgefahren auf.

Allerdings sei die Notwendigkeit eines landeseinheitlichen Vorgehens weder seitens der Landesregierung dargelegt noch für das Gericht offensichtlich. Das Infektionsgeschehen im Land weise erhebliche Unterschiede auf. Während einige Landkreise eine 7-Tages-Inzidenz von über 100 haben, gibt es auch solche, bei denen diese Zahl unter 50 bzw. sogar unter 35 liegt. Der VGH Baden-Württemberg sieht keine Gefahr von Wanderungsbewegungen zwischen den Landkreisen und plädiert daher für regionale Regelungen bzw. Verbote.

Beschlüsse des VGH Baden-Württemberg vom 19.02.2021 (Az. 1 S 460/21, 1 S 502/21): Fitness- und Tattoostudios bleiben geschlossen

Mit den Beschlüssen lehnt der VGH Eilanträge eines Fitnessstudiobetreibers und des Inhabers eines Tattoostudios gegen die Untersagung ihres Betriebes durch die Corona-Verordnung ihres Landes ab. Der erste Senat des VGH führt dazu jeweils aus, dass die Voraussetzungen des Infektionsschutzgesetzes gegenwärtig angesichts der 7-Tages-Inzidenz voraussichtlich erfüllt seien.

Das Gericht verweist insbesondere auf § 28 a Abs. 3 Satz 9 IfSG. Eine punktuelle Öffnung in einzelnen Landkreisen würde zu einem erheblichen Anstieg der Sozialkontakte und Infektionsgefahren über die Kreisgrenze hinausführen. Auch aus dem Umstand, dass die 7-Tages-Inzidenz von 50 im landesweiten Durchschnitt inzwischen unterschritten werde, folge nicht anderes. Das Land könne dadurch nicht gezwungen werden, sich einer bundeseinheitlich abgestimmten Strategie zur Pandemiebekämpfung zu verweigern. Außerdem werde der Schwellenwert im Land Baden-Württemberg erst seit wenigen Tagen und bislang auch nur geringfügig unterschritten.

Beschluss VGH Baden-Württemberg vom 01.03.2021 (Az. 1 S 555/21): Schließung des Textileinzelhandels abgelehnt; Landesregierung nicht verpflichtet, "Click&Meet" zu ermöglichen; Kein Gleichheitsverstoß im Verhältnis zu Friseuren und Gärtnereien

Eine Entscheidung mit Relevanz für die Zukunft, auch wenn zwischenzeitlich in manchen Landkreisen erste Lockerungen erfolgt sind: Ein Einzelhandelsunternehmen aus dem Textilbereich hatte gegen die Untersagung seines Betriebs durch die Corona-Verordnung der Landesregierung geklagt und einstweiligen Rechtsschutz hinsichtlich eines Normenkontrollantrags (§ 47 Absatz 6 VwGO) begehrt. Die Schließung sei rechtswidrig, landesweite Betriebsverbote für den Einzelhandel seien nicht mehr zulässig.

Der erste Senat des VGH widerspricht dem und hält angesichts der 7-Tages-Inzidenz von bundesweit über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner die Voraussetzungen des § 28a Abs. 3 S. 9 IF SG weiterhin für gegeben. Eine punktuelle Öffnung des Einzelhandels in einigen Landkreisen würde zu umfangreichen Kundenströmen zwischen den Kreisen und aus anderen Bundesländern führen. Dies hätte voraussichtlich einen erheblichen Anstieg der Sozialkontakte und der Infektionsgefahren zur Folge.

Unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten bestehe auch keine Verpflichtung seitens der Landesregierung, erste Lockerungsschritte im Wege eines „Click&Meet“ (also Geschäftsöffnungen, soweit Kunden vorab einen Termin für den Einkauf reservieren) zu ermöglichen.

Die unterschiedliche Behandlung im Vergleich zu Frisörbetrieben würde ferner nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG) verstoßen. Für die Ungleichbehandlung würde ein sachlicher Grund existieren. Denn nach typisierender Betrachtungsweise würden Friseurdienstleistungen dennoch zur Grundversorgung der Bevölkerung dienen. Ähnlich verhalte es sich im Verhältnis zu Gärtnereien und Blumenläden, die ebenfalls früher in den Genuss von Lockerungen gekommen sind. Denn in diesem Bereich des Einzelhandels, der Gartenbaubranche, sei im Vergleich zum übrigen Einzelhandel von geringeren Kundenströmen und einem beachtlichen Teil der Kundenkontakte im Freien, also mit niedrigerer Infektionsgefahr, zu rechnen.


HANDELS- & GESELLSCHAFTSRECHT

Reform des Insolvenz- und Restrukturierungsrechts zum 01.01.2021

#49 | 04.03.2021

Das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) sowie das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) bringen wichtige Änderungen für Unternehmen jeglicher Größenordnung. So wurde zum einen § 64 GmbHG abgeschafft und durch den neuen § 15 b InsO ersetzt. Außerdem ist nunmehr auch die Sanierung von Unternehmen ohne Insolvenzverfahren möglich. Unser Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht Tobias Ibach gibt einen ersten Überblick zur neuen Rechtslage.

Bisher regelte § 64 GmbHG die mögliche Ersatzpflicht von Geschäftsführern gegenüber der insolventen Gesellschaft bzw. deren Insolvenzverwalter für Zahlungen in der zeitlichen Nähe zu einem Insolvenzantrag. Alles was nach der Insolvenzreife aus dem Vermögen der GmbH abgeflossen ist, war durch die Geschäftsführung grundsätzlich zu ersetzen. Für andere Rechtsformen gab es entsprechende Parallelvorschiften. Nun wurden diese vollständig abgeschafft und durch den rechtsformneutralen neuen § 15 b InsO ersetzt. Dieser nimmt die bereits aus § 64 Satz 2 GmbHG bekannte Ausnahme für Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind, auf. § 15 b Abs. 2 Satz 1 InsO nennt als konkretes Bespiel hierfür Zahlungen, die zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes dienen, soweit dies während des Zeitraumes, der für die Insolvenzantragspflicht nach § 15 a InsO gilt, geschieht.

Zum Umfang der Ersatzpflicht existiert hinsichtlich des § 64 GmbHG eine umfangreiche und ausdifferenzierte Rechtsprechung. Der Bundesgerichtshof hatte sich gegen eine Gesamtbetrachtung bzw. Differenzberechnung entschieden und allein auf die das vermögensmindernde Zahlung abgestellt. Hierzu regelt der neue § 15 b Abs. 4 Satz 2 InsO nunmehr: „Ist der Gläubigerschaft der juristischen Person ein geringerer Schaden entstanden, beschränkt sich die Ersatzpflicht auf den Ausgleich dieses Schadens.“

Nach § 15 b Abs. 4 Satz 3 InsO ist ein Vergleich oder Verzicht im Hinblick auf die Erstattung und Ersatzansprüche mit dem Geschäftsführer im Regelfall unwirksam. Gleichzeitig werden aber gesetzliche Ausnahmen hierzu statuiert.

Der Sonderfall der Verletzung von steuerrechtlichen Ersatzpflichten ist in § 15 b Abs. 8 InsO geregelt. Danach liegt keine Verletzung vor, wenn zwischen dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung und der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Insolvenzantrag Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden, sofern die Antragspflichtigen ihren Verpflichtungen nach § 15a InsO – also der Stellung eines Insolvenzantrages – nachkommen.

Mit dem Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) wird die bisherige Lücke zwischen der außergerichtlichen Sanierung und einem Insolvenzverfahren geschlossen. Sanierungsmaßnahmen können in Zukunft auch außerhalb einer Insolvenz gegen den Willen einzelner Gläubiger umgesetzt werden. So wird für Unternehmen in der Krise der Anreiz erhöht, frühzeitig Maßnahmen zur Überwindung der wirtschaftlichen Probleme zu ergreifen. Kern des Gesetzes ist der präventive Restrukturierungsrahmen bzw. der Restrukturierungsplan nach §§ 42 f. StaRUG. Die Gestaltung des Restrukturierungsplans kann vom Schuldner eigenverantwortlich und ohne Einbindung eines Gerichts gesteuert werden. Die Wirksamkeit des Plans erfordert nicht die Zustimmung aller Gläubiger. Eine Mehrheit von 75 % in jeder Gläubigergruppe reicht aus. Zugleich kann Gläubigern durch das Restrukturierungsgericht untersagt werden, Vollstreckungsmaßnahmen geltend zu machen. Diese Vollstreckungs- und Verwertungssperre stellt sicher, dass eine aussichtsreiche Sanierung nicht durch Zwangsmaßnahmen einzelner Gläubiger vereitelt werden kann.

Das kostengünstige StaRUG kann erhebliche Vorteile gegenüber einem Insolvenzverfahren bieten, insbesondere wenn ein Kapitalschnitt notwendig ist oder beispielsweise ein (Produkt-) Haftungsfall droht.

Insgesamt wurde damit ein neues, zusätzliches Instrument für Unternehmen in der Krise geschaffen. Die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach stehen Ihnen für weitere Beratung und Begleitung auf diesem wirtschaftsrechtlichen Feld gerne zur Verfügung.


IMMOBILIEN & BAURECHT

Neue HOAI am 01.01.2021 in Kraft getreten – Ein Befreiungsschlag für alle Planer und Bauherren?

#48 | 24.02.2021

Nachdem der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 04.07.2019 – Rs. C-377/17 die deutschen Mindest- und Höchstsätze der HOAI für europarechtswidrig einstufte, ist für Deutschland eine neue Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) beschlossen und am 01.01.2021 in Kraft gesetzt worden.

Das wesentliche „Herzstück“ der Novelle ist die Neufassung des § 7 HOAI. Danach ist es jetzt den Parteien erlaubt, dass für die Planung vom Auftraggeber geschuldete Honorar eigenverantwortlich untereinander zu regeln, auch abseits der HOAI und ohne deren preisrechtlichen Beschränkungen. Insgesamt verliert die HOAI also ihr zwingendes Preisrecht, was alle auf dem Bau Beteiligten als wesentliche Erleichterung begrüßen.

Dafür genügt es bereits, dass die Honorarvereinbarung zwischen den Parteien in Textform nach § 126 b BGB getroffen wird. Hierfür reicht bereits eine Preisvereinbarung z.B. per gespeicherter E-Mail, per Fax oder WhatsApp aus. Somit ist das bisherige strenge Schriftformerfordernis der HOAI 2013 insgesamt weggefallen und wird nur noch für Altfälle zum großen Problem für jeden Planer.

Seit dem 01.01.2021 ist es nach der neuen HOAI 2021 auch nicht mehr erforderlich, die Honorarvereinbarung bereits bei Auftragserteilung treffen zu müssen. Es reicht die Absprachen über den Preis vor, bei oder erst nach der Auftragserteilung zu treffen – auch das ist eine wesentliche Erleichterung für alle Baubeteiligten, weil das Planen und Bauen nunmehr wesentlich flexibler wird. Dies auch durch erleichterte Möglichkeiten der nachträglichen Honoraranpassung.

Aktuell kann eine Honorarvereinbarung nach der HOAI 2021 auch nicht mehr mit dem Einwand zu Fall gebracht werden, dass die strenge Schriftform der alten HOAI 2013 nicht gewahrt oder die Vereinbarung nicht zum rechten Zeitpunkt getroffen worden wäre. Schluss also mit dem Poker des Auftraggebers, sich durch nachträgliche formelle Argumente aus der Zahlungsverantwortung stehlen zu wollen.

Im Übrigen hat sich in der HOAI 2021 im Wesentlichen folgendes weiter geändert:

  • Die Honorartafeln dienen weiterhin den Vertragsparteien zur Honorarorientierung und zur Gewährleistung der Planungsqualität. Die Werte in den Honorartafeln bleiben unverändert.
  • Die Grundlagen und Maßstäbe zur Honorarermittlung bleiben erhalten. Dafür ist das Leistungsbild, die Honorarzone und die dazugehörige Honorartafel entscheidend.
  • Für den Fall, dass die Parteien keine wirksame Honorarvereinbarung schließen, soll jetzt der Basishonorarsatz (unterer Honorarsatz) als vereinbart gelten.
  • Die Begriffe „Mindestsatz“ und „Höchstsatz“ aus der HOAI 2013 sind ersetzt worden durch „Basishonorarsatz“ und „oberer Honorarsatz“.
  • Eingeführt wurde eine Hinweispflicht gegenüber Verbrauchern. Danach müssen der Architekt bzw. Ingenieur spätestens mit der Abgabe seines Angebots in Textform darauf hinweisen, dass ein höheres oder niedrigeres Honorar als in den Honorartafeln der HOAI 2021 vereinbart werden soll. Unterlässt er dies, gilt das Basishonorar (der bisherige Mindestsatz) als vereinbart, wobei nicht geklärt ist, ob ein Hinweis im Vertrag ausreicht oder dieser vorab zu erfolgen hat.

Seit dem 01.01.2021 sind die Honorare für Architekten und Ingenieure vollumfänglich dem freien Markt unterworfen. Diese müssen sich weiträumig neu orientieren und eine entsprechende Honorarvereinbarung mit auskömmlichen Honoraren hieb und stichfest vereinbaren. Zudem ist mit verbesserten und zielgerichteten Strategien und vor allem mit Argumentations- und Verhandlungsgeschick den Bauherren zu begegnen, um das für sich jeweils auskömmliche Honorar zu erzielen.

Insgesamt wird die HOAI 2021 eine Herausforderung werden. Wie sich der zu erwartende Preiswettbewerb auf die Architekten und Planer auswirken wird, wird die Zeit zeigen.

Wir sind und bleiben am Puls der Zeit und haben die besondere Expertise im Bau- und Architektenrecht. Daher führen wir Sie auch sicher und loyal durch dieses neue komplexe Terrain.


SONSTIGES

Wir gratulieren: Tobias Ibach ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht

#47 | 10.02.2021

Die Rechtsanwaltskammer Karlsruhe verleiht unserem Partner Tobias Ibach den Fachanwaltstitel im Verwaltungsrecht.

Nach mehr als fünf Jahren intensiver praktischer Tätigkeit in zahlreichen Gebieten des Verwaltungsrechts, einem Fachanwaltslehrgang zur Vermittlung und Vertiefung zusätzlicher theoretischer Kenntnisse (vgl. § 8 Fachanwaltsordnung) sowie diversen, jährlichen Fortbildungsveranstaltungen ist es soweit: Rechtsanwalt Tobias Ibach darf sich ab sofort auch Fachanwalt für Verwaltungsrecht nennen.

Neben dem allgemeinen Verwaltungsrecht einschließlich Verwaltungsprozessrecht ist Rechtsanwalt Tobias Ibach schwerpunktmäßig insbesondere im Bereich des öffentlichen Baurechts, sowie im Wirtschaftsverwaltungsrecht und dem Prüfungs- und Hochschulrecht tätig.

Beim Wirtschaftsverwaltungsrecht handelt es sich um eine Querschnittsmaterie zum allgemeinen Wirtschaftsrecht. Dies ergänzt das Profil unserer Kanzlei ideal, da die Rechtsanwälte Björn Gräber und Tobias Ibach hier jeweils als Fachanwälte für Handels- und Gesellschaftsrecht bereits hochqualifiziert sind und über spezifisches Fachwissen verfügen.

Vor diesem Hintergrund bietet Rechtsanwalt Tobias Ibach auch Beratung und Begleitung im Medizinprodukterecht, einem Spezialgebiet des Wirtschaftsverwaltungsrechts, an. Hier steht unsere Kanzlei mit ihrem gesamten wirtschaftsrechtlichen Know-How mittelständischen und kleinen Unternehmen mit Beratungsbedarf (z.B. bei der Prüfung, Zulassung und Zertifizierung von Medizinprodukten sowie bei damit verbundenen wettbewerbsrechtlichen Fragestellungen) jederzeit gerne tat- und schlagkräftig zur Seite.

Persönlich, verlässlich und souverän durch komplexes Terrain.


ARBEITSRECHT

Es geht doch: Die Einführung von Kurzarbeit durch außerordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung

#46 | 25.01.2021

Bisher sind Arbeitgeber davon ausgegangen, dass sie die Einführung von Kurzarbeit nicht durch eine außerordentliche Änderungskündigung herbeiführen können. Dies auch deswegen nicht, weil derartige Konstellationen bisher höchstrichterlich nicht wirklich geklärt sind.

Das Arbeitsgericht in Stuttgart hat zu dieser Thematik nunmehr einen ersten Vorstoß gewagt und die außerordentliche Änderungskündigung einer Personaldisponentin zur Einführung von Kurzarbeit für wirksam erachtet (ArbG Stuttgart, Urteil vom 22.10.2020 – 11 Ca 2950/20).

Dem liegt folgendes zugrunde:

Die Beklagte beschäftigt in ihrem Betrieb eine Mitarbeiterin die für die Einsatzplanung im Bereich Kindergärten und Kindertagesstätten verantwortlich ist. Diese Einrichtungen wurden dann Mitte März 2020 aufgrund der Corona-Pandemie vorübergehend geschlossen. Ob weitere Schließungen folgen werden ist nicht ausgeschlossen. Den Wegfall dieses Beschäftigungsbedarfs wollte die Arbeitgeberin dann durch die Einführung von Kurzarbeit kompensieren und so den Arbeitsplatz der Arbeitnehmerin erhalten. Leider hatte die Arbeitgeberin in diesem Zusammenhang nicht vorgesorgt und entsprechende Klauseln in den Arbeitsvertrag mit der Arbeitnehmerin eingearbeitet. Daher konnte sie einseitig keine Kurzarbeit zulasten der Arbeitnehmerin anordnen. Sie versuchte daher durch eine individualvertragliche Vereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit mit der Arbeitnehmerin zu einer Einigung zu kommen. Das lehnte die Arbeitnehmerin jedoch ab. Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin fristlos, hilfsweise ordentlich im Rahmen einer Änderungskündigung und unter dem gleichzeitigen Angebot das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, wenn in diesem auch zulasten der Arbeitnehmerin Kurzarbeit eingeführt werden könne.

Hiergegen klagt die Arbeitnehmerin vor dem Arbeitsgericht in Stuttgart.

Das Arbeitsgericht hält die außerordentliche Änderungskündigung für rechtswirksam und weist die Kündigungsschutzklage der Arbeitnehmerin ab. Deren Arbeitsverhältnis ist damit beendet.

Das Arbeitsgericht argumentiert, dass bei einer Tätigkeit im Bereich von Kindergärten und Kindertagesstätten, die wegen der Corona-Pandemie geschlossen würden, ein dringendes betriebliches Erfordernis zum Ausspruch der Änderungskündigung auf der Hand läge.

Zudem sei allein durch die Möglichkeit der Einführung von Kurzarbeit, und sei es auch nur im Wege einer Änderungskündigung, eben das Arbeitsverhältnis gerade noch nicht beendet. Es solle gerade erhalten bleiben. Zudem stehe der Kündigungsschutzklage auch schon entgegen, dass die Arbeitgeberin die Änderungskündigung nur außerhalb des Äquivalenzinteresses der Parteien begründet hatte und die Änderungskündigung in diesem Zusammenhang ein weit milderes Mittel sei, als die endgültige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung generell. Die Änderungskündigung sollte nur die Möglichkeit schaffen, Kurzarbeit einzuführen. Dies müsse die Arbeitnehmerin hinnehmen.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Wir behalten den ersten Vorstoß des Arbeitsgericht Stuttgart im Auge und halten Sie über Neuerungen dazu auf dem Laufenden. Zudem stehen wir Ihnen nach wie vor auch während des aktuell verschärften Lockdown gerne weiterhin per Telefon oder Videocall zur Verfügung. Melden Sie sich bei uns!


ARBEITSRECHT

Die neue Corona-Arbeitsschutzverordnung tritt am 27.01.2021 in Kraft

#45 | 25.01.2021

Am 22.01.2021 ist die neue Corona-Arbeitsschutzverordnung im Bundesanzeiger veröffentlicht worden (BAnz AT 22.01.2021 V1). Sie tritt bereits am 27.01.2021 in Kraft.

Darin vorgesehen ist insbesondere eine - zunächst bis zum 15.03.2021 befristete - Pflicht von Arbeitgebern "Beschäftigten im Falle von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anzubieten, diese Tätigkeit in deren Wohnung (Home-Office) auszuführen, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen". Weitere Vorgaben betreffen insbesondere Kontaktreduzierungen im Betrieb und die Pflicht zum Tragen medizinischer Gesichtsmasken oder FFP2- oder vergleichbarer Masken zum Fremdschutz.

Besonders prekär und eilbedürftig für Arbeitgeber wird nach der neuen Corona-Arbeitsschutzverordnung jetzt die kurzfristige Überprüfung und Dokumentation der von der Verordnung vorgesehenen „zusätzlichen und erforderlichen Maßnahmen“ im Hinblick auf den betrieblichen Infektionsschutz nach §§ 5 und 6 ArbSchG. Arbeitnehmer haben auf die Durchführung hierauf insgesamt einen Anspruch. Ihr Arbeitsplatz muss per se dem Arbeitsschutz genügen. Hierzu gehört auch der Infektionsschutz. Die Einhaltung der Vorgaben kann zudem auch von den Arbeitsschutzbehörden überprüft werden.

Wir helfen Ihnen gerne dabei die neuen Vorgaben des Gesetzgebers zu erfüllen. Sprechen Sie uns an!


VERWALTUNGSRECHT

Erfolg in Hamburg: Auf dem Rechtsweg vor Gericht schneller zur Corona-Impfung

#44 | 18.01.2021

Es kommt nicht nur auf das Alter an: Jüngere Angehörige von Risikogruppen dürfen sich Hoffnung machen. Eine Krebspatientin in Hamburg zog vor das Verwaltungsgericht und erstritt eine deutlich frühere Corona-Schutzimpfung.

Der Patientin hätte nach der Coronavirus-Impfverordnung erst ein Termin in einigen Monaten zugestanden. Ihre Ärzte hatten allerdings dafür plädiert, dass sie vor einer anstehenden Operation mit darauffolgender Chemotherapie geimpft werden sollte.

Nachdem die Hamburger Gesundheitsbehörde eine vorgezogene Impfung unter Härtefallgesichtspunkten abgelehnt hatte, stellte die Patientin einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Hamburg. Nachdem das Gericht auf seine Rechtsauffassung zugunsten der Patientin hingewiesen hatte, knickte die Behörde ein. Das Verfahren wurde für erledigt erklärt und die Patientin erhielt die begehrte Impfung. Aufgrund der Verfahrenserledigung veröffentlichte das Gericht keine Pressemitteilung. Allerdings berichtete die lokale und überregionale Presse am 16.01.2021 über den Rechtsstreit.

Auch wenn die Behörde hier bemüht war, die Angelegenheit möglichst geräuschlos zu beenden, um einen Präzedenzfall zu vermeiden: Man darf davon ausgehen, dass auch andere Verwaltungsgerichte sich der Auffassung der Hamburger Richter anschließen werden. Natürlich kommt es immer auf den individuellen Einzelfall an.

Gerade für jüngere Angehörige von Risikogruppen erscheint es angesichts der akuten Impfstoff-Knappheit jedoch durchaus erfolgsversprechend, den Rechtsweg auszuschöpfen.

Die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach unterstützen Sie hier bei Bedarf natürlich gerne jederzeit.


VERWALTUNGSRECHT

Keine Anwendung von § 33 BauGB bei außer Vollzug gesetztem Bebauungsplan – Beschluss VGH Baden-Württemberg vom 19.11.2020 (Az. 5 S 3121/20)

#43 | 14.01.2021

Eine interessante Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes in Mannheim zum öffentlichen Baurecht: Die Baugenehmigung kann nicht auf § 33 BauGB gestützt werden, wenn ein Bebauungsplan außer Vollzug gesetzt ist. Das gilt selbst dann, wenn die Gemeinde ein ergänzendes Verfahren eingeleitet und bereits Schritte zur Beseitigung der Mängel des Bebauungsplans unternommen hat.

Anlass der Entscheidung war eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Seniorenzentrums. Die Antragsteller hatten dagegen Widerspruch eingelegt und beim Verwaltungsgericht Karlsruhe beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen. Der Bebauungsplan der Gemeinde Walzbachtal war zuvor durch Entscheidung des VGH Baden-Württemberg (5 S 404/19) außer Vollzug gesetzt worden. Die Gemeinde führte daraufhin ein ergänzendes Verfahren durch und beschloss den Bebauungsplan erneut als Satzung. Dieser wurde im Mai 2020 ortsüblich bekannt gemacht.

Unabhängig davon erteilte das Landratsamt Karlsruhe eine auf § 33 BauGB gestützte Baugenehmigung zur Errichtung des Seniorenzentrums. Diese nimmt in Nebenbestimmungen auf die Vorgaben des Bebauungsplans zum Nachbarschafts- und Immissionsschutz Bezug.

Die Vorschrift des § 33 BauGB regelt die Zulässigkeit von Vorhaben während der Planaufstellung. Danach ist in Gebieten, für die bereits ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst ist, ein Vorhaben unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Namentlich muss die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung durchgeführt sowie die Erschließung gesichert sein. Des Weiteren darf das Vorhaben den künftigen Festsetzungen des Bebauungsplans nicht entgegenstehen und der Bauherr muss diese Festsetzungen für sich und seine Rechtsnachfolger schriftlich anerkennen.

In I. Instanz lehnte das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Beschluss vom 26.08.2020 (Az. 4 K 2138/20) den Antrag der Nachbarn ab. Wegen der Außervollzugsetzung könne der Bebauungsplan zwar nicht auf § 33 BauGB gestützt werden. Die Zulässigkeit des Vorhabens beurteile sich nach § 35 BauGB. Das Vorhaben verstoße aber nicht gegen das dort in § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BauGB verankerte Rücksichtnahmegebot.

Die Beschwerde der Antragsteller gegen diese Entscheidung hatte Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim kam zu dem Ergebnis, dass die Baugenehmigung zwar nicht nichtig, allerdings rechtswidrig ist und das Rücksichtnahmegebot zu Lasten der Antragsteller verletzt. Der Verwaltungsgerichtshof hält die Erteilung der Baugenehmigung auf Grundlage von § 33 BauGB für objektiv rechtswidrig. Die Vorschrift sei nicht anwendbar, weil der Bebauungsplan außer Vollzug gesetzt war. Daran ändere sich auch dadurch nichts, dass die Gemeinde ein ergänzendes Verfahren eingeleitet und bereits Schritte zur Beseitigung der Mängel unternommen habe. Die Außervollzugsetzung habe zur Folge, dass der Bebauungsplan so zu behandeln sei, als existiere er nicht. Auf bereits erteilte Baugenehmigungen könne sich die Außervollzugsetzung zwar nicht mehr auswirken. Weitere Baugenehmigungen dürften jedoch auf Grundlage des Bebauungsplans nicht erteilt werden. Hier verwies der VGH auch auf ein ähnlich gelagertes Urteil des OVG NRW vom 05.11.2013 (Az. 2 B 1010/13).

Die gerichtliche Entscheidung stellt eine bemerkenswerte Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 33 BauGB dar. Es bleibt spannend zu beobachten, inwieweit die Rechtsprechung hier zukünftig noch weitere Konkretisierungen vornehmen wird.


SONSTIGES

Interview von Tobias Ibach mit dem Fernsehsender RTL zur Corona-Rechtslage

#42 | 06.01.2021

Unser Fachanwalt Tobias Ibach gab ein Interview bei RON TV (RTL Regionalprogramm für Rheinpfalz, Odenwald, Neckar) zu den aktuellen Corona-Maßnahmen. Der Beitrag wurde am 06.01.2021 ausgestrahlt.

Der Beitrag ist auf RON TV und RON auf YouTube abrufbar (Dauer: 26:34 min). Unser Fachanwalt Tobias Ibach spricht im Interview bei RON TV 2:04-2:32 min zu den Grundrechtsrelevanz und Rechtfertigung der aktuellen Corona-Maßnahmen und 3:09-3:31 min zur Umsetzung von landesrechtlichen Verordnungen.


SONSTIGES

Interview von Tobias Ibach mit dem Fernsehsender RTL zur Corona-Rechtslage an Silvester

#41 | 30.12.2020

Unser Fachanwalt Tobias Ibach gab ein Interview mit dem Fernsehsender RTL zur Corona-Rechtslage an Silvester. Der Beitrag wurde am 30.12.2020 ausgestrahlt.

Der Beitrag aus der RTL-Mediathek TVNow.de ist sieben Tage abrufbar. Über unser Archiv können Sie den Beitrag zu Silvester (Dauer: 3:01 min) nachträglich anschauen. Unser Fachanwalt Tobias Ibach spricht 2:32-2:49 min im Interview zum Abbrennen von Feuerwerk.


VERWALTUNGSRECHT

Aktuelle Entscheidungen des VGH Baden-Württemberg zum „verschärften Lockdown“

#40 | 29.12.2020

Bisher halten die verschärften Maßnahmen der Landesregierung der gerichtlichen Überprüfung stand. In zwei Entscheidungen hat der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim Eilanträge gegen die Untersagung des Abholservice im geschlossenen Einzelhandel sowie die nächtliche Ausgangssperre abgelehnt.

VGH Beschluss vom 18.12.2020 (Az. 1 S 4080/20)

Zwei Buchhandlungen hatten sich gegen § 1 d Abs. 3 Satz 5 der Corona-Verordnung vom 15.12.2020 gewandt. Danach dürfen geschlossene Läden keinen Abholservice einrichten. Auf der anderen Seite bleiben Lieferdienste zulässig.

Der erste Senat des VGH hat den Antrag abgelehnt. Das Verbot des Abholservice diene dazu, ein erhöhtes Besucheraufkommen in den Innenstädten zu unterbinden. Die Einschränkung sei mit Blick auf die sehr prekäre Infektionslage zumutbar. Viele Geschäfte hätten bereits Online-Shops und die weiterhin erlaubten Lieferdienste eingerichtet. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Baumärkten, Verkaufsstätten für Baustoffe und Gartenbaubedarf, die einen Abholservice für gewerbliche Kunden einrichten dürfen (§ 1 d Abs. 4 Corona-Verordnung) bestehe nicht. Denn diese würden sich an einen deutlich kleineren Kundenkreis richten, sodass die entstehenden Infektionsverfahren deutlich geringer seien.

Ebenso sei keine unzulässige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Gaststätten gegeben. Dort solle mit der Möglichkeit des Außer-Haus-Verkaufes ein Ausgleich unbilliger Härten erfolgen. Schließlich sei den bereits seit über sieben Wochen geschlossenen Gastronomiebetrieben im Vergleich zum anfangs geöffneten Einzelhandel ein besonderes Opfer abverlangt worden.

Zuletzt sei nicht weiter relevant, dass in verschiedenen anderen Bundesländern ein Abholservice des Einzelhandels erlaubt ist. Dies sei Folge der Entscheidung Deutschlands für den Föderalismus. Aufgrund dieser Entscheidungsfreiheit verletze ein Bundesland das Gleichbehandlungsgebot nicht dadurch, dass es eine Frage anders regele als ein anderes Bundesland.

VGH Beschluss vom 18.12.2020 (Az. 1 S 4028/20, 1 S 4041/20, 1 S 4061/20). In insgesamt drei Beschlüssen hat der Verwaltungsgerichtshof Mannheim Eilanträge gegen die mit der Corona-Verordnung in der Fassung vom 15.12.2020 angeordnete nächtliche Ausgangssperre (§ 1 c Corona-Verordnung) abgelehnt.

Nach der Regelung ist der Aufenthalt außerhalb der Wohnung oder sonstigen Unterkunft in der Zeit von 20:00 Uhr bis 05:00 Uhr des Folgetages generell untersagt; Ausnahmen gibt es bei Vorliegen triftiger Gründe.

Der erste Senat des Verwaltungsgerichtshofes Mannheim hat alle drei Anträge abgelehnt. Für die Ausgangssperre bestehe eine ausreichende Rechtsgrundlage im Infektionsschutzgesetz (§ 32, § 28, § 28 a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz1 Nr. 2 IfSG). Sie führe im Ergebnis zu keinem unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und die Freiheit der Person nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

Die Ausgangsperre diene einem legitimen Ziel, der Kontaktreduzierung. Weiter sei sie ein geeignetes Mittel zur Zielerreichung. Sie reduziere den Anreiz, soziale und gesellige Kontakte im privaten Bereich insbesondere in den Abendstunden zu pflegen. Diese hätten sich in der Vergangenheit in infektionsbezogener Hinsicht vielfach als besonders gefahrträchtig erwiesen. Das Verbot sei auch verhältnismäßig. Die Beeinträchtigungen seien angesichts der gravierenden Folgen der Weiterverbreitung des Virus für Leben und Gesundheit einer Vielzahl Betroffener zumutbar.


HANDELS- & GESELLSCHAFTSRECHT

BGH schafft Klarheit: D&O-Versicherung ist für Ersatzansprüche gegen Geschäftsführer nach § 64 S. 1 GmbHG einstandspflichtig

#39 | 27.12.2020

Der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil vom 18.11.2020 (Az. BGH, IV ZR 217/19) eine bisher sehr umstrittene Rechtsfrage geklärt und entschieden, dass Ansprüche der GmbH gegen den Geschäftsführer auf Ersatz von Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife (§ 64 Abs. 1 GmbHG) von einer D&O-Versicherung zu ersetzen sind.

Die meisten GmbH-Geschäftsführer oder Vorstände von Aktiengesellschaften haben eine sogenannte D&O-Versicherung (Directors and Officers) abgeschlossen. Diese hat im Regelfall den Zweck, Vermögensschäden, die der Geschäftsführer im Rahmen seiner organschaftlichen Tätigkeit für das Unternehmen verursacht hat, zu ersetzen. Letztlich handelt es sich hierbei um eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Unternehmensleiter.

Wie häufig wenn es um die Einstandspflicht einer Versicherung geht, steckt der Teufel im Detail bzw. der Auslegung der maßgeblichen Vertragsklausel(n). So bestand bisher große Unsicherheit, ob die Einstandspflicht auch für eine Haftung des Geschäftsführers oder Vorstandes gegenüber dem Unternehmen nach § 64 S. 1 GmbHG (bzw. bei der AG: § 92 Abs. 2 AktG) gilt. Einige Oberlandesgerichte hatten bereits anklingen lassen, dass sie eine solche Ersatzpflicht kritisch sehen (z.B. OLG Düsseldorf, Urteil v. 20.7.2018, Az. 4U 93/16). Kernargument der Skeptiker war im Wesentlichen, dass die Versicherungsbedingungen eine Haftung für Schadensersatzansprüche enthalten. Beim Anspruch nach § 64 S. 1 GmbHG handele es sich aber um einen schadensunabhängigen Ersatzanspruch eigener Art.

Dieser Auffassung hat der BGH nun explizit widersprochen.

Im konkreten Fall hatte ein Geschäftsführer trotz Insolvenzreife der GmbH diverse Zahlungen geleistet. Er wurde deswegen vom Insolvenzverwalter auf Ersatz nach § 64 Abs. 1 GmbHG in Anspruch genommen. Der Geschäftsführer trat seine Ansprüche gegen die Versicherungsgesellschaft aus der abgeschlossenen D&O-Versicherung an die GmbH ab. Vor Gericht nahm der Insolvenzverwalter die Versicherung in Anspruch.

Nachdem er in der ersten Instanz (LG Wiesbaden, Urteil v. 28.12.2018, Az. 1O 371/16) keinen Erfolg hatte, wurde auch seine Berufung als offensichtlich aussichtslos und zurückgewiesen (OLG Frankfurt, Beschluss v. 7.8.2019, Az. 3U 6/19).

Der Insolvenzverwalter ließ nicht locker und ging in Revision. Diese führte dazu, dass der BGH den Beschluss des Berufungsgerichtes aufhob und die Sache zur Entscheidung an das OLG Frankfurt zurückverwies. Der BGH begründete seine Entscheidung damit, dass die entsprechenden Versicherungsbedingungen so ausgelegt werden müssten, dass die dort genannten „Schadensersatzansprüche“ weit zu verstehen seien. Von einem juristischen Laien als Versicherungsnehmer, auch wenn es sich um einen geschäftserfahrenen Geschäftsführer handle, könne keine dogmatische Einordnung nach der Anspruchsnatur erwartet werden. Ein anderes Ergebnis würde zudem dem Sinn und Zweck des Abschlusses einer solchen Versicherung widersprechen.

Somit können sich Geschäftsführer und Vorstände freuen. Die Entscheidung sorgt für Rechtssicherheit. Es darf allerdings nicht übersehen werden, dass eine Einstandspflicht der Versicherung natürlich auch weiterhin nur bei fahrlässigen Verstößen in Betracht kommt.

Außerdem sind auch bei D&O-Versicherungen nicht alle Versicherungsbedingungen identisch formuliert. Es ist mithin weiter anzuraten, die konkrete Klausel im Einzelfall juristisch prüfen zu lassen. Hierbei stehen ihnen in die Fachanwälte im Handels- und Gesellschaftsrecht der Kanzlei Gräber Onasch Ibach selbstverständlich gerne jederzeit mit ihrer Unterstützung zur Seite.


VERWALTUNGSRECHT

VG Neustadt: Gesichtsvisier kann Maske in der Schule nicht ersetzen

#38 | 02.10.2020

Neues zu den Corona-Maßnahmen: das VG Neustadt (VG Neustadt a.d. Weinstraße, Beschluss vom 10.09.2020 - 5 L 757/20.NW) hat entschieden, dass ein Schüler einer Schule in Speyer die vorgeschriebene Alltagsmaske auf dem Schulgelände nicht durch ein Gesichtsvisier (Face-Shield) ersetzen darf.

Beim Antragsteller handelt es sich um den Schüler eines Gymnasiums in Speyer. Nachdem er die Mund-Nasen-Bedeckung zu Beginn des Schuljahres 2020/2021 durch ein Gesichtsvisier ersetzt hatte, wurde er von der Schulleitung gebeten, zukünftig wieder eine Alltagsmaske zu tragen. Der Vater des Antragstellers schrieb dem Schulleiter daraufhin, dass sein Sohn aus gesundheitlichen Gründen keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen könne. Er verwies hierbei auch auf ein ärztliches Attest und bat darum, dass sein Sohn mit dem Gesichtsvisier im Unterricht teilnehmen könne. Der Schulleiter lehnte dies mit einem förmlichen Bescheid ab. Er bezog sich dabei auf das Fehlen einer schlüssigen ärztlichen Begründung.

Der Antragsteller hat dagegen Widerspruch eingelegt und suchte zudem vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz. Er machte geltend, dass das Gesichtsvisier eine Mund-Nasen-Bedeckung im Sinne der 10. Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz sei. Daneben ergebe sich aus einem ärztlichen Attest, dass er aus gesundheitlichen Gründen keine Mund-Nasen-Maske tragen könne und die Verwendung eines Gesichtsvisiers ausreichend sei.

Das Verwaltungsgericht Neustadt hat den Eilantrag des Antragstellers abgelehnt.

Das Gericht vertritt die Auffassung, dass die Verwendung eines Gesichtsvisiers nicht mit einer Mund-Nasen-Bedeckung im Sinne der landesrechtlichen Corona-Bekämpfungsverordnung vergleichbar sei. Die Alltagsmasken hätten nämlich die Funktion, als mechanische Barriere dazu beizutragen, die Verbreitung durch virushaltige Tröpfchen in die unmittelbare Umgebung, die man z.B. beim Sprechen, Husten oder Niesen ausstoße, zu reduzieren und dadurch andere Personen zu schützen (Fremdschutz). Daher müsse die Alltagsmaske möglich enganliegen und gut sitzen, um das vorbeiströmen von Luft an den Rändern der Maske zu verringern. Unter dem Begriff der „Mund-Nasen-Bedeckung“ fiele nach dem Sinn und Zweck der Maskenpflicht Masken, welche aus handelsüblichen Stoffen genäht wurden. Ein Gesichtsvisier könne – nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand – nicht als Mund-Nasen-Bedeckung oder gleichwertige Alternative angesehen werden. Aktuelle Studien würden darauf hinweisen, dass die Rückhaltewirkung von Gesichtsvisieren auf aufgestoßene respiratorische Flüssigkeitspartikel deutlich schlechter sei. Denn Visiere könnten maximal die direkt auf die Scheibe auftretenden Tröpfen auffangen.

Die gerichtlichen Ausführungen sind sicher vor dem Umstand sicher sehr interessant, dass im Alltag in diversen Geschäften, Praxen und Lokalen immer häufiger zu beobachten ist, dass – häufig aus Bequemlichkeitsgründen – Mund-Nasen-Bedeckungen durch Gesichtsvisiere ersetzt werden. Auch wenn es aus Sicht der Träger natürlich nachvollziehbar ist, dass diese sich Erleichterung verschaffen wollen, ist festzuhalten, dass der Fremdschutz bei einem solchen Vorgehen erheblich reduziert ist. Es bleibt daher abzuwarten, wie die Bußgeldbehörden dies zukünftig handhaben werden. Formell lässt sich festhalten, dass hier vermutlich unzählige Verstöße gegen die Maßgaben der landesrechtlichen Corona-Verordnungen tatbestandlich gegeben sind.

Zuletzt sind auch die Ausführungen des Gerichts zu den Befreiungsvoraussetzung aussagekräftig. Das Gericht hielt das vorgelegte ärztliche Attest nicht für ausreichend. Aus einem solchen Attest muss nach dem gerichtlichen Beschluss nämlich stets nachvollziehbar hervorgehen, auf welcher Grundlage der Hausarzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller während des Unterrichts keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen muss und die Nutzungspflicht auf die Zeit außerhalb des Unterrichts beschränkt, hätte der Hausarzt hier konkret darlegen müssen, aus welchen konkreten Gründen es für den Antragsteller unzumutbar sei, in diesen relativ kurzen Zeiträumen auf dem Schulgelände (also in Pausen und dem Aufsuchen von anderen Unterrichtsräumen bzw. des Sekretariats) keine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen.


VERWALTUNGSRECHT

VGH Baden-Württemberg: Uneingeschränkte Corona-Testpflicht für Schlachthöfe ist unverhältnismäßig

#37 | 01.10.2020

Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat einem Eilantrag teilweise stattgegeben, mit dem die Corona-Verordnung des Landes Baden-Württemberg für Schlachtbetriebe und die Fleischverarbeitung geregelt wird. Die Verordnung sah vor, dass in solchen Betrieben ab 100 Beschäftigten alle Mitarbeiter zweimal wöchentlich einer Testung auf den Corona-Virus zu unterziehen sind. Der VGH Mannheim hält dies für unverhältnismäßig (Beschluss vom 30.07.2020 - 1 S 2087/20).

Bei der Antragstellerin handelt es sich um einen im Regierungsbezirk Tübingen gelegenen Schlachtbetrieb. Sie berief sich im Rahmen des Eilantrags nach § 47 Abs. 6 VwGO zunächst darauf, dass es sich bei der vorgeschriebenen Reihentestung nicht um Schutzmaßnahmen im Sinne des Infektionsschutzgesetzes handle. Denn es gehe schließlich um Beschäftigte ohne Krankheitssymptome. Daher würde es schon an einer Rechtsgrundlage fehlen.

Dieser Argumentation folgte das Gericht nicht. Denn die Testungen würden auch dazu beitragen, asymptomatische Menschen, die mit dem Corona-Virus infiziert sind, frühzeitig zu erkennen.

Das Gericht hatte weiter auch keine Zweifel daran, dass es sich bei den Reihentestungen grundsätzlich um geeignete Mittel zum Infektionsschutz handelt. Es verwies auf die Äußerungen des Robert-Koch-Instituts (RKI), wonach es in bestimmten Situationen sinnvoll sein könne, Personen ohne erkennbare Symptome zu testen. Dies gelte auch für Einrichtungen mit besonderen Infektionsgefahren. Hierzu würden Schlachtbetriebe aufgrund der Zahl der dort tätigen Personen und der aus lebensmittelhygienischen Gründen gebotenen Absenkung der Temperatur in den Betriebsstätten zählen. Zudem führe die Schwere der körperlichen Arbeit zu einem erhöhten Aerosolausstoß. Ferner sei die hohe Fluktuation der vielfach durch Subunternehmer gestellten Mitarbeiter und deren zusätzlicher Unterbringung in Sammelunterkünften gefahrerhöhend zu berücksichtigen.

Allerdings sei die starre und einzelfallunabhängige Pflicht zur Testung zweimal pro Woche zu weitgehend. Es müsse zumindest die Möglichkeit eröffnet sein, dass die Betriebe bei der zuständigen Behörde Ausnahmen von dieser Vorgabe für ihren Einzelfall beantragen könne. Schließlich sei es möglich, dass ihnen der Nachweis gelinge, dass in ihrem Einzelfall ein spezifisches Hygienekonzept vorliege und tatsächlich umgesetzt werde, welches es erlaube, auf eine anlasslose zweimal-wöchentliche Testung von sämtlichen Beschäftigten (teilweise) zu verzichten. Das Gericht hält hier beispielsweise für denkbar, dass aufgrund eines Hygienekonzepts und individueller baulicher und sonstiger Bedingungen sichergestellt sei, dass bestimmte Mitarbeiter, etwa aus dem Verwaltungsbereich, tatsächlich kein Kontakt zu Beschäftigten aus den besonders infektionsgefährdeten Betriebsstätten hätten.

Zuletzt hält das Gericht den Umstand, dass die Betriebe zur Organisation und Finanzierung der Testungen verpflichtet sind, für rechtmäßig. Denn nach § 28 Infektionsschutzgesetz seien die Kosten von Schutzmaßnahmen nun mal von denjenigem zu tragen, der zu diesen Maßnahmen verpflichtet werden.


HANDELS- & GESELLSCHAFTSRECHT

Nach Ausscheiden aus GbR: Wie lange ist mit einer Nachhaftung zu rechnen?

#36 | 24.09.2020

Der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil vom 03.07.2020 (Az. V ZR 250/19) die Dauer der Nachhaftung eines ausgeschiedenen Gesellschafters einer GbR bzw. BGB-Gesellschaft nach § 736 Abs. 2 BGB i. V. m. § 160 HGB konkretisiert. Danach ist nach dem Ausscheiden noch relativ lange mit Haftungsrisiken zu rechnen. Da bei Dauerschuldverhältnissen (z.B. Miet- oder Arbeitsverträge) immer der Abschluss des Vertrags entscheidend ist, kann die Nachhaftung faktisch deutlich mehr als fünf Jahre betragen.

Im Zentrum des Rechtsstreits stand eine im Grundbuch als Wohnungseigentümerin eingetragene GbR. Ein Gesellschafter war im Jahr 2002 aus der Gesellschaft ausgeschieden. Über zehn Jahre später wurde von der Wohnungseigentümergemeinschaft ein Wirtschaftsplan, der die Zahlung eines monatlichen Hausgelds vorsah, beschlossen. Die GbR nahm nun den ausgeschiedenen Gesellschafter für die Zahlung von Hausgeld für das Jahr 2014 in Anspruch. Dieser verweigerte die Zahlung und berief sich darauf, dass der Beschluss erst nach seinem Ausscheiden erfolgt sei. Zudem sei die fünfjährige Nachhaftung nach § 160 Abs.1 HGB abgelaufen.

Der Bundesgerichtshof hat den Fall im Rahmen der Revision entschieden und der GbR Recht gegeben. Denn die Verbindlichkeiten seien vor Ausscheiden des Gesellschafters aus der GbR begründet worden. Sie seien also als Altverbindlichkeit einzuordnen. Maßgeblich hierfür sei nämlich nicht das Entstehen oder die Fälligkeit der Forderung, sondern der Zeitpunkt des Erwerbs des Wohnungseigentums. Dieser habe die Rechtsgrundlage für die Beitragspflichten gelegt. Ab diesem Zeitpunkt schulde die GbR anteilig die Gemeinschaftskosten. Der Zeitpunkt des Beschlusses der WEG sei daher nicht entscheidend.

Festzuhalten ist außerdem, dass sich nach § 160 Abs. 1 HGB die Nachhaftung von fünf Jahren nach dem Ausscheiden auf alle Verbindlichkeiten, die während der Gesellschafterstellung begründet worden sind, erstreckt. Bei Dauerschuldverhältnissen ist der Vertragsabschluss entscheidend.

Außerdem ist zu beachten, dass die Fünf-Jahresfrist an die Kenntnis der Gläubiger vom Ausscheiden geknüpft ist. Als ausscheidender GbR-Gesellschafter sollte man daher aktiv auf die Gläubiger zugehen und diese über das Ausscheiden informieren, um eine eigene Haftung zu vermeiden. Sinngemäß lässt sich die Entscheidung des BGH natürlich auch für die Haftung von ausscheidenden Gesellschaftern einer KG und OHG, auf die § 160 Abs. 1 HGB unmittelbar anwendbar ist, übertragen.


VERWALTUNGSRECHT

Gibt es Entschädigungen für Betriebsschließungen während der Corona-Pandemie?

#35 | 11.07.2020

Fast alle dürfen mittlerweile wieder öffnen. Aber viele Branchen haben aufgrund der behördlich angeordneten Betriebsschließungen in den vergangenen Monaten mit massiven finanziellen Einbußen zu kämpfen. Ein erstes Urteil gibt es in Hannover - die Rechtslage ist aber weiter noch lange nicht geklärt.

Sollen betroffene Unternehmen aus der Gastronomie, dem Einzelhandel usw. die erlittenen Umsatzeinbußen gerichtlich geltend machen? Die Erfolgsaussichten solcher Klagen lassen sich weiterhin kaum seriös beurteilen. Rechtskräftige Entscheidungen, welche Orientierung bieten könnten, stehen aus.

In der Rechtswissenschaft ist weiterhin umstritten, ob Ansprüche auf Entschädigungen bestehen oder nicht.

Die Entschädigungsregelungen im Infektionsschutzgesetz, insbesondere in § 56 IfSG, haben nur einen sehr engen Anwendungsbereich und gelten beispielsweise wenn Betriebsinhaber oder Angestellter selbst infiziert sind und in Quarantäne müssen bzw. ein Tätigkeitsverbot erhalten. Auf Betriebe, die nicht direkt von einer Infektion oder einem Ansteckungsverdachts betroffen sind, sind die Regeln aber nicht anwendbar.

Einige Stimmen in der juristischen Fachdiskussion sehen eine einschlägige Anspruchsgrundlage für Entschädigungen daher in den allgemeinen Polizeigesetzten der Länder und den dortigen Regelungen zur Entschädigung von „Nichtstörern“. Andere berufen sich auf allgemeine Grundsätze des Staatshaftungsrechts und machen ein ausgleichspflichtiges „Sonderopfer“ der Betroffenen geltend.

Es kann durchaus sein, dass in der ersten Instanz vor den Amts- und Landgerichten sehr unterschiedlichem Urteile ergehen werden. In einem Eilrechtsschutzverfahren hat das Landgericht Heilbronn derartige Ansprüche gegen das Land Baden-Württemberg bereits abgelehnt. Auch in einem Klageverfahren eines Gastronomen gegen das Land Niedersachsen vor dem Landgericht Hannover hat das Gericht in einem Urteil vom 09.07.2020 die Ansprüche abgelehnt. Das Gericht geht davon aus, dass es sich nicht um eine planwidrige Regelungslücke hält, sondern dass der Gesetzgeber ganz bewusst auf Entschädigungsregelungen verzichtet habe. Bis hier Rechtssicherheit durch die höchstrichterliche Rechtsprechung hergestellt werden kann, wird es mutmaßlich Jahre dauern.

Von vielen, wie auch dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes Papier, wird der gegenwärtigen Rechtszustand sogar für verfassungswidrig gehalten. Sie sehen den Gesetzgeber am Zug. Dieser müsse Entschädigungsansprüche für die notleidenden Unternehmen schaffen. Ob dies tatsächlich geschehen wird, bleibt abzuwarten.

Bei allen Fragestellungen rund um die wirtschaftsrechtlichen Auswirkungen die Corona-Pandemie stehen Ihnen die Rechts- und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach auch weiterhin mit Rat und Tat zur Seite. Zögern Sie nicht, uns bei Bedarf zu kontaktieren!


HANDELS- & GESELLSCHAFTSRECHT

Corona-Update: Zahlungsmoratorien und Restschuldbefreiung

#34 | 10.07.2020

Es war spannend und umstritten bis zum Schluss. Am Ende haben sich die Gegner einer Verlängerung der Zahlungsmoratorien für Miet- und Pachtzahlungen durchgesetzt, was viele Vermieter und Eigentümer erleichtern dürfte. Regelungsbedarf dagegen sieht der Gesetzgeber bei der Restschuldbefreiung für insolvente Privatpersonen, Selbständige und Unternehmer.

Das Corona-Zahlungsmoratorium bei Miet-und Pachtzinsen wird nicht verlängert. Nach der bestehenden gesetzlichen Regelung berechtigen Mietschulden, die im Zeitraum vom 01.04.2020 bis 30.06.2020 aufgrund der Corona-Pandemie entstanden sind, den Vermieter nicht zur Kündigung eines Miet-und Pachtverhältnisses. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um Wohnraum oder Geschäftsräume handelt. Die Kündigungsbeschränkung gilt bis zum 30. Juni 2022. Der Gesetzgeber hat nun beschlossen, hier nicht weiter aktiv zu werden und keine Verlängerung zu beschließen. Das bedeutet, dass für Mietrückstände, die ab dem 01.07.2020 neu entstehen, wieder die gesetzlichen Kündigungsmöglichkeiten für Vermieter gelten.

Ebenso nicht verlängert wurden Leistungsverweigerungsrechte für Verbraucher und Kleinstunternehmer für Leistungen der Grundversorgung (Strom, Gas und Telekommunikation) sowie für Zahlungsverpflichtungen aus Darlehensverträgen, die zwischen dem 01.04.2020 und dem 30.04.2020. fällig wurden. Diese waren kraft Gesetzes bis zum 30.06.2022 gestundet worden. Auch hier müssen ab Juli fällige Zahlungen also wieder geleistet werden, um negative Konsequenzen zu vermeiden.

Eine Änderung ist dagegen hinsichtlich des Restschuldbefreiungsverfahrens geplant. Bisher gilt eine sechsjährige Laufzeit für Restschuldbefreiungen. Da die Politik gesehen hat, dass die Zahl insolventer Privathaushalte aufgrund der Corona-Pandemie in nächster Zeit wahrscheinlich erheblich steigen wird, sieht sie Handlungsbedarf. Das Bundeskabinett hat daher einen Gesetzentwurf beschlossen. Dieser sieht vor, die Laufzeit bis zu einer Restschuldbefreiung auf drei Jahre zu verkürzen. Die Regelung soll für Privatpersonen, Selbstständige und Einzelunternehmer gelten, welche ab dem 1. Oktober 2020 einen Insolvenzantrag stellen. Die Verkürzung soll für Verbraucher zunächst bis zum 30. Juni 2025 befristet sein. Zudem ist vorgesehen, dass eine erneute Restschuldbefreiung erst nach einer Sperrfrist von elf Jahren beantragt werden kann. Ferner unterliegt eine solche dann einer Laufzeit von fünf Jahren. Damit soll der Gefahr von Folgeinsolvenzen effektiv begegnet werden.

Bei allen Fragestellungen rund um die wirtschaftsrechtlichen Auswirkungen die Corona-Pandemie stehen Ihnen die Rechts- und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach auch weiterhin mit Rat und Tat zur Seite. Zögern Sie nicht, uns bei Bedarf zu kontaktieren!


SONSTIGES

Tobias Ibach ist Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht – Gratulation!

#33 | 13.05.2020

Der Aufwand hat sich gelohnt: Tobias Ibach ist Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht.

Herzlichen Glückwunsch zu dieser Leistung! Wir sind stolz auf den von ihm erreichten Erfolg und sehr froh, ihn in unserer Partnerreihe zu wissen!

Der Erwerb des Fachanwaltstitels erfordert nicht nur die Teilnahme an umfangreichen Fortbildungslehrgängen und das Bestehen anschließender schriftlichen Prüfungen, sondern auch den Nachweis umfangreicher Praxiserfahrung in allen Gebieten des Handels- und Gesellschaftsrechts, die das Maß der üblicherweise durch die berufliche Ausbildung erlangten Kenntnisse eines reinen Rechtsanwalts bei weitem übersteigen.

Als Fachanwalt deckt damit Herr Ibach im Kern alles ab, was den operativen und strukturellen Teil der Tätigkeit eines Unternehmens betrifft, sei es der Verkauf / Kauf / Beteiligung / Gründung von Unternehmen, Mergers & Acquisitions, Unternehmensnachfolgen und Restrukturierungen, Gesellschafterstreitigkeiten, Handelsrecht und UN-Kaufrecht, AGB, Liefer- und Vertriebsverträge, Handelsvertreter- und Lizenzrecht, Compliance, Vorstands- und Geschäftsführerrecht, Vertragsgestaltung /-verhandlung jeglicher Art.

Sprechen Sie ihn an! Er führt Sie persönlich, verlässlich und souverän durch das sehr komplexe Terrain des Handels- und Gesellschaftsrechts.


HANDELS- & GESELLSCHAFTSRECHT

Zahlt die Versicherung bei Corona (nicht)?

#32 | 22.04.2020

Zahlreiche Unternehmen haben Betriebsausfallversicherungen bzw. Betriebsschließungsversicherungen abgeschlossen. Was ist zu tun, wenn diese nun Zahlungen verweigern oder – angeblich aus „Kulanz“ – lediglich einen Bruchteil der Schäden und Umsatzeinbußen im Rahmen der Corona-Krise ersetzen möchten?

Lassen die Versicherungen ihre gewerblichen Kunden im Stich? Noch zu Beginn des Jahres haben einige Versicherungen aktiv damit geworben, auch Corona-Schäden zu ersetzen. Dies hat viele Unternehmer veranlasst, Policen gegen Betriebsschließungen zu erwerben. Doch nun verweigern diverse Betriebsschließungsversicherungen jegliche Leistungen. Teilweise geschieht dies mit fadenscheinigen Begründungen. Beispielsweise wird darauf verwiesen, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses sei das Corona-Virus bzw. COVID-19 noch nicht bekannt gewesen und daher auch nicht ausdrücklich in den Versicherungsbedingungen namentlich aufgeführt. Ähnlich ist die Problematik bei Betriebsausfallversicherungen.

Einige Versicherungen bieten nun an, „freiwillig“ einen Teil des Schadens bzw. der vereinbarten Versicherungsleistung (z.B. 10–20 %) zu zahlen. Ist es ratsam, hierauf einzugehen? Oder ist dies ein schlechter Deal für die Unternehmen, weil Ihnen nach der Rechtslage deutlich mehr zustehen würde?

Pauschale Aussagen hierzu sind unseriös. Ausgangspunkt muss in jedem Fall die genaue Prüfung und Bewertung des abgeschlossenen Versicherungsvertrags und der zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen sein. Die Unterschiede sind hier oft gravierend. Nur so kann fundiert beurteilt werden, welcher Weg für ein Unternehmen wirtschaftlich gesehen am sinnvollsten ist und ob sich eine rechtliche Auseinandersetzung mit der Versicherung lohnt.

Hinzu kommen weitere rechtliche Implikationen, die man nicht außer Acht lassen darf: Was bedeutet die Zahlung einer Betriebsschließungsversicherung bzw. Betriebsausfallversicherung für die Gewährung von Kurzarbeitergeld und sonstigen staatlichen Hilfen und Unterstützungszahlungen? Scheidet die Gewährung von Kurzarbeitergeld dann aus bzw. muss Kurzarbeitergeld zurückgezahlt werden? Sind erhaltene Soforthilfen zurückzuzahlen? Gilt all dies auch, wenn sich ein Unternehmen auf den von einer Versicherung angebotenen Abfindungsbetrags einlässt?

Auch hier muss jeder Einzelfall individuell geprüft und bewertet werden. Wir helfen Ihnen an dieser Schnittstelle zwischen Versicherungsrecht und Wirtschaftsrecht mit unserer Expertise weiter. Für entsprechende Beratungen stehen wir Ihnen natürlich auch in diesen Zeiten kurzfristig telefonisch und per E-Mail zur Verfügung. Kommen Sie gerne auf uns zu!


VERWALTUNGSRECHT

Aktuelle Rechtssprechungsübersicht zur Corona-Pandemie (Teil 2/2)

#31 | 16.04.2020

Weitere gerichtliche Entscheidungen zum Thema Corona-Pandemie.

Beschluss des Thüringer OVG vom 08.04.2020, Az. 3 EO 245/20:
Das Gericht hat einen Eilantrag gegen die Betriebsschließung für Fitnessstudios in Thüringen abgelehnt. Das Gericht verweist hierbei auf später zu klärende Grundsatzfragen, sieht aber gewichtige Aspekte für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Regelung. Es gäbe gewichtige Gründe anzunehmen, dass die Untersagung des Betriebs eines Fitnessstudios nicht unverhältnismäßig sei.

Ebenso hat auch der VGH Baden-Württemberg am 09.04.2020 (Az. 1 S 925/20) entschieden: Der Betreiber eines Fitnessstudios müsse den Eingriff in die Berufsfreiheit aufgrund der Schließung seines Betriebs zur Verhinderung des Coronavirus hinnehmen. Die präventiven Wirkungen der Bekämpfungsmaßnahmen seien zulässig.

Beschluss des VG Dresden vom 01.04.2020, Az. 6 L 224/20:
Das Gericht verneint einen Anspruch einer Reha-Einrichtung auf eine behördliche Schließungsanordnung. Das Gericht verneint hier bereits das Rechtsschutzbedürfnis. Die Entscheidung, die Einrichtung zu schließen, obliege dem Betreiber weiterhin selbst. Der Betreiber sei an einer eigenmächtigen Schließung nicht gehindert. Es bedürfe keiner behördlichen Schließungsanordnung. Hintergrund des Antrags war wohl, dass der Betreiber im Falle einer behördlichen Schließungsanordnung vom erleichtertem Zugang zu staatlichen Entschädigungs- bzw. Unterstützungsmaßnahmen ausging.

Beschluss des OVG Münster vom 06.04.2020, Az. 13 B 398/20:
Mit der Entscheidung hat das Gericht die weitreichende Betriebsuntersagung für Verkaufsstellen des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen durch die landesrechtliche Corona-Schutzverordnung bestätigt. Die eingegriffene Regelung sei voraussichtlich rechtmäßig, da sie im Infektionsschutzgesetz eine hinreichende gesetzliche Grundlage habe und weil die grundsätzliche Betriebsuntersagung die betroffenen Unternehmen auch nicht unangemessen belaste.

Ebenso hat das OVG Bremen (Beschluss vom 09.04.2020, Az. 1 B 97/20) zur dortigen Corona-Verordnung entschieden. Das Gericht sieht keine durchgreifenden Bedenken gegen die dort angeordneten Geschäftsschließungen.

Beschluss des VG Aachen vom 03.04.2020, Az. 7 L 259/20:
Die Entscheidung erlaubt einem Weinhändler in Aachen, sein Geschäft wieder zu öffnen. Das Gericht hat dem Eilantrag des Händlers gegen eine Schließungsanordnung der Stadt Aachen recht gegeben. Nach Auffassung der Stadt handle es sich bei Genussmitteln wie Wein nicht um „Lebensmittel“, die nach der Corona-Verordnung des Landes NRW weiterhin verkauft werden dürfen. Das Gericht ist dem entgegengetreten. Auch Lebensmittel, die nicht der Grundversorgung der Bevölkerung dienen, dürfen demnach weiterhin verkauft werden. Der Weinhändler darf sein Geschäft daher wieder öffnen.

Zuletzt ein Blick ins Zivilrecht:

Beschluss des AG Frankfurt vom 08.04.2020, Az. 32 C 1631/20 (89):
Mit der Entscheidung hat das Gericht einem Arbeitnehmer im Rahmen einer einstweiligen Verfügung gegenüber dessen Bank eine verlängerte Frist zur Rückzahlung seiner Kontoüberziehung zugesprochen.

Der Arbeitnehmer ist aufgrund von Kurzarbeit in finanzielle Bedrängnis geraten. Seine Bank hatte die Bitte um Gewährung einer verlängerten Rückzahlungsfrist zuvor abgelehnt. Das Amtsgericht hat dem Antrag weitgehend stattgegeben. Hierbei beruft es sich auf das kürzlich in Kraft getretene Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie. Nach diesem werden Ansprüche des Darlehensgebers auf Rückzahlung, Zinsen und Tilgung aus Darlehensverträgen die vor dem 15.03.2020 abgeschlossen worden sind, zwischen dem 01.04. und dem 30.06.2020 für die Dauer von drei Monaten gestundet. Auch die darüberhinausgehenden Voraussetzungen, nämlich, dass der Verbraucher aufgrund der durch die Pandemie hervorgerufenen außergewöhnliche Verhältnisse Einnahmeausfälle habe und ihm deshalb die Erbringung seiner Leistung nicht zumutbar sei, hat das Gericht als erfüllt angesehen.


VERWALTUNGSRECHT

Aktuelle Rechtssprechungsübersicht zur Corona-Pandemie (Teil 1/2)

#30 | 15.04.2020

Es ist noch keinen Monat her, dass die einschneidenden Beschränkungen des öffentlichen Lebens in Deutschland wegen der Corona-Pandemie in Kraft getreten sind. Dennoch sind mittlerweile zahlreiche erste gerichtliche Entscheidungen zu diesem Thema ergangen. Hauptsächlich handelt es sich hierbei um Eilverfahren, die von Bürgern/Gewerbetreibenden angestrengt worden sind, welche die Maßnahmen für zu streng erachten.

Zwar handelt es sich bei vielen Entscheidungen um Beschlüsse in sog. Eilverfahren. Dies bedeutet, es könnte noch eine intensive Rechtsprüfung in nachgelagerten Hauptsacheverfahren folgen. Gleichwohl lässt sich schon ein erstes Fazit ziehen: Die ganz überwiegende Mehrheit der Gerichte gibt sich „staatstragend“ und hält die Maßnahmen für rechtmäßig. Über fehlende Rückendeckung aus der Justiz kann sich die Politik bisher nicht beklagen.

Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über bereits veröffentlichte Entscheidungen gegeben werden.

Beschluss des VG Leipzig vom 09.04.2020, Az. 7 L 192/20:
Das Gericht gibt dem Universitätsklinikum Leipzig recht, dass einem werdenden Vater den Zutritt zum Kreißsaal verweigert hat. Die Praxis der Klinik, seit dem 03.04.2020 bei Entbindungen keine Begleitpersonen im Kreißsaal mehr zuzulassen, sei vom Hausrecht der Klinik gedeckt und rechtmäßig. Sie diene schließlich der Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus und auch der Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Dienstbetriebs.

Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 08.04.2020, Az. 11 S 21.11:
Das OVG Berlin-Brandenburg kommt zu dem Ergebnis, dass das mit der Coronavirus-Eindämmungsverordnung der Stadt Berlin ausgesprochene Verbot von Gottesdiensten keine unverhältnismäßige Einschränkung der Religionsfreiheit darstellt. Da die Gottesdienste die erhebliche Gefahr von weiteren Corona-Infektionen bergen würden, seien die Grundrechtseingriffe zum Schutz von hochrangigen Verfassungsgütern in Form von Leben und Gesundheit gerechtfertigt.

Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 07.04.2020, Az. 1 BvR 755/20:
Mit der Entscheidung hat das Gericht einen Eilantrag gegen die in Bayern geltenden Ausgangsbeschränkungen wegen der Corona-Krise abgelehnt. Das Gericht hat angesichts der aktuell bestehenden Gefahren für die Schutzgüter Leben und Gesundheit davon abgesehen, die Verordnung vorläufig außer Kraft zu setzen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass das Gericht im Nachhinein im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde zu einem kritischeren Urteil über die damit verbundenen Grundrechtseingriffe kommen wird.

Beschluss des VG Köln vom 08.04.2020, Az. 16 L 679/20:
Das Gericht lehnt einen Eilantrag eines Elektro-Handwerkers auf Gewährung der NRW-Soforthilfe 2020 ab. Eine Gewährung sei nicht möglich, weil der Antragsteller trotz der Corona-Verordnung des Landes NRW weiterhin seiner Tätigkeit nachgehen könne und er die erforderliche Existenzgefährdung durch die Corona-Krise nicht glaubhaft gemacht habe.

Beschluss des OVG Brandenburg vom 08.04.2020, Az. 11 S 20/20:
Das Gericht lehnt den Eilantrag eines Berliner Rechtsanwaltes ab. Dieser hatte sich dagegen gewandt, dass durch die Corona-Verordnung des Landes Berlin die Wahrnehmung von Terminen in Rechtsanwaltskanzleien nur noch dann zulässig ist, wenn es sich hierbei um dringend erforderliche Termine, gegenüber den Ordnungsbehörden glaubhaft gemacht werden müssen, handelt. Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich hierbei nicht um einen unverhältnismäßigen Eingriff in die anwaltliche Berufsfreiheit.


ARBEITSRECHT

Coronavirus: Sofortmaßnahmen für die Wirtschaft

#29 | 19.03.2020

Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus sind gravierend und ein Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht in Sicht.

Daher hat die Bundesregierung zunächst die zentrale Botschaft verkündet, dass genug Geld vorhanden sei, um die Krise zu bekämpfen. Dies insbesondere auch um den wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus entgegenzutreten. Weitreichenden Maßnahmenbündel sollen dabei helfen Arbeitsplätze und Unternehmen zu unterstützen und den vom Coronavirus betroffenen Betrieben ausreichend Liquidität sichern, damit sie die Corona-Krise überstehen können.

Hierzu hat die Bundesregierung den ersten Schutzschild für Beschäftigte und Unternehmen vorgestellt.

Dieser enthält folgende Maßnahmen:

1. Das Kurzarbeitergeld wird flexibler. Unternehmen können es künftig unter erleichterten Voraussetzungen erhalten. So kann Kurzarbeitergeld unter anderem bereits dann beantragt werden, wenn zehn Prozent der Beschäftigten vom Ausfall betroffen sind (vorher 30 %).

2. Die Liquidität von Unternehmen wird durch steuerliche Maßnahmen verbessert. Zu diesem Zweck wird die Stundung von Steuerzahlungen erleichtert, Vorauszahlungen können leichter abgesenkt werden. Auf Vollstreckungen und Säumniszuschläge wird im Zusammenhang mit den Corona-Auswirkungen verzichtet.

3. Die Liquidität von Unternehmen wird durch neue, im Volumen unbegrenzte Maßnahmen geschützt. Dazu werden die bestehenden Programme für Liquiditätshilfen ausgeweitet und für mehr Unternehmen verfügbar gemacht, etwa die KfW- und ERP-Kredite.

4. Bundeswirtschafts und Bundesfinanzminister werden sich auch auf europäischer Ebene für ein koordiniertes und entschlossenes Vorgehen einsetzen. Die Bundesregierung begrüßt dabei unter anderem die Idee der Europäischen Kommission für eine „Corona Response Initiative“ mit einem Volumen von 25 Milliarden Euro sowie die Verzahnung aller Maßnahmen auch auf europäischer Ebene.

Die Kanzlei Gräber Onasch Ibach hat die TASK FORCE „Coronavirus und Recht“ ins Leben gerufen, damit wir Ihnen mit rechtlicher Beratung auch in dieser Situation beistehen können. Kontaktieren Sie uns, wenn Sie uns brauchen.


VERWALTUNGSRECHT

Betriebsschließung, Verdienstausfall, Quarantäne - Entschädigungsansprüche im Rahmen der Corona-Krise

#28 | 18.03.2020

Die Bundesregierung hat weitreichende (Liquiditäts-) Hilfen für Unternehmen angekündigt. Zudem wurde die Einführung von Kurzarbeit erleichtert. Doch welche gesetzlichen Entschädigungsansprüche gibt es darüber hinaus für Unternehmen (Hotels, Gaststätten, Geschäfte), Selbstständige und Privatpersonen?

Die meisten behördlichen Anordnungen ergehen derzeit auf der Rechtsgrundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). So auch die am 17.03.2020 nochmals verschärfte Rechtsverordnung des Landes Baden-Württemberg. Diese legt nun ausdrücklich fest, dass Restaurants nur noch bis 18:00 Uhr geöffnet haben dürfen und dass Übernachtungen in Hotels in Baden-Württemberg zu touristischen Zwecken untersagt sind.

1.
Ein Entschädigungsanspruch ist in § 56 IfSG vorgesehen. Dieser Anspruch kommt allerdings im Wesentlichen nur solchen Personen zugute, die aufgrund behördlicher Anordnung in Quarantäne gehen müssen und hierdurch finanzielle Einbußen hinsichtlich ihrer Erwerbstätigkeit haben. Der Anspruch gilt auch für Selbstständige. Wichtig neben einer konkreten, detaillierten und fortlaufenden Dokumentation des Verdienstausfalles ist die rechtzeitige Antragstellung bei der zuständigen Behörde. Für Ersatzansprüche von Arbeitgebern, die in Vorleistung treten mussten, ist die Dreimonatsfrist in § 56 Abs. 11 IfSG zu beachten.

2.
Wie sieht es aber für Unternehmen aus, die aufgrund behördlicher Anordnungen schließen oder den Geschäftsbetrieb einschränken müssen? Gibt es hier Ersatz für Umsatzeinbußen und Verdienstausfall?

a) Eine Entschädigungsregelung enthält das Gesetz in § 65 Abs. 1 IfSG. Diese gilt aber nur für Vermögensnachteile, welche durch Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten verursacht werden. Dieser Entschädigungsanspruch besteht somit gerade nicht für Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten nach § 28 Abs. 1 IfSG. Auf letztgenannter Norm beruht aber insbesondere auch die Rechtsverordnung des Landes Baden-Württemberg.

Diese Rechtssituation ist für Unternehmen und Selbstständige, die von den strikten Maßnahmen der Rechtsverordnung betroffen sind, äußerst kritisch.

b) Darüberhinausgehende staatshaftungsrechtliche Ansprüche gegen Behörden bzw. das Bundesland kommen nur im Fall der Rechtswidrigkeit von behördlichen Anordnungen in Betracht. Hier ist jeder Einzelfall genau zu betrachten. Möglicherweise können Verstöße gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip vorliegen. In solchen Fällen ist mit freiwilligen Erstattungsleistungen wohl nicht zu rechnen. Es bleibt nur die gerichtliche Geltendmachung. Erst wenn ein Gericht die Rechtswidrigkeit/Unverhältnismäßigkeit einer Betriebsschließung bzw. der Einschränkung des Geschäftsbetriebes festgestellt hat, kommt ein Entschädigungs- bzw. Schadensersatzanspruch in Betracht.

c) Ein Notanker könnte für manche Unternehmen gegebenenfalls noch § 55 i.V.m. § 9 PolG Baden-Württemberg sein. Danach sind Entschädigungen an sog. Nichtstörer, die zur Abwehr einer Gefahr herangezogen werden, zu leisten. Die Vorschrift ist anwendbar, da es sich auch beim Infektionsschutzrecht um Gefahrenabwehrrecht handelt.

Soweit ein Unternehmen als Adressat einer behördlichen Anordnung als Nichtstörer einzustufen ist, kann ihm also eine Geldentschädigung zustehen. Auch hier sind aber Verhältnismäßigkeits- und Zumutbarkeitsaspekte zu berücksichtigen.

Da die Rechtslage alles andere als eindeutig ist, wird auch in solchen Fällen letztlich eine gerichtliche Klärung erforderlich sein. Wichtig ist hier eine frühzeitige rechtliche Beratung, um Schäden für derartige Verfahren rechtssicher erfassen, dokumentieren und aufbereiten zu können.

Die Kanzlei Gräber Onasch Ibach steht Ihnen hierbei selbstverständlich zur Seite. Kommen Sie gerne jederzeit auf uns zu.


SONSTIGES

TASK FORCE „Coronavirus und Recht“

#27 | 17.03.2020

Die Pandemie des Coronavirus (COVID-19) sorgt weltweit für Verwirrung und Unsicherheit. Unternehmen versuchen, mit dem Ausbruch umzugehen, indem sie den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und andere Empfehlungen zum Schutz der Arbeitnehmer befolgen, während sie weiterhin versuchen Schaden für das Unternehmen und ihre Mitarbeiter/Kunden abzuwenden.

Bei den Anwälten von Gräber Onasch Ibach haben wir schon immer auf mobiles und flexibles Arbeiten gesetzt, um für unsere Mandanten da sein zu können.

Wir können Ihnen daher versichern, dass wir auch während der Corona-Pandemie für Sie da sein werden. Dazu nutzen wir auch moderne Technologien um mit Ihnen in Kontakt bleiben zu können. Videokonferenzen bspw. über Skype sind für uns auch kein Hindernis. Mit unserem Netzwerk sind wir zudem auch immer am Puls der Zeit und werden regelmäßig über aktuelle Entwicklungen der Pandemie auf dem Laufenden gehalten.

Mit unserer Spezialexpertise können wir Sie zudem ganzheitlich auch durch diese Krise führen. Wir haben die TASK FORCE „Coronavirus und Recht“ in unserer Kanzlei ins Leben gerufen, damit wir Ihnen mit rechtlicher Beratung auch in dieser Situation beistehen können. Kontaktieren Sie uns, wenn Sie uns brauchen.

Björn Gräber, Ralf Onasch, Tobias Ibach


HANDELS- & GESELLSCHAFTSRECHT

Corona-Epidemie: Insolvenzantragspflichten werden ausgesetzt

#26 | 17.03.2020

Schon in der letzten Woche haben Finanz- und Wirtschaftsministerium umfangreiche Liquiditätshilfen für Unternehmen jeder Größe angekündigt. Nun zieht das Bundesjustizministerium nach und setzt unter bestimmten Voraussetzungen die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15 a InsO aus. So soll verhindert werden, dass die in Aussicht gestellten Unterstützungen für viele Betriebe zu spät kommen.

Die Regierung hat der Wirtschaft unbürokratische und schnelle Hilfen in Aussicht gestellt. Im Wesentlichen geht es hierbei um Liquiditätshilfen in Form von erleichterten Kreditvergaben durch Garantien der staatlichen Förderbank KfW. Da diese im Regelfall im Zusammenspiel mit der Hausbank des jeweiligen Unternehmens gewährt werden, muss man realistischer Weise davon ausgehen, dass es eine gewisse Zeit dauert, bis tatsächlich Geld fließt. Für viele kleine Unternehmen und Selbständige, die bereits erhebliche Verbindlichkeiten haben und teilweise „von der Hand in den Mund“ leben, scheint ein zusätzlicher neuer Kredit zu wenig zu sein. Ob hier von der Politik, wie gegenwärtig teilweise diskutiert wird, noch zusätzliche Hilfen wie Fördergelder für Mieten oder einen Fonds für laufende Kosten gewährt werden, ist aktuell noch nicht absehbar.

Um allerdings den Worst-Case, nämlich die kurzfristige Insolvenz für viele Unternehmen, zu verhindern, hat das Bundesjustizministerium am 16.03.2020 eine gesetzliche Regelung angekündigt:

Um Unternehmen zu schützen, soll die gesetzliche Insolvenzantragspflicht ausgesetzt werden. Vergleichbare Regelungen gab es schon anhand von Hochwasserkatastrophen in den Jahren 2002, 2013 und 2016.

Zum Hintergrund: Grundsätzlich muss nach § 15a InsO spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eines Unternehmens ein Eröffnungsantrag auf Durchführung eines Insolvenzverfahrens gestellt werden. Tut der Geschäftsführer dies nicht, drohen ihm strafrechtliche Konsequenzen und auch eine Haftung mit seinem Privatvermögen für Verbindlichkeiten des Unternehmens. Häufig führt dies dann auch zum privaten finanziellen Ruin eines (Gesellschafter-) Geschäftsführers. Nun ist beabsichtigt, diese Pflicht bis zum 30.09.2020, mit der Möglichkeit einer Verlängerung der Maßnahme durch eine Verordnungsermächtigung bis Ende März 2021, auszusetzen. Die Regelung kommt sowohl Unternehmen, die staatliche Liquiditätshilfen beantragt haben, aber auf diese warten müssen, als auch solchen, die sich gegen die Inanspruchnahme solcher Hilfen entscheiden sollten, entgegen.

Wichtig ist aber:
Es handelt sich hier nicht um einen Freifahrtschein. Nach der Ankündigung des Ministeriums gilt die Aussetzung nur unter bestimmten Voraussetzungen: (1) Der Insolvenzgrund muss auf Auswirkungen der Corona-Epidemie beruhen und (2) aufgrund einer Beantragung öffentlicher Hilfen bzw. ernsthafter Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen eines Antragspflichtigen müssen begründete Aussichten auf Sanierung bestehen.

Es kommt also weiter auf die genaue Betrachtung des Einzelfalles an. Die Regelungen ist sehr begrüßenswert und wird vielen Unternehmen helfen. Es handelt sich aber nicht um eine pauschale Aussetzung von jeglichen Pflichten.

Soweit Sie hier Bedarf nach einer individuellen Beratung zu Handlungsoptionen und gegebenenfalls bestehenden Risiken haben, steht Ihnen die Kanzlei Gräber Onasch Ibach selbstverständlich gerne kurzfristig zur Verfügung.


ARBEITSRECHT

Das Coronavirus (SARS-CoV-2) und seine Auswirkungen – Was Arbeitnehmer und Arbeitgeber wissen müssen!

#25 | 13.03.2020

In fast allen Bundesländern sind mittlerweile Corona-Fälle aufgetreten. Die Angst vor einer Pandemie ist nicht mehr nur Theorie, sondern tatsächlich Realität.

Harte Realität ist auch, dass sich deswegen für die betriebliche Praxis zahlreiche arbeitsrechtliche Fragen stellen: Wann müssen bzw. dürfen Arbeitnehmer z.B. zu Hause bleiben? Was geschieht mit Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ausscheidern oder Ansteckungsverdächtigen? Wie ist mit einer hoheitlich angeordneten Quarantäne umzugehen? Können Arbeitgeber „Home-Office-Arbeit“ anordnen? Was geschieht mit Pendlern und Rückreisern, die beispielsweise aus der französischen Region Grand Est (Elsass, Lothringen und Champagne-Ardenne), Italien, China oder Südkorea kommen? Wer trägt das Lohnrisiko? Auch Kurzarbeit wird immer mehr zum Thema, und erste große Konzerne haben bereits Anträge dazu gestellt, wie beispielsweise die Lufthansa.

Die Kanzlei Gräber Onasch Ibach steht auch während dieser Krise loyal und sicher an Ihrer Seite. Wir führen Sie durch dieses komplexe rechtliche Terrain. Mit unserer Spezialexpertise im Wirtschafts- & Gesellschaftsrecht sowie dem Verwaltungsrecht verfügen wir zudem auch über das notwendige Know-how, Sie ganzheitlich in dieser Krise beraten zu können.


HANDELS- & GESELLSCHAFTSRECHT

OLG Hamm zur Angemessenheit von GmbH-Geschäftsführervergütungen

#24 | 13.02.2020

Welche rechtlichen Grenzen gibt es für die Höhe von Geschäftsführervergütungen? Unangemessen hohe Vergütungen können die entsprechenden Beschlüsse nicht nur unwirksam machen, sondern auch zu steuerlichen Nachteilen führen. Das Urteil des OLG Hamm vom 09.09.2019 Az. 8 U 7/17 schließt sich nun der Tendenz der Finanzgerichte an und gibt eine praxistaugliche Handlungsempfehlung.

Beschließen die Gesellschafter über die Höhe der Vergütung für den oder die Geschäftsführer muss auf deren Angemessenheit geachtet werden. Es besteht die Gefahr, dass der entsprechende Gesellschafterbeschluss wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. I BGB und/oder eines Verstoßes gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht unwirksam ist. Darüber hinaus muss bei Gesellschafter-Geschäftsführern auf die Thematik der sog. verdeckten Gewinnausschüttung geachtet werden: Wird der zu hohe Anteil der Vergütung vom Finanzamt als solche bewertet, kann sie nicht mehr als Betriebsausgabe geltend gemacht werden und wird stattdessen dem steuerbaren Gewinn zugerechnet, was zu einer höheren Steuerlast führt.

Die Entscheidung des OLG Hamm vom 09.09.2019 Az. 8 U 7/17 hat die Klage eines GmbH-Gesellschafters gegen Gesellschafterbeschlüsse über die Geschäftsführervergütung für einen Gesellschafter-Geschäftsführer und einen Fremd-Geschäftsführer zum Gegenstand. Der Kläger hält diese für unangemessen und macht einen Verstoß gegen die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht geltend. Die Klage hatte in der I. Instanz am LG Bielefeld Erfolg. Das Landgericht argumentierte, dass die vereinbarte Vergütung die am mittleren Einkommen vergleichbarer Geschäftsführer zu beurteilende angemessene Jahresvergütung für die konkrete Tätigkeit der Geschäftsführer um mehr als 50 % übersteige. Die Gesellschafterbeschlüsse seien daher treuwidrig gewesen. Kläger und Beklagte legten Berufung gegen das Urteil ein. Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg und das OLG Hamm kam im konkreten Fall zum Ergebnis, dass die Geschäftsführervergütung (noch) angemessen sei. Hierbei hat das OLG Hamm einige, über den Einzelfall hinausgehende, interessante Grundsätze festgehalten:

Demnach ist eine GmbH-Geschäftsführervergütung angemessen, wenn sie das mittlere Einkommen für vergleichbare Geschäftsführer um nicht mehr als 20 % übersteigt. Anhaltspunkte für die Höhe dieses angemessenen Einkommens könnten geeignete Studien liefern. Treuwidrig und unwirksam ist die Zustimmung in der Gesellschafterversammlung zu einer Geschäftsführervergütung allerdings nur dann, wenn die tatsächlich vereinbarte Vergütung die nach der vorgenannten Maßgabe berechnete Vergütung um mehr als weitere 50 % übersteige. Durch diesen „Puffer“ ermöglicht das Gericht, im Rahmen der Berechnung der Vergütung individuelle Besonderheiten der Gesellschaft (z.B. Ertragslage, Erfolg und spezielle Qualifikationen und Fähigkeiten des Führungspersonals) zu berücksichtigen. Von einer gerichtlich festgesetzten Obergrenze für Manager-Gehälter ist diese Entscheidung also weit entfernt. Gleichwohl gibt sie Praktikern in Wirtschafts- und Vertragsgestaltung wertvolle Anhaltspunkte an die Hand, was im Sinne der Rechtssicherheit zu begrüßen ist.


VERWALTUNGSRECHT

Bundesverwaltungsgericht hält Standplatzpflicht für Taxen für unzulässig

#23 | 30.01.2020

Im Wege einer Normenkontrolle hat sich das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 22.01.2020, Az. 8 CN 2/19) mit einer von der Stadt München festgesetzten Standplatzpflicht für Taxen beschäftigt. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass das Personenbeförderungsgesetzt nicht zum Erlass einer Rechtsverordnung mit entsprechendem Inhalt berechtigt.

Die Taxiordnung der Stadt München beinhaltet eine Vorschrift, wonach Taxis nur an behördlich zugelassenen Stellen bereitgehalten werden dürfen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der sog. Standplatzpflicht.

Ein Münchner Taxifahrer wandte sich gegen diese Regelung und beantragte die Durchführung eines Normenkontrollverfahrens vor dem VGH München. Der Verwaltungsgerichtshof gab dem Antrag des Taxifahrers statt und erklärte die angegriffene Vorschrift für unwirksam (Urteil vom 19.06.2018, Az. 11 N 17.1693).

Die Stadt München als Antragsgegnerin legte hiergegen Revision ein und rief das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig an. Das Bundesverwaltungsgericht widersprach den Münchner Richtern zwar teilweise. Es teilte nämlich mit, der VGH München habe zu Unrecht angenommen, dass § 47 Abs. 3 PBefG nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit einer Verordnungsermächtigung genüge. Außerdem folge aus der bundesrechtlichen Pflicht gemäß § 47 Abs. 1 Satz 2 PBefG Taxen nur an behördlich zugelassenen Stellen bereit zu halten, auch kein Verbot, eine gleichlautende Bestimmung in einer Rechtsverordnung zu wiederholen.

Gleichwohl wies das Bundesverwaltungsgericht die Revision zurück. Zentrales Argument hierfür ist, dass das Personenbeförderungsgesetz keine Verordnungsermächtigung zur Regelung einer Standplatzpflicht für Taxen enthalte. Das Gesetz ermächtige lediglich zum Erlass einer Rechtsverordnung, die den Umfang der Betriebspflicht, die Ordnung auf Taxenständen sowie Einzelheiten des Dienstbetriebes regele. Die Standplatzpflicht hingegen unterfalle keinem dieser Regelungsbereiche. Sie stelle insbesondere auch keine Einzelheit des Dienstbetriebes dar, sondern gehöre zu den grundlegenden Elementen des Verkehrs mit Taxen. Mangels Rechtsgrundlage kam damit auch das Bundesverwaltungsgericht zu demErgebnis, dass die Standplatzpflicht in der Taxiordnung der Stadt München unwirksam sei.


SONSTIGES

Malerdorflauf in Grötzingen

#22 | 20.01.2020

Wir unterstützen den 1. Malerdorflauf in Karlsruhe-Grötzingen am 2. Februar 2020 aktiv, sowohl als Sponsor als auch als Läufer.

Der Malerdorflauf ist ein Spendenlauf mit Rahmenprogramm zugunsten des Kindernotarztwagens des Deutschen Roten Kreuz (DRK).

Weitere Details dazu finden Sie unter www.malerdorflauf.de

Wir freuen uns darauf!

Ihr
Björn Gräber, Ralf Onasch, Tobias Ibach


IT-RECHT

Cookie-Einsatz auf der Webseite – Auswirkung des EuGH-Urteils vom 01.10.2019

#21 | 16.01.2020

Der EuGH hat mit Urteil vom 01.10.2019 (Az. C-673/17) eine folgenreiche Entscheidung gefällt: Grundsätzlich muss für das Setzen für Cookies auf Webseiten zwingend eine wirksame Einwilligung der Nutzer eingeholt werden. Der EuGH hat diese bei einer Nutzung von Cookies zu Werbezwecke entschieden.

In der Folge gab es hohe Betriebsamkeit, wie man diese Vorgaben umsetzt.

Es hat sich herausgebildet, dass man (wie auch weiterhin) zwischen sog. Session Cookies und Cookies zum Zwecke der Werbung/des Trackings/der Webanalyse unterscheidet. Sog. Session Cookies dienen alleine der Darstellung der Webseite. Würden diese Cookies nicht gesetzt werden, so könnte die Webseite nicht genutzt werden bzw. die Inhalte so nicht betrachtet werden. Zum Einsatz solcher Cookies besteht ein berechtigtes Interesse und keine überwiegenden schutzbedürftigen Interessen der Nutzer. Folglich bedarf es keiner ausdrücklichen Einwilligung.

Jedoch ist der Einsatz von sämtlichen weiteren Cookies zu anderen Zwecken nur bei Einwilligung des Nutzers erlaubt. So ist auf jeden Fall die klare juristische Empfehlung. Nach der Entscheidung des EuGHs wäre es aus anwaltlicher Sicht fahrlässig, hier zu einem anderen Vorgehen ohne ausdrücklichen Hinweis auf die Rechtslage anzuraten.

Die technische Umsetzung dieser Vorgaben ist möglich, allerdings muss man sich Folgendes vor Augen führen (man kennt schließlich seine Pappenheimer): Bietet der Webseitebetreiber die Einwilligung an und der Nutzer verweigert den ausdrücklichen Klick auf den „Akzeptieren“- oder „Einverstanden“-Button, so darf auch kein Einsatz von Cookies erfolgen. Dies muss technisch umsetz- und lösbar sein. Werden trotzdem Cookies gesetzt, so würde dies einen vorsätzlichen Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen darstellen. Die Konsequenzen könnten drakonisch sein: ggf. eine wettbewerbsrechtliche Abmahnung eines Konkurrenten und/oder ein saftiges Bußgeld von der zuständigen Datenschutzbehörde.

Die Praxis wird sein, dass es einen Mix aus Nutzern gibt, die entweder die Einwilligung erteilen oder auch verweigern bzw. nichts anklicken. Dies wird natürlich Auswirkungen auf die statistische Auswertung bei Tracking-Tools und/oder Google Analytics etc. haben (und die Ergebnisse verwässern). Es bleibt spannend, wie sich gerade die Anbieter dieser Tracking Tools und Webanalyse-Dienste dazu auf lange Sicht positionieren werden und ob die Lobby- Maschinerie für die nächsten Gesetzgebungsverfahren angeworfen wird.


VERWALTUNGSRECHT

VGH Baden-Württemberg bejaht die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges bei der Geltendmachung eines Anspruchs auf Zulassung zur Prüfung an einer staatlich anerkannten privaten Hochschule

#20 | 12.12.2019

Ist der Anspruch auf Zulassung einer Prüfung an einer staatlich anerkannten privaten Hochschule vor dem Verwaltungsgericht oder vor einem Zivilgericht geltend zu machen? Der VGH Baden-Württemberg hat sich in seinem Beschluss vom 15.10.2019 (Az. 9 S 1676/19) klar positioniert und die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges bejahrt.

Mit dem Beschluss schließt sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg der erstinstanzlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23.05.2019 (Az. 11 K 9546/18) an. Bereits dieses hatte die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges bejaht.

Der VGH geht vom unstreitigen Grundsatz aus, wonach Streitigkeiten in Bezug auf Prüfungen an staatlich anerkannten Hochschulen privater oder kirchlicher Träger vor den Verwaltungsgerichten auszutragen sind, wenn die Prüfungen nach den Grundsätzen, die für staatliche Hochschulen gelten, abgenommen werden sollen und dies durch Verweis im entsprechenden Hochschulgesetz zum Ausdruck kommt. Mit der staatlichen Anerkennung erhält nach § 70 Abs. 5 Landeshochschulgesetz eine Hochschule in Baden-Württemberg das Recht, im Rahmen der Anerkennung Hochschulprüfungen abzunehmen, Hochschulgrade zu verleihen und Zeugnisse zu erteilen. Somit sind der Hochschule hoheitliche Funktionen übertragen.

Der VGH Baden-Württemberg hat nun klarstellend festgestellt, dass die nach § 70 Abs. 5 Landeshochschulgesetz verliehene Prüfungsberechtigung (entgegen der Auffassung der Beklagten Hochschule) nicht nur die Abnahme von Hochschulprüfungen im engeren Sinne, also den eigentlichen Prüfungsvorgang, sondern darüber hinaus auch die vorgelagerte Entscheidung der beliehenen Hochschule über die Zulassung zur jeweiligen Prüfung umfasst. Obwohl das Prüfungsrechtsverhältnis grundsätzlich erst mit der Zulassung zu einer Prüfung entsteht, bestehe jedoch zwischen der Zulassungsentscheidung und der nachfolgenden Prüfungsabnahme ein unmittelbarer sachlicher Zusammenhang. Nach Auffassung des VGH entsteht zwischen den Beteiligten bereits mit der Anmeldung eines Studenten zu Lehrveranstaltungen ein als öffentlich-rechtlich anzusehendes Prüfungsrechtsverhältnis gegenüber der staatlich anerkannten privaten Hochschule. In seinem Beschluss bezieht sich der VGH Baden-Württemberg ausdrücklich auch auf die vorangegangene Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfalen vom 26.10.2017, Az. 14 E 817/17.

Für die Praxis bedeutet die Entscheidung, dass hier zukünftig mehr Klarheit herrscht. Auch Streitigkeiten über die Zulassung zu Hochschulprüfungen sind, selbst gegenüber privaten Hochschulen, vor den Verwaltungsgerichten auszutragen. Bei sämtlichen Fragestellungen und Problemen aus dem Hochschul-, Schul-, und sonstigem Prüfungsrecht steht Ihnen die Kanzlei Gräber Onasch Ibach gerne mit Rat und Tat zur Seite. Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren.


IMMOBILIEN & BAURECHT

Sachverständige beobachten immer größeren Einsatz falscher Baustoffe

#19 | 11.12.2019

Immer öfter verwenden auch solide arbeitende und bekannte Unternehmen die falschen oder nicht für den Einsatzzweck zugelassene Baustoffe auf dem Bau. Das berichtete unlängst jetzt auch der Verband privater Bauherren (VPB). Dem können wir aus unserer täglichen Praxis nur zustimmen.

Oft werden die Produkte aus Unwissenheit auf dem Bau falsch eingesetzt, so die Pressemitteilung des VPB. Das Ergebnis bleibt trotzdem oft das Gleiche: ein Mangel der Werkleistung und schlimmstenfalls später ein großer Bauschaden.

Die Prüfung auf Eignung der Bauprodukte anhand der CE-Kennzeichnung reicht für eine zuverlässige Eignungsprüfung der einzusetzenden Bauprodukte oftmals nicht aus. Ebenso wenig kann man heute von der Farbe eines Bauprodukts auf dessen Eignung sofort schließen. Solche ersten Anzeichen geben nur einen ersten Anhaltspunkt auf den Einsatzzweck, die Sicherheit, nicht aber darauf, ob und inwieweit sie für den angedachten Einsatz tatsächlich geeignet sind oder nicht. Dazu müssen sich die Bauunternehmer schon die Mühe machen, die zum Bauprodukt gehörenden technischen Merkblätter auch zu sichten und auf den angedachten Einsatzzweck hin im Detail zu überprüfen.

Falsch eingesetzte Bauprodukte finden sich oftmals im Bereich von Bauwerksabdichtungen, den Abdichtungen von Fenstern und Türen, der Abdichtung des Daches oder aber auch schon im Bereich des Bodenaufbaus schlechthin.

Nach Ansicht des VPB liegt die Ursache dieser Probleme im System. Oft kennen sich Baufirma und Bauleiter seit Jahren und vertrauen sich daher blind. Auch stehen die Firmen aktuell sehr unter Zeitdruck, weil sie in immer kürzerer Zeit immer mehr bauen müssen und die Bauherren auch immer ungeduldiger werden, so der VPB.

Eine unabhängige Bau- und Qualitätskontrolle wird daher für alle Bauherren immer wichtiger. Diese beginnt nicht erst mit dem Bau selbst, sondern bereits viel früher bei der Abfassung der richtigen und den Bauherren schützenden Verträge. In diese müssen heutzutage auch weitergehende Regelungen zum Einsatz geeigneter Baustoffe ebenso eingearbeitet werden, wie die deutliche Beschreibung der Bauwerksanforderungen und Produkteigenschaften sowie die Prüf- und Nachweispflichten gegenüber dem Bauherrn.

Wir haben eine besondere Expertise im Vertrags- und Mangelgewährleistungsrecht auf dem Bau. Wir führen Sie sicher und loyal auch durch dieses komplexe Terrain.


HANDELS- & GESELLSCHAFTSRECHT

OLG München zu den Voraussetzungen der Haftung eines Angestellten als faktischer Geschäftsführer

#18 | 06.12.2019

Mit Urteil vom 17.07.2019 (Az. 7 U 2463/18) hat das Oberlandesgericht München die bisherigen Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung in einem anschaulichen Praxisfall nochmals zusammengefasst und bestätigt.

Hintergrund der Entscheidung ist die Klage eines Insolvenzverwalters gegen einen Angestellten einer GmbH, der im Namen der GmbH nach deren Zahlungsunfähigkeit diverse Zahlungen im sechsstelligen Bereich geleistet hatte. Der Insolvenzverwalter begehrte nun vom Angestellten die Rückzahlung dieser Beträge nach § 64 GmbHG und berief sich dabei auf die Stellung des Beklagten als faktischer Geschäftsführer aufgrund seines Auftretens im Außenverhältnis und der Verfügung über eine angebliche zentrale Steuerungsgewalt in allen Bereichen.

Das OLG München hat in diesem konkreten Fall eine Haftung des Angestellten abgelehnt und auf eine mangelhafte Darlegung durch den klagenden Insolvenzverwalter verwiesen. Zugleich hat das Oberlandesgericht noch einmal festgestellt, dass es für das Vorliegen einer „faktischen Geschäftsführerstellung“ auf das Gesamterscheinungsbild des Auftretens der Person ankomme. Es sei nicht erforderlich, dass der Handelnde die gesetzliche Geschäftsführung völlig verdränge. Maßgeblich sei aber, ob er die Geschicke der Gesellschaft durch eigenes Handeln im Außenverhältnis maßgeblich in die Hand genommen habe und so die Tätigkeit des rechtlichen Geschäftsführungsorgans nachhaltig präge. Dies müsse über die interne Einwirkung auf die satzungsmäßige Geschäftsführung hinausgehen.

Damit ist auch für die Zukunft maßgeblich, ob der handelnde Angestellte des Unternehmens im Außenverhältnis tatsächlich auch die Geschäfte der Gesellschaft einwirkt und dies auch für Dritte so erkennbar ist. Eine bloße Möglichkeit der Einflussnahme oder aber eine tatsächliche Einflussnahme im Innenverhältnis auf die gesetzliche Geschäftsführung sind nicht ausreichend.

Die Hürden für die Annahme einer faktischen Geschäftsführerstellung sind damit von der Rechtsprechung weiterhin hoch angesetzt. Gleichwohl kann hier allen Beteiligten angesichts der Haftungsrisiken (wie auch das Privatvermögen des Handelnden betreffen und im Regelfall nicht durch eine D&O-Versicherung abgedeckt sind) nur zu größter Vorsicht und Sorgfalt geraten werden. In entsprechenden Problemkonstellationen steht Ihnen die Kanzlei Gräber Onasch Ibach mit ihrem gesellschaftsrechtlichen Fachwissen gerne beratend zur Seite. Wie so oft auf rechtlichem Terrain gilt hier: Vorsicht ist besser als Nachsicht!


ARBEITSRECHT

Zugang einer Kündigungserklärung nicht schon bei Einwurf in einen Hausbriefkasten

#17 | 02.12.2019

Wird ein Kündigungsschreiben in den Hausbriefkasten eines Arbeitnehmers eingeworfen geht es ihm nicht schon mit dem Einwurf in diesen Briefkasten zu, sondern erst dann, wenn nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme durch den Arbeitnehmer zu rechnen ist.

Dies hat das Bundesarbeitsgericht in seiner aktuellen Entscheidung vom 05.11.2019 – 2 AZR 111/19 – noch einmal klargestellt.

Das Bundesarbeitsgericht belässt damit das Zugangsrisiko (und damit auch die Beweislast) weiterhin beim Arbeitgeber. Diese muss sich bei fristgebundenen Angelegenheiten auch daran orientieren wann üblicherweise der Postzusteller Briefe beim Arbeitnehmer in den Briefkasten einwirft.

Diese Entscheidung steht auch im Einklang mit der weiteren ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wonach eine verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden i.S.v. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB erst dann zugeht, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen.

Daher bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang erst, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme durch den Arbeitnehmer zu rechnen ist.

Grundsätzlich muss im Falle einer Kündigung der Arbeitgeber auch immer den Zugang der Kündigungserklärung bei Gericht beweisen können. Dies kann mitunter schwierig sein. In der Regel weiß man als Arbeitgeber nicht genau wann der Postbote seinen Postgang final erledigt und die Kündigung beim Arbeitnehmer in den Hausbriefkasten geworfen hat. Noch schwieriger ist es dann auch noch nachzuweisen wann der Arbeitnehmer üblicherweise in den Briefkasten zuschauen pflegt und seine Post dort hinausholt.

Man kann diese Grauzone überwinden. Die Kanzlei Gräber Onasch Ibach führt Sie sicher und loyal auch durch dieses komplexe rechtliche Terrain mit all seinen Untiefen und weiteren Unwägbarkeiten.


ARBEITSRECHT

BAG entschärft Bürgenhaftung nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz

#16 | 25.11.2019

Nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) haftet ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, für dessen Verpflichtung zur Zahlung des Mindestentgelts an seine Arbeitnehmer wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat.

Die Mindestlöhne auf dem Bau gehören zu den verbindlichen Mindestarbeitsbedingungen in der Bauwirtschaft. Sie werden von der SOKA-BAU überwacht und auch immer auf Baustellen bei Kontrollen durch das Hauptzollamt in den Focus gestellt. Dieses große Haftungsrisiko hat das Bundesarbeitsgericht nunmehr entschärft. Dieser Haftung unterliegen jetzt keine Unternehmer mehr, die lediglich als bloße Bauherren eine Bauleistung in Auftrag geben.

Nach der Pressemitteilung Nr. 31/19 des Bundesarbeitsgerichts zum Urteil vom 16.10.2019 - 5 AZR 241/18 - lag der Angelegenheit folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Beklagte lies auf dem ihr gehörenden Grundstück ein Einkaufszentrum errichten, das sie selbst verwaltet und in dem sie Geschäftsräume an Dritte vermietet. Für den Bau des Gebäudes beauftragte sie einen Generalunternehmer (GU), der wiederum mehrere Subunternehmer einschaltete. Bei einem dieser Subunternehmer war der Kläger als Bauhelfer beschäftigt. Dieser Subunternehmer blieb ihm - trotz rechtskräftiger Verurteilung in einem Arbeitsgerichtsprozess - Lohn schuldig. Über das Vermögen des Generalunternehmers wurde zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger hat deshalb wegen des ihm für seine Arbeit auf der Baustelle des Einkaufszentrums noch zustehenden Nettolohns die Beklagte aus dem Gesichtspunkt der Bürgenhaftung in Anspruch genommen und war der Ansicht, dass auch die Beklagte nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz als Unternehmerin für die Lohnschulden eines Subunternehmers haften müsse.

Die Beklagte unterliegt als bloße Bauherrin nicht der Bürgenhaftung des Unternehmers nach § 14 Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG). Der Begriff des Unternehmers ist im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Vorgängerregelung in § 1a AEntG a.F. nach dem vom Gesetzgeber mit dieser Bestimmung verfolgten Sinn und Zweck einschränkend auszulegen. Erfasst wird nur der Unternehmer, der sich zur Erbringung einer Werk- oder Dienstleistung verpflichtet hat und diese nicht mit eigenen Arbeitskräften erledigt, sondern sich zur Erfüllung seiner Verpflichtung eines oder mehrerer Subunternehmer bedient. Gibt er auf diese Weise die Beachtung der zwingenden Mindestarbeitsbedingungen aus der Hand, ist es gerechtfertigt, ihm die Haftung für die Erfüllung der Mindestlohnansprüche der auch in seinem Interesse auf der Baustelle eingesetzten Arbeitnehmer aufzuerlegen. Dies trifft auf die Beklagte aber nicht zu. Sie hat lediglich als Bauherrin den Auftrag zur Errichtung eines Gebäudes für den betrieblichen Eigenbedarf an einen GU erteilt und damit nicht die Erfüllung eigener Verpflichtungen an Subunternehmer weitergegeben. Mit der Vergabe des Bauauftrags schaffte sie nur die Grundlage dafür, ihrem Geschäftszweck, der Vermietung und Verwaltung des Gebäudes, nachgehen zu können.

Die Entscheidung des BAG ist erfreulich und schafft Klarheit. Sie nimmt den Bauherrn der einen GU beauftragt endlich aus der Bürgenhaftung heraus. Etwas anders sieht es im Verhältnis zwischen dem GU und allen seinen Subunternehmern aus. Hier wird zukünftig nach wie vor das Risiko der Bürgenhaftung in der Subunternehmerkette bestehen bleiben. Diesbezüglich hilft nur eine gute und vorausschauende Vertragsgestaltung.

Die Kanzlei Gräber Onasch Ibach hat eine besondere Expertise im bauspezifischen Arbeitsrecht. Wir füllen die Lücke zwischen Arbeit- und Baurecht und führen Sie sicher und loyal auch durch dieses komplexe rechtliche Terrain mit all seinen Untiefen und weiteren Unwägbarkeiten.


ARBEITSRECHT

Das europäische Parlament weitet den Schutz von Whistleblowern massiv aus

#15 | 19.11.2019

Bisher gab es für Hinweisgebern (sog. Whistleblower) keinen ausreichenden Schutz. Daher hat der europäische Rat am 07.10.2019 nunmehr die neue Whistleblowing-Richtlinie (hier noch in der Fassung der sprachlich-redaktionell noch zu überarbeitenden Beschlussfassung hinterlegt) verabschiedet.

Sie soll Whistleblowern künftig europaweite und einheitliche Standards für ihren Schutz gewährleisten. Allerdings muss die Richtlinie von den Mitgliedstaaten noch umgesetzt werden. Hierfür haben diese jetzt zwei Jahre Zeit um sie in nationales Recht umzusetzen.

Das wichtigste dazu in Kürze:

  • Die Regelung gilt für Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten und in Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern. Diese müssen zuverlässig funktionierende Meldekanäle vorhalten.
  • Der Schutz von wisse Loren geht nicht dadurch verloren, weil sie sich zunächst an externe Stellen wenden und nicht als ersten Schritt die internen Kanäle ihrer Organisation nutzen.
  • Geschützt werden Angestellte und Beamte auf nationaler oder lokaler Ebene, Freiwillige und Praktikanten, nicht geschäftsführende Mitglieder, Gesellschafter usw.
  • Es müssen Schutzvorkehrungen eingeführt werden um Hinweisgeber vor Repressalien zu schützen. Unter den Schutz fallen auch ihre Unterstützer wie beispielsweise Arbeitskollegen.
  • Innerhalb von drei Monaten müssen Behörden und Unternehmen auf Meldungen von Missständen durch Whistleblower reagieren und diese weiterverfolgen.

Die Kanzlei Gräber Onasch Ibach hat eine besondere Expertise beim Schutz von Know-how und Geschäftsgeheimnissen. Sprechen Sie uns an!


VERWALTUNGSRECHT

Kein generelles Verbot von Abschiebungen nach Somalia

#14 | 25.08.2019

In seinem Urteil vom 17.07.2019, erschienen am 20.08.2019, hat der VGH Mannheim entschieden, dass Rückführungen nach Somalia nicht wegen eines nationalen Abschiebungsverbotes (§ 60 Abs. 7 AufenthG) generell ausgeschlossen sind (Urteil vom 17.07.2019, Az. A 9 S 1566/18).

Der Kläger stammt aus Mogadischu und war von dort im Juli 2016 nach Deutschland gekommen, wo er einen Asylantrag stellte. Gegen den ablehnenden Asylbescheid erhob er Klage zum VG Stuttgart. Das Verwaltungsgesetz verpflichtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge festzustellen, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot (§ 60 Abs. 7 AufenthG) nach Somalia vorliegen. Nach Auffassung des VG Stuttgart seien Rückkehrer nach Somalia wegen der dortigen Lebensmittelknappheit einer konkreten Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt, unabhängig aus welchem Landesteil sie stammten. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat hiergegen Berufung eingelegt. Der VGH Mannheim hat dieser Berufung nun stattgegeben. Der VGH begründet dies damit, dass er nicht davon überzeugt sei, dass dem Kläger als arbeitsfähigen jungen Mann ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen im Falle einer Rückführung nach Mogadischu unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne der europäischen Menschenrechtskonvention drohe. Die im Jahr 2017 bestehende Dürresitutation sei nicht mehr akut. Es sei zwischenzeitlich eine nicht unerhebliche Verbesserung der Ernährungslage und der darauffolgenden Lebensbedingungen eingetreten. Dies beruhe insbesondere auf den Niederschlägen während der Regenzeit im Frühjahr 2018 und 2019, die zu den ergiebigsten in den letzten beiden Jahrzehnten gezählt hätten.

Da die Revision gegen das Urteil vom VGH nicht zugelassen wurde, bleibt abzuwarten, ob der Kläger gegen die Nichtzulassung Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht einlegen wird.


HANDELS- & GESELLSCHAFTSRECHT

Weiterhin enge Grenzen für persönliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers gegenüber Dritten

#13 | 24.08.2019

Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat mit Urteil vom 07.05.2019 (Az. VI ZR 512/17) die Haftung eines Geschäftsführers einer GmbH gegenüber Gesellschaftsgläubigern wegen eines „Griffs in die Kasse“ der zur Insolvenz der Gesellschaft geführt hat, verneint.

Der Beklagte war Geschäftsführer einer GmbH, welche zahlungsunfähig wurde, nachdem der Beklagte selbst mehrere Hunderttausend Euro aus dem Gesellschaftsvermögen entwendet und für gesellschaftsfremde Zwecke verwendet hatte. Der spätere Insolvenzantrag des Beklagten wurde mangels Masse abgewiesen. Die Klägerin stand in ständiger Geschäftsbeziehung mit der GmbH und erlitt einen Forderungsausfall.

Diese Forderungen machte sie gemäß § 826 BGB gegenüber dem Beklagten persönlich geltend. Dieser habe die Klägerin vorsätzlich sittenwidrig geschädigt, indem er seinen Geschäftsführerpflichten verletzte.

In I. Instanz wies das LG Konstanz (Urteil vom 17.12.2013, Az. 5 O 199/13) die Klage ab. Hiervon abweichend bejahrte das OLG Karlsruhe in der Berufungsinstanz die persönliche Haftung des Geschäftsführers (Urteil vom 29.12.2016, Az. 9 U 12/14). Nun hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und an das OLG Karlsruhe zurückverwiesen. Der BGH hat einen Anspruch der Klägerin gegen den Geschäftsführer aus § 826 BGB mit der Begründung verneint, dass die Verpflichtung des Geschäftsführers aus § 43 Abs. 1 GmbHG zur ordnungsgemäßen und der gesetzestreuen Geschäftsleitung nur gegenüber der Gesellschaft und nicht gegenüber Dritten bestehe. Auch aus einer zwischen der GmbH und der Klägerin bestehenden Kontokorrentvereinbarung folge keine persönliche Verpflichtung des Geschäftsführers gegenüber der Klägerin.

Mit diesem Urteil bekräftigt der BGH die bisherigen Grundsätze, wonach eine persönliche Haftung von Geschäftsführern nur in engen Ausnahmefällen in Betracht kommt, nämlich bei Fällen des sogenannten Verschuldens bei Vertragsschluss sowie wegen Insolvenzverschleppung.

Zur Absicherung der Gesellschaftsgläubiger kann demgemäß auch weiterhin nur eindringlich dazu geraten werden, bei Verhandlungen soweit wie möglich auf eine zusätzliche private Haftung von Geschäftsführern und/oder Gesellschaftern zu pochen, um das Risiko von Forderungsausfällen zu minimieren


VERWALTUNGSRECHT

Schreddern von Küken bleibt erlaubt – vorerst

#12 | 23.08.2019

Mit seinem Urteil vom 13.06.2019 (Az. 3 C 28.16) hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die bisherige Praxis des Kükenschredderns für eine Übergangszeit fortgesetzt werden darf. Zugleich hat es aber betont, dass die Belange des Tierschutzes schwerer wiegen als wirtschaftliche Interessen von Brutbetrieben.

Jedes Jahr werden in Deutschland ca. 45 Millionen männliche Küken kurz nach dem Schlüpfen getötet. So auch in der Brüterei des Klägers. Dieser lässt Eier ausbrüten, welche aus Zuchtlinien stammen, die auf eine hohe Legeleistung ausgerichtet sind, sodass Tiere aus diesen Zuchtlinien für die Mast wenig geeignet sind.

Der Beklagte Landkreis erließ am 18.12.2013 eine Verfügung, mit welcher mit Wirkung ab dem 01.01.2015 die Tötung von männlichen Küken untersagt wurde. Die Entscheidung beruhte auch einem Erlass des zuständigen Landesministeriums in Nordrhein-Westfalen.

Der Kläger hat die Entscheidung angefochten. Zunächst gab das Verwaltungsgericht Minden (Urteil vom 30.01.2015, Az. 2 K 80/14 sowie 2 K 83/14) dem Kläger recht und hob die Untersagungsverfügung auf. Daraufhin ging der Beklagte Landkreis in Berufung. Das Oberverwaltungsgericht Münster wies diese Berufung allerdings zurück und kam zu dem Ergebnis, dass die Tötung der männlichen Küken durch den Kläger nicht ohne vernünftigen Grund im Sinne von § 1 Satz 2 TierSchG erfolge (Urteil vom 20.05.2016, Az. 20 A 530/15 sowie 20 A 488/15).

Nun hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass die Belange des Tierschutzes schwerer wiegen als wirtschaftliche Interessen der Brutbetriebe, aus Zuchtlinien mit hoher Legeleistung nur weibliche Küken zu erhalten. Es sei mit dem Grundgedanken des Tierschutzgesetztes nicht vereinbar, dem Leben eines männlichen Kükens jeglichen Eigenwert abzusprechen.

Obwohl das Bundesverwaltungsgericht damit dem Grundsatz einen Verstoß der Brutbetriebe gegen § 1 Satz 2 TierSchG bejaht (nach dieser Vorschrift darf niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leid oder Schäden zufügen) bleibt die bisherige Praxis zulässig, bis alternative Verfahren zur Geschlechtsbestimmung der Küken noch im Ei, also vor dem Schlüpfen, anwendbar sind. Denn eine kurzfristige Umstellung ohne Übergangszeit sei für die Brutbetriebe ein erheblicher, doppelter Aufwand, da diese ohnehin in absehbarer Zeit ein Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei einrichten müssten. Die Vermeidung einer kurzfristigen Umstellung der Betriebe auf eine Aufzucht der männlichen Küken stelle daher einen vernünftigen Grund im Sinne des TierSchG für die vorübergehende Fortsetzung der bisherigen Praxis dar.


HANDELS- & GESELLSCHAFTSRECHT

BGH sieht actio pro socio (Gesellschafterklage) weiter nur als Ultima Ratio

#11 | 14.06.2019

Der BGH hat mit Urteil vom 22.01.2019 (Az. II ZR 143/17) unter Bezugnahme auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht der klagenden Gesellschafter betont, dass eine actio pro socio nur dann in Betracht kommt, wenn tatsächlich keine andere Möglichkeit zur Durchsetzung der in Rede stehenden Sozialansprüche besteht.

Der BGH konkretisiert die bekannten engen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer sogenannten actio pro socio:

Die actio pro socio beschreibt das Recht eines Gesellschafters, die Sozialansprüche der Gesellschaft gegen andere Gesellschafter im eigenen Namen zugunsten der Gesellschaft gerichtlich geltend zu machen. Unter Sozialansprüchen versteht man hierbei die Ansprüche der Gesellschaft aus dem Gesellschaftsverhältnis beispielsweise auf Leistung von Einlagen oder Nachschüssen. Weigert sich das eigentlich zuständige Gesellschaftsorgan (im Regelfall der Geschäftsführer) die Sozialansprüche geltend zu machen, kann bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen die gesellschaftsvertragliche Zuständigkeitsordnung durchbrochen werden. Der einzelne Gesellschafter ist dann selbst klagebefugt (allgemein zu den Voraussetzungen der actio pro socio vgl. BGH, Beschluss vom 26.04.2010, Az. II ZR 69/09).

Im vorliegenden Fall gab es Streit zwischen zwei Kommanditistinnen einer Kommanditgesellschaft über die Zahlung der Einlage im Rahmen einer Erhöhung des Haftkapitals. Da sich eine Kommanditistin weigerte, klagte zum einen die KG selbst und zum anderen die zweite Kommanditistin im Wege der actio pro socio gegen die Mitgesellschafterin auf Leistung der Einlage an die KG. Während die Klage der KG selbst in allen Instanzen erfolgreich war, wurde die Klage der Kommanditistin zunächst vom Landgericht Köln abgewiesen (Az. 86 O 144/15). Beim Berufungsgericht, OLG Köln, war die Klage erfolgreich (Az. 18 U 72/16).

Aufgrund der Revision der beklagten Mitgesellschafterin hat der BGH nun allerdings entschieden, dass die Klageabweisung durch das Landgericht zutreffend war. Die engen Voraussetzungen der actio pro socio würden nicht vorliegen. Die actio pro socio sei nämlich aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht ausgeschlossen, wenn die Gesellschaft selbst den Sozialanspruch einklagt. In diesem Fall sei für die Gesellschafterklage kein Raum.

Damit steht fest, dass unter Treuepflichtsgesichtspunkten eine Gesellschafterklage nur in Frage kommt, wenn tatsächlich keine andere Möglichkeit zur Durchsetzung der in Rede stehenden Sozialansprüche existiert. Es muss daher immer erst das zuständige Gesellschaftsorgan zur Geltendmachung der Sozialansprüche aufgefordert werden.


HANDELS- & GESELLSCHAFTSRECHT

Hohe Anforderungen für gerichtliche Bestellung eines Liquidators

#10 | 14.06.2019

Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 22.02.2019 (Az. 3 Wx 167/18) bestätigt, dass die gerichtliche Bestellung eines GmbH-Liquidators nur als Ultima Ratio in Betracht kommt, wenn eine ordentliche Liquidatorenbestimmung nach § 66 Abs. 1 GmbHG nicht gelingt und eine wirksame Bestellung durch die Gesellschafterversammlung nicht zu erwarten ist.

Eine Entscheidung aus dem GmbH-Recht, die vor einer vorschnellen Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Gesellschafter warnt:

Der Entscheidung liegt ein Gesellschafterstreit zugrunde. Die bisherige Alleingesellschafterin hatte eine 50 %-Beteiligung an einer GmbH an eine Erwerberin verkauft. Unmittelbar danach wurde von der Verkäuferin – ohne Beteiligung der Erwerberin – per Gesellschafterbeschluss die Liquidation der GmbH beschlossen. Zugleich bestellte die Verkäuferin den bisherigen Gesellschafter-Geschäftsführer zum Liquidator. Als Reaktion hierauf beschloss die Erwerberin in einer weiteren Gesellschafterversammlung die Abberufung dieses Liquidators. Die Verkäuferin forderte sodann von dieser, geeignete Personen als neuen Liquidator vorzuschlagen. Die Erwerberin, selbst eine GmbH, schlug ihren Gesellschafter-Geschäftsführer vor, was die Verkäuferin ablehnte. Die Erwerberin beantragte daraufhin die gerichtliche Bestellung des Liquidators. Dies begründete sie damit, dass sich die Verkäuferin grob pflichtwidrig verhalten habe, sodass ein wichtiger Grund für eine gerichtliche Bestellung vorliegen würde. Trotz Einschaltung der örtlichen IHK konnte keine geeignete Person als Liquidator gefunden werden. Gleichwohl wies das Registergericht den Antrag der Erwerberin zurück. Diese legte daraufhin Beschwerde zum OLG Düsseldorf ein.

Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde mit Beschluss vom 22.02.2019 zurückgewiesen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine außerordentliche Liquidatorenbestellung durch das Gericht seien nicht gegeben. Allein, dass die jeweils von den beiden Gesellschaftern vorgeschlagenen Geschäftsführer abgelehnt wurden, stelle kein endgültiges Scheitern der Bestellung durch die Gesellschafter dar. Insbesondere könne man hier noch nicht von einem Rechtsmissbrauch sprechen. Auch bestünden keine Anhaltspunkte, dass der andere Gesellschafter, vorliegend also die Verkäuferin, die Bestellung einer neutralen Person als Liquidator torpedieren werde.

Der Beschluss zeigt, dass es die primäre Zuständigkeit der Gesellschafter ist, auch bei Streitigkeiten selbst geeignete Personen für das Amt des Liquidators zu suchen und zu bestellen. Sie müssen aktiv selbst konkrete Personen ansprechen und alle Möglichkeiten zur ordentlichen Bestimmung eines Liquidators ausschöpfen. Wird im Anschluss dennoch ein Antrag auf gerichtliche Bestellung eines Liquidators gestellt, muss der Gesellschafter bei der Antragstellung konkret darlegen, welche Maßnahmen er zur Findung einer Person für das Liquidatorenamt ergriffen hat.

Ein wichtiger Grund für die gerichtliche Bestellung eines Liquidators darf also nicht vorschnell angenommen werden. Unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung kann von einem solchen weiterhin nur ausgegangen werden, wenn ohne die gerichtliche Bestellung eine ordnungsgemäße Abwicklung der Gesellschaft nicht gewährleistet wäre. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn dem Liquidator fachliche Fähigkeiten fehlen, er sich in einem Interessenskonflikt befindet, unüberwindbare Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Liquidator und den Gesellschaftern bestehen bzw. wenn die Vertrauensbasis zwischen Liquidator und Gesellschaftern (oder den übrigen Liquidatoren) zerstört ist.

Lassen Sie es nicht soweit kommen! Bei Konflikten im Gesellschafterkreis oder allen Fragen zum Thema Abwicklung/Liquidation einer Gesellschaft steht Ihnen die Kanzlei Gräber Onasch Ibach mit Rat und Tat zur Seite.


VERWALTUNGSRECHT

Streit um schwarze Villa beigelegt

#09 | 03.06.2019

Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat mit Beschluss vom 06.05.2019 (Az. 2 RB9 SS 731/18) das Bußgeld gegen den Eigentümer einer Villa in Pforzheim, der das Objekt denkmalschutzwidrig auf drei Seiten vollständig schwarz anmalen ließ, auf 10.000,00 € herabgesetzt.

Ein Pforzheimer Fall aus dem Verwaltungsrecht, der auch in der überregionalen Presse Aufmerksamkeit gefunden hat:

Der Eigentümer einer sanierungsbedürftigen Villa in der Goldstadt Pforzheim ließ im Jahr 2015 ohne behördliche Gestattung das Gebäude auf drei Seiten vollständig schwarz anmalen. Nach seiner Auffassung handelte es sich hierbei um eine Kunstaktion. Die Stadt Pforzheim sah dies anders und eröffnete ein Bußgeldverfahren. Durch Urteil des Amtsgerichts Pforzheim vom 27.04.2018 wurde der Eigentümer daher zur Zahlung eines Bußgeldes in Höhe von 30.000,00 € verurteilt, weil ein Verstoß gegen § 8 I Nr. 2 Denkmalschutzgesetz vorliegen würde. Der Eigentümer legte hiergegen Rechtsbeschwerde ein und beschränkte diese auf den Rechtsfolgenausspruch.

Nun hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Karlsruhe nach Zustimmung aller Beteiligten und unter Einräumung einer Zahlungsfrist von einem Jahr das Bußgeld deutlich reduziert und 10.000,00 € herabgesetzt. Das Verfahren ist damit rechtskräftig abgeschlossen.

Zur Begründung seiner milderen Einschätzung der Rechtslage führte das Oberlandesgericht Karlsruhe in seiner Pressemitteilung vom 08.05.2019 aus, dass das Anstreichen zwar zu einer dauerhaften Beeinträchtigung der materiellen Substanz des Fassadenanstrichs geführt habe. Das vor der Aktion sanierungsbedürftige Gebäude sei allerdings inzwischen auf Veranlassung des Eigentümers denkmalgerecht saniert worden. Außerdem sie die künstlerische Motivation des Eigentümers bei seinem Handeln zu berücksichtigen.

Trotz allem bleibt es aber bei einem spürbaren Bußgeld. Es kann also allen Eigentümern von denkmalgeschützten Immobilien nur eindringlich dazu geraten werden, vor Verschönerungs- oder Veränderungsmaßnahmen jeder Art die Rechtslage abzuklären und gegebenenfalls Rücksprache mit der zuständigen Behörde zu halten.


IMMOBILIEN & BAURECHT

Eine Abdichtung muss abdichten!

#08 | 03.06.2019

Der Bundesgerichtshof hatte in seiner Entscheidung vom 07.02.2019 (Az. VII ZR 274/17) wieder einmal Gelegenheit über den Umfang und die Funktionsweise einer Abdichtung einer Terrasse eines Wohnhauses zu entscheiden. Danach gilt weiterhin der Grundsatz, dass eine Abdichtung dicht sein muss.

Der Auftraggeber beauftragt den Auftragnehmer mit der Ablichtung einer Terrasse seines Wohnhauses. Ein weiterer Auftragnehmer verlegte darauf dann einen Estrich und Fliesen bevor das Abdichtungsunternehmen dann weiter die Anschlussbereiche der Terrasse weiter abgedichtete. Sodann zeigen sich an der die Terrasse angrenzenden Wände Feuchtigkeitserscheinungen und es dringt Wasser in die Wände ein. Daraufhin verlangte der Auftraggeber vom Abdichtungsunternehmen die Mangelbeseitigung und die Beseitigung von Folgeschäden sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Mangelfolgeschäden. Das OLG Schleswig weiß zunächst die Klage ab und argumentiert, dass der Auftraggeber nach der Abnahme einen Mangel der Abdichtung vollständig und bis ins Detail zu beweise habe. Er müsse auch beweisen welcher Ausführungsfehler letztendlich zum Mangel geführt habe. Nur weil Wasser durch die Abdichtung in das Gebäude eindringe, sei damit ein Mangel der Abdichtung an sich noch lange nicht bewiesen. Nach Ansicht des OLG könne die Abdichtung auch bei der Verlegung des Estrichs oder durch Setzung des Gebäudes Schaden genommen haben. Daher sei es im Verfahren auch notwendig einen gerichtlichen Sachverständigen die Ursache Feuchteeintritte selbst untersuchen zu lassen. Weil der beweisbelastete Bauherr dies abgelehnte und auch die Freilegung der Abdichtung verweigerte müsse er den Prozess eben verlieren.

Der Bundesgerichtshof teilt diese Ansicht des OLG nicht und verweist die Sache zurück. Nach Ansicht des BGH ist die Freilegung der Abdichtung für den Nachweis des Mangels an sich zum Zeitpunkt der Abnahme nicht erforderlich. Ein Sachmangel in Form einer Abweichung von der vereinbarten Beschaffenheit liege nämlich schon dann vor, wenn der mit dem Vertrag verfolgte Zweck des Werks nicht erreicht werde und das Werk seine vereinbarte oder nach dem Vertrag vorausgesetzte Funktion nicht erfülle. Nach den zwischen den Parteien bestehenden Vertrag schuldet der Auftragnehmer eine Abdichtung der Terrasse, also die Herbeiführung eines konkreten Zustands, der das Eindringen von Wasser und Feuchtigkeit über die Terrasse in das Gebäude ausschließe.

Für den Nachweis des Mangels muss nach Ansicht des BGH auch nicht das gesamte Bauteil (Terrasse) bis zur Abdichtung geöffnet und untersucht werden. Für den Nachweis des Mangels ist es nämlich egal auf welche konkrete Ursache er Mangels zurückzuführen ist. Es genügt, dass ein Mangel vorliegt. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass der Auftragnehmer nach Erfüllung grundlegend verschuldensunabhängig für Mangelfreiheit seines Werks auch dann haftet, wenn ihm ein Ausführungsfehler unterläuft der dazu führt, dass die vereinbarte Beschaffenheit nicht erreicht wurde und diese dann letztendlich nicht nachgewiesen werden kann.

Vor dem Hintergrund der verschuldensunabhängigen Mangelgewährleistungshaftung ist der Praxis weiter zu raten bei Werkverträgen über Abdichtungsmaßnahmen an die ordnungsgemäße Bauausführung höchste Anforderungen zu stellen und die Abdichtung tatsächlich so herzustellen das sie dicht ist und bleibt. Hierzu gehört es auch, dass sie insgesamt den anerkannten Regeln der Technik und den Vorgaben des Systemherstellers im Hinblick auf die verwendeten Abdichtungsmaterialien im Zeitpunkt der Abnahme genügt. Denn eine Abdichtung ist auch dann immer noch mangelhaft, wenn sie zwar dich ist, aber eben nicht den anerkannten Regeln der Technik genügt.

Grundlegens kann sich ein Auftragnehmer sodann auch nicht mit einer angeblich erfolgten Teilabnahme durch Beauftragung von Nachfolgegewerken wie demjenigen des Estrich- und Fliesenlegers herausreden. Dazu stellt der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung auch klar, dass wegen der gravierenden Folgen einer Abnahme der Wille des Auftraggebers zur Teilabnahme immer klar zum Ausdruck kommen muss. Dem genügt die Beauftragung von Nachfolgewerken nicht. Hieraus lässt sich nicht der Schluss auf den Willen des Auftraggebers entnehmen, eine Teilabnahme der Leistungen des Auftragnehmers erklären zu wollen. Regelmäßig kann allein daher im Weiterbau mit Nachfolgegewerken ein Erklärungswert beigemessen werden. Etwas anders gilt nur dann wenn der Werkunternehmer – wozu ihm zu Raten ist – explizit die Teilabnahme seiner Leistung fordert bevor Nachfolgegewerke auf ihnen aufbauen.


ARBEITSRECHT

Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen beschlossen

#07 | 03.06.2019

Der Bundestag bringt ein Gesetz zum besseren Schutz von Geschäftsgeheimnissen auf den Weg um es Unternehmern besser zu ermöglichen ihr Know-how zu schützen.

In der sich stetig weiterentwickelnden Unternehmenswelt und vor dem Hintergrund des Zusammenwachsens in Europe und der Welt bestand schon seit längerer Zeit das Bedürfnis das man sein Know-how und seine Geschäftsgeheimnisse besser vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung durch Dritte beschützen können muss. Der bisherige Schutz über die Strafvorschriften der §§ 17 bis 19 UWG sowie über die §§ 823 und 826 BGB (ggf. i.V.m. § 1004 BGB analog) reichte hierfür bisher kaum aus.

Vor diesem Hintergrund hat der Bundestag nunmehr am 21.3.2019 den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung 9 AZR 541/15 seine Rechtsprechung, nachdem der EuGH sich in seinen beiden Urteilen vom 06.11.2018 – C-684/16 und (Geschäftsgeheimnisgesetz – GeschGhG) nach dritter Lesung angenommen und weiter auf den Weg gebracht. Es trat sodann zum 26.4.2019 in Kraft.

Mit diesem neuen Gesetz sollen die Vorgaben der Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 08.06.2016 über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung umgesetzt und so ein vertiefter Schutz vor rechtswidriger Erlangung, Nutzung und Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen erreicht werden.

Das neue Gesetz dient dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor unerlaubter Erlangung, Nutzung und Offenlegung. Unberührt von ihm bleiben u.a. aber die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis sowie die Rechte der Arbeitnehmervertretungen. Zulässig bleibt auch die Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens im öffentlichen Interesse oder eine Offenlegung durch Arbeitnehmer gegenüber Arbeitnehmervertretung, damit diese ihre Aufgaben erfüllen können.

Mit dem neuen Gesetz kann der Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses von dem Rechtsverletzer jetzt die Beseitigung und Unterlassung verlangen (§ 6 GeschGehG) sowie Vernichtung, Herausgabe und Entfernung und Rücknahme vom Markt (§ 7 GeschGehG). Ferner besteht grundsätzlich ein Schadensersatzanspruch (§ 10 GeschGehG) und nach § 23 GeschGehG zudem ein Straftatbestand.

Vor den Hintergrund des GeschGehG kann jedem Unternehmen und Rechteinhaber nur geraten werden den „Kreis der Wissenden“ vor allem im Rahmen der Mitarbeiter einzuschränken. Das gilt auch für andere Vertragspartner wie Lieferanten, Dienstleister, Externe oder nur teilweise im Betrieb tätigen Personen. Nur so lässt sich erst einmal vermeiden, dass jemand unbefugt Zugriff auf Geschäftsgeheimnisse erhält. Sollte es dann doch einmal so weit kommen hilft das neue Gesetz weiter.

Die Kanzlei Gräber Onasch Ibach unterstützt Sie gerne bei dem Schutz Ihres Know-how.


HANDELS- & GESELLSCHAFTSRECHT

Fallstricke einer GmbH & Co. KG als Einheitsgesellschaft

#06 | 03.06.2019

Das KG Berlin hatte sich in seiner Entscheidung vom 21.12.2018 (Az. 22 W 84/18) mit der Beschlussfassung einer GmbH & Co. KG in der Form einer sogenannten Einheitsgesellschaft beschäftigt und dabei die Komplexität der formalen Bedürfnisse aufgetan.

Viele Firmen agieren in der Rechtsform der GmbH & Co. KG. Es ist beliebt, eine solche GmbH & Co. KG in der Form einer sogenannten Einheitsgesellschaft zu strukturieren. Eine Einheitsgesellschaft liegt vor, wenn die Gesellschaft (GmbH & Co. KG) selbst wiederum alleiniger Gesellschafter ihrer Komplementärin (der GmbH) ist – ein zulässiges Konstrukt mit u.a. dem Vorteil der einfachen und schnellen Übertragbarkeit von Geschäftsanteilen.

Allerdings gibt es im Bereich der inneren Willensbildung, ergo bei Beschlussfassungen der GmbH & Co. KG, zahlreiche Fallstricke. Werden die Beschlüsse nicht formal richtig gefasst, können diese unwirksam sein und womöglich auch nicht zur Eintragung im Handelsregister (bei eintragungspflichtigen Vorgängen) gelangen. Genau einen solchen Fall hatte das KG Berlin in seiner Entscheidung vom 21.12.2018 (Az. 22 W 84/18) zu lösen: im Ergebnis hatte es den Gesellschaftsvertretern Recht gegeben, aber festgehalten, dass es hochumstritten sei, wie die Gesellschafterrechte in einer Einheitsgesellschaft ausgeübt werden.

Die Quintessenz: strittige Rechtsfragen sind möglichst klug zu umschiffen, um nicht Gefahr zu laufen, dass organisatorische Prozesse massiv verzögert werden, bei erhöhter Kostenlast und dem Risiko des Unterliegens. Denn: bei Gericht und auf hoher See…

Es ist anzuraten, vorausschauend Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag bei einer GmbH & Co. KG in Form einer Einheitsgesellschaft aufzunehmen, die z.B. Beschlussfassungen klar und rechtssicher regeln sowie das Verhältnis der Gesellschafter untereinander sauber abbilden.


IMMOBILIEN & BAURECHT

Schluss mit fiktiven Mängelbeseitigungskosten – Bundesgerichtshof gibt seine bisherige Rechtsprechung auf!

#05 | 03.06.2019

Bisher war es für Auftraggeber möglich Mängel am Bauwerk nicht zu sanieren und stattdessen Schadensersatz in Höhe der fiktiven Mangelbeseitigungskosten zu verlangen. Diesem Vorgehen erteilt der Bundesgerichtshof nunmehr in seiner aktuellen Entscheidung vom 22.10.2018 (Az. VII ZR 46/17) eine deutliche Absage und gibt seine bisherige Rechtsprechung dazu auf.

Nunmehr kann der Besteller, der das mangelhafte Werk behält und den Mangel daran nicht beseitigen lässt, nicht mehr seinen Schadensersatzanspruch statt der Leistung (sog. kleiner Schadensersatz) gegen den Unternehmer gemäß § 634 Nr. 4, §§ 280, 281 BGB nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten bemessen. Der Besteller, der das Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt, kann seinen Schaden nur in der Weise bemessen, dass er im Wege einer Vermögensbilanz die Differenz zwischen dem hypothetischen Wert, der durch das Werk geschaffenen oder bearbeiteten, im Eigentum des Bestellers stehenden Sache ohne Mangel, und dem tatsächlichen Wert der Sache mit Mangel ermittelt. Hat der Besteller die durch das Werk geschaffene oder bearbeitete Sache veräußert, ohne dass eine Mängelbeseitigung vorgenommen wurde, kann er den Schaden nach dem konkreten Mindererlös wegen des Mangels der Sache bemessen. Der Schaden kann in Anlehnung an § 634 Nr. 3, § 638 BGB auch in der Weise bemessen werden, dass ausgehend von der für das Werk vereinbarten Vergütung der Minderwert des Werks wegen des (nicht beseitigten) Mangels geschätzt wird. Maßstab ist danach aber die durch den Mangel des Werks erfolgte Störung des Äquivalenzverhältnisses und nicht die Höhe der fiktiven Mangelbeseitigungskosten.


VERWALTUNGSRECHT

Betriebsuntersagung für ehemaligen Wasserwerfer ist rechtmäßig

#04 | 03.06.2019

Das Oberverwaltungsgericht Münster hat mit Beschluss vom 28.05.2019 die Betriebsuntersagung gegenüber einem Verein von Fußballfans für die Nutzung eines ehemaligen Wasserwerfers der Polizei mit dem Wunschkennzeichen „AC-AB 1910“ bestätigt. (Beschluss OVG Münster vom 28.05.2019, Az. 8 B 622/18).

Ein etwas skurril anmutender Fall, der zeigt, dass sich auch Behörden nicht gerne an der Nase herumführen lassen:

Ein Verein von Unterstützern des Hamburger Fußballclubs FC St. Pauli (gegründet 1910) aus dem linksautonomen Spektrum hatte einen ausgesonderten Wasserwerfer der Polizei erworben und seinen Vereinssitz gezielt in der Städteregion Aachen genommen. Das Spezialfahrzeug war zuvor bis 1992 von der Polizei München genutzt worden. Der Verein veranlasste sodann die Zulassung des Fahrzeugs als „selbstfahrende Arbeitsmaschine“ (Straßensprengfahrzeug) mit dem Wunschkennzeichen „AC-AB 1910“. Mit dem Fahrzeug nahm der Verein unter anderem bei Demonstrationen gegen den G20-Gipfel in Hamburg teil.

Die Hamburger Polizei wies daraufhin die Städteregion Aachen als zuständige Straßenverkehrsbehörde darauf hin, dass die Abkürzung ACAB im linksautonomen Spektrum, welchem der Verein zuzuordnen sie, zur Verunglimpfung von Polizisten diene und für den englischen Ausdruck „All cops are bastards“ stehe.

Die Städteregion Aachen untersagte daraufhin den weiteren Betrieb des Fahrzeugs. Der Verein hat dagegen einen Antrag auch Aussetzung der Vollziehung der Betriebsuntersagung beim Verwaltungsgericht Aachen gestellt. Das Verwaltungsgericht hat in I. Instanz den Antrag abgelehnt (Beschluss des VG Aachen vom 16.04.2018, Az. 2 L 1259/17). Der Verein legte hiergegen Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Münster ein. Diese Beschwerde blieb nun ohne Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat die Vorentscheidung bestätigt und dies damit begründet, dass dem Fahrzeug die erforderliche Betriebserlaubnis fehle. Bei der Zulassung von ehemaligen Militär- oder Polizeifahrzeugen auf einen privaten Halter sei sowohl eine Ausnahmegenehmigung als auch eine neue Betriebserlaubnis erforderlich, was aus § 21 StVZO folge. Eine solche kann nur die Bundeswehr, die Bundespolizei, die Polizei, die Feuerwehr oder der Katastrophenschutz erteilen (vgl. § 19 Abs. 2 a StVZO). In der bloßen Zulassung des Fahrzeugs durch die zuständige Straßenverkehrsbehörde sei keine Betriebserlaubnis enthalten.

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts ist unanfechtbar. Wie die Fußballfreunde den nun stillgelegten Wasserwerfer zukünftig zu nutzen gedenken, ist bisher nicht bekannt.


ARBEITSRECHT

Rechtsprechungsänderung des BAG zum Verfall von Urlaubsansprüchen

#03 | 03.06.2019

Das Bundesarbeitsgericht ändert nach seinem Urteil vom 19.02.2019 – 9 AZR 541/15 seine Rechtsprechung, nachdem der EuGH sich in seinen beiden Urteilen vom 06.11.2018 – C-684/16 und C-619/16 zur Gewährung und zum Verfall von Urlaubsansprüchen zugunsten von Arbeitnehmern geäußert hatte.

Nach dieser Rechtsprechungsänderung und ergänzend nach § 7 BurlG trifft den Arbeitgeber nunmehr die Initiativlast zur Gewährung von Erholungsurlaub.

Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub erlischt danach nicht mehr grundsätzlich schon am Ende des Kalenderjahres (31.12.), wenn der Arbeitgeber ihn zuvor nicht über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen dazu belehrt hatte und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.


SONSTIGES

KARRIERE - Ihr Weg zu uns

#02 | 03.06.2019

Wir suchen für die Zeit ab dem 01.07.2019 eine/einen Rechtsanwaltsfachangestellte/n (w/m/d) als Verstärkung unseres Teams in Karlsruhe.

Wir sind ein starkes Team aus drei gleichberechtigten Partnern und einem zuverlässigen Backoffice / Sekretariat.

Unser Fokus liegt auf der Beratung und Vertretung von Personen und Unternehmen, die Integrität, ehrliche und individuelle Betreuung sowie eine vertrauensvolle Zusammenarbeit schätzen.

Genauso verstehen und leben wir auch die Zusammenarbeit mit unseren Mitarbeitern.

Wir sind auf klar definierten Rechtsgebieten an zwei Standorten tätig, dem Handels- und Gesellschaftsrecht, dem IT- und Immobilienrecht, dem Arbeitsrecht, dem Verwaltungsrecht sowie dem Erbrecht.

Für unseren Standort in KARLSRUHE suchen wir ab dem 01.07.2019 eine/einen

Rechtsanwaltsfachangestellte/r (m/w/d)

in Teil- oder Vollzeit.

Wir bieten ein schlagkräftiges Team in flacher Hierarchie, eine digitale Infrastruktur, flexible Arbeitszeiten und einen eigenen Parkplatz. Wir fördern unsere Mitarbeiter und streben eine langfristige Zusammenarbeit an.

Eine abgeschlossene Ausbildung zur/zum Rechtsanwaltsfachangestellten setzen wir voraus.

Wenn Sie interessiert sind an neuen Aufgaben und Herausforderungen, gute MS-Office- und idealerweise RA-Micro-Kenntnisse besitzen und dazu noch Spaß an Ihrer Arbeit haben, dann schicken Sie uns Ihre aussagekräftige Bewerbung ausschließlich im pdf-Format an:

bewerbung@goi-anwaelte.de
Ansprechpartner: Ralf Onasch
T +49 (0) 721 86 01 80 0
www.goi-anwaelte.de

Wir freuen uns auf Sie!


SONSTIGES

WILLKOMMEN bei Gräber Onasch Ibach Rechtsanwälte

#01 | 03.06.2019

Wir, die Partner der Kanzlei Gräber Onasch Ibach Rechtsanwälte, begrüßen Sie herzlich auf der Webseite www.goi-anwaelte.de unserer Kanzlei.

Die Webseite hat mit ihren Inhalten ihr Go Live am 05.06.2019 und wir hoffen, dass die Webseite Sie gut über uns informiert und einlädt, mit uns in Kontakt zu treten.

Über Anmerkungen freuen wir uns immer! Jedes Feedback ist wertvoll, um sich selbst zu reflektieren und noch besser zu werden.

Björn Gräber, Ralf Onasch, Tobias Ibach

Persönlich. Verlässlich. Souverän.
Persönlich. Verlässlich. Souverän.

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